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EU-Parlamentspräsident Martin Schulz am Samstag beim SPD-Parteitag in Berlin.

© Clemens Bilan/AFP

Newsblog zum SPD-Parteitag: Martin Schulz warnt vor Zerfall der EU

Frankreichs Premier Manuel Valls bezeichnet den deutschen Syrien-Einsatz als "unglaubliche Geste". Die SPD folgt Sigmar Gabriel bei TTIP und Ceta. Das war Tag 3 des SPD-Bundesparteitags. Hier zum Nachlesen.

Hier stehe ich und kann nicht anders: So trat Vizekanzler und Parteichef Sigmar Gabriel am Freitag vor den 600 Delegierten des SPD-Bundesparteitags in Berlin auf. Er verteidigte Kompromisse und Positionen zur Vorratsdatenspeicherung und zu den Freihandelsabkommen TTIP und Ceta, lehnte einen neuen Anlauf für eine Vermögenssteuer ab und definierte die SPD als "Leistungspartei", die sich an die Mitte der Gesellschaft wenden soll. Nicht alle Delegierten wollten ihm folgen: Gabriel wurde lediglich mit 74,3 Prozent der Stimmen als Vorsitzender wiedergewählt. Lesen Sie hier unsere Reportage zur "Widerwahl" und den dazugehörigen Kommentar: "Schwere Hypothek für Sigmar Gabriel". Die Ereignisse in chronologischer Folge können Sie in unserem Liveblog vom Freitag nachlesen. Mit diesem Newsblog begleiten wir Sie durch den Samstag - dann geht es zum Abschluss um Europa und Freihandel.

Wir verabschieden uns für heute und damit auch vom SPD-Bundesparteitag. Am Montag geht es dann weiter mit dem Parteitag der CDU. Man darf gespannt sein.

Schulz warnt vor Zerfall der EU: Sozialdemokratische Spitzenpolitiker aus mehreren europäischen Ländern haben auf dem SPD-Parteitag dazu aufgerufen, sich gegen den aufkommenden Rechtspopulismus in Europa zu stellen. Die Rechten seien "nichts anderes als die Konjunkturritter der Angst", sagte der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), am Samstag auf dem Parteitreffen in Berlin. "In der Demokratie gibt es keinen Platz für die Feinde der Demokratie." Schulz warnte vor einem Zerfall der Europäischen Union. "Das Scheitern Europas ist ein realistisches Szenario", sagte der Parlamentspräsident. "Europa kann zerbrechen." Dies sei das Ziel der Ultranationalisten, die einen Sieg nach dem anderen einfahren würden.

Auch die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini warnte vor Nationalisten, die "die Existenz unserer Union in Frage stellen" wollten. Mogherini forderte ein gemeinsames Vorgehen der Demokraten gegen die Rechten. Die EU mache derzeit "die schwierigste Zeit" durch, die sie je erlebt habe, sagte die Italienerin. Der französische Premierminister Manuel Valls rief ebenfalls zu einem gemeinsamen Kampf gegen die Rechte auf. "Wir brauchen ein weltoffenes Europa, dass seine Werte verteidigt", rief Valls den deutschen Sozialdemokraten zu. Ausdrücklich lobte Valls die Entscheidung Deutschlands zur Beteiligung der Bundeswehr am Militäreinsatz gegen die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS). "Mehr denn je sage ich: Es lebe Europa, es lebe die Freundschaft zwischen Frankreich und Deutschland."

Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann warnte, überall in Europa stünden Sozialdemokraten derzeit "in einem Wettbewerb gegen Nationalisten". Die Sozialdemokraten müssten sich dieser Entwicklung als "spürbare politische Bewegung" entgegenstellen. Vordringlichste Aufgabe der europäischen Regierungen sei es nun, die Flüchtlingskrise solidarisch zu lösen. "Wir sollten zeigen, wie wir Ordnung und Menschlichkeit zusammenbringen in einem Europa, das groß genug ist, Menschen zu helfen, die auf der Flucht sind", sagte Faymann.

Frankreichs Premier Manuel Valls am Samstag als Gastredner beim SPD-Parteitag in Berlin.
Frankreichs Premier Manuel Valls am Samstag als Gastredner beim SPD-Parteitag in Berlin.

© Clemens Bilan/AFP

Deutscher Syrien-Einsatz für Valls "unglaubliche Geste": Frankreichs Premierminister Manuel Valls hat beim SPD-Parteitag Deutschlands Beitrag zum Kampf gegen die Terrormiliz IS als herausragendes Signal der Solidarität gelobt. "Das ist eine neue, einzigartige, unglaubliche Geste", sagte der französische Sozialist als Gast bei der deutschen Schwesterpartei. Berlin hilft nach den Terroranschlägen von Paris mit Tornados beim Aufspüren von Stellungen des "Islamischen Staats" in Syrien. Valls betonte, Europa müsse starke gemeinsame Antworten auf die Flüchtlingskrise und die Bedrohung durch den Terrorismus finden. Es müsse auch zeigen, dass es seine Grenzen schützen kann. Zugleich solle Europa offen für die Welt bleiben. Die Sozialdemokraten müssten verhindern, dass Populisten und Rechtsextremisten Europa zerstören. Von den Konservativen sei keine Hilfe zu erwarten, sie liefen den Parolen der Rechtsextremisten nach.

SPD bekräftigt ihre "roten Linien" für Freihandelsabkommen: Der Parteitagsbeschluss wertet die Abkommen der EU mit den USA und Kanada - TTIP und Ceta - als "Chance, die wirtschaftliche Globalisierung politisch zu gestalten". Ziel sei es, "globale Standards für nachhaltiges Wirtschaften zu setzen". Beim Ceta-Abkommen zwischen der EU und Kanada, das bereits seit 2014 ausverhandelt ist und sich derzeit in der juristischen Prüfung befindet, fordert die SPD aber Nachbesserungen. Dabei geht es insbesondere um die Regeln für die Schiedsgerichtsbarkeit beim Investitionsschutz, den größten Stein des Anstoßes für viele Kritiker von Ceta wie auch TTIP.

In dem Beschluss heißt es: "Nachdem sich das Europäische Parlament festgelegt hat, dass das TTIP-Abkommen nur zustimmungsfähig ist, wenn die privaten Schiedsgerichte aus dem Abkommen eliminiert werden, muss die EU-Kommission auch bei Ceta mit der neuen kanadischen Regierung das Gespräch suchen."

Private Schiedsgerichte, "bei denen die Parteien sich ihre Schiedsrichter selbst bestimmen können, gehören abgeschafft", heißt es in dem Beschluss weiter. Der Bundesparteitag bestätigte ausdrücklich die "roten Linien", die ein SPD-Parteikonvent im vergangenen Jahr für die Zustimmung der Partei zu Ceta und TTIP gesetzt hat. Kritiker fürchten, dass Schiedsgerichte das legitime Recht der Staaten zur Regulierung, etwa bei Sozial- oder Umweltstandards, gefährden.

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Parteitag folgt Gabriel bei TTIP und Ceta: Die SPD unterstützt die Position ihres Vorsitzenden zu den geplanten Freihandelsabkommen TTIP und Ceta. Die Delegierten stimmten für den Leitantrag der Parteispitze. Vor allem Vertreter der SPD-Linken befürchten, dass die Führung bei den Handelsverträgen der EU mit Nordamerika einknicken könnte. Sie warnten in der Debatte, dass große Konzerne zu viel Einfluss bekommen sowie Verbraucher- und Arbeitnehmerrechte ausgehöhlt werden. Gabriel sicherte hingegen zu, die endgültigen TTIP- und Ceta-Verträge würden einem Konvent oder einem weiteren Bundesparteitag zur Entscheidung vorgelegt.

SPD muss Regierungsfähigkeit beweisen: In der hitzig geführten Debatte über TTIP und Ceta hat Gabriel seine Partei auch aufgefordert, sich klar zur Regierungsfähigkeit zu bekennen. "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht eine Partei werden, wo die einen rigoros das eine, und die anderen rigoros das andere besprechen.", sagt der SPD-Chef. "Das ist doch im Kern das, was wir gestern in Teilen erlebt haben." Wenn man regieren wolle, müsse man auch die Bedingungen von Regieren kennen, mahnte er.

Gabriel kämpft um seine Glaubwürdigkeit: Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel hat in die Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta eingegriffen. Er betonte, dass inzwischen auch die zuständige EU-Kommissarin Cecilia Malmström auf das Modell der Handelsgerichtshöfe eingeschwenkt sei, das er als Bundeswirtschaftsminister anstelle der Schiedsgerichte vorgeschlagen habe. Dafür habe er sogar mit einem Veto im Kreis der Minister gedroht. "Wir haben Leitlinien mehrfach beschlossen", wandte Gabriel sich an die Kritiker in der Partei, angefangen als Wirtschaftsminister zusammenmit dem DGB, als das noch kein Thema im Parteivorstand gewesen sei, später mit allen Wirtschafts- sowie allen kommunalen Spitzenverbänden.

"Das scheint ihr ja nicht zu glauben, dass wir im Zweifel das machen, was ihr beschließt", sagte Gabriel - und spielte damit auf die Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann an, die dem SPD-Chef am Freitag in einer vielbeachteten Rede eine Differenz zwischen Reden und Handeln vorgeworfen hatte. Zuvor hatte schon Ralf Stegner mehr Zusammenhalt in der Partei gefordert. "Wir müssen aufhören mit der Misstrauenskultur in der SPD", sagte der SPD-Vize. "Nur eine selbstbewusste SPD, die die Gegner nicht in den eigenen Reihen sucht, hat Chancen, auch Dinge durchzusetzen. Das sollten wir uns merken."

Von Dämpfer keine Spur: Leidenschaftlich und kämpferisch wandte sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Samstag an seine Partei.
Von Dämpfer keine Spur: Leidenschaftlich und kämpferisch wandte sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel am Samstag an seine Partei.

© Kay Nietfeld/dpa

Rechter SPD-Flügel will Gabriel als Kanzlerkandidaten: Der im "Seeheimer Kreis" zusammengeschlossene rechte SPD-Flügel hat sich für eine Kanzlerkandidatur von SPD-Chef Sigmar Gabriel ausgesprochen. "Seeheimer"-Sprecher Johannes Kahrs sagte dem Tagesspiegel: "Ich würde mir wünschen, dass das Wahlergebnis als Parteichef an seinem Willen zur Kanzlerkandidatur nichts geändert hat." Gabriel habe diesen Willen in seiner Parteitagsrede klar zum Ausdruck gebracht, fügte Kahrs hinzu. "Die Partei hat ihn dafür mit Dreiviertelmehrheit bestätigt und damit auch Gabriels Programm mitbeschlossen." Der SPD-Vorsitzende hatte bei seiner Wiederwahl am Freitag mit 74,3 Prozent ein überraschend schlechtes Ergebnis erzielt.

Ohne TTIP-Verhandlungen "wird nichts besser": Die SPD-Spitze hat auf dem Bundesparteitag in Berlin um Rückhalt für ihren Kurs in den Verhandlungen über die Freihandelsabkommen der EU mit den USA (TTIP) und Kanada (Ceta) geworben. Für manche Kritiker seien die Abkommen "ein Sinnbild eines ungebremsten Kapitalismus" sagte der stellvertretende Parteichef Ralf Stegner am Samstag auf dem Parteitag. "Wenn wir die Verhandlungen jetzt abbrechen, wird nichts besser", warnte Stegner jedoch. Dann würden Staaten wie China und Bangladesch die Standards für Arbeit und Umwelt vorgeben. Stegner wertete es als Erfolg auch von Parteichef Sigmar Gabriel, dass private Schiedsgerichte nach dem Beschluss des Europaparlaments vom Tisch seien.

Die Freihandelsabkommen werden in der SPD kontrovers diskutiert. In der Parteiführung herrschte Sorge, dass die Basis den Verhandlungsrahmen weiter einschränkten könnte. Stegner versicherte den Delegierten daher, dass die im vorigen Jahr von einem Parteikonvent vereinbarten drei roten Linien unverändert Geltung hätten. Europäische Standards etwa bei Verbraucher- und Datenschutz dürften nicht aufgeweicht werden, der Verhandlungsprozess müsse transparent sein und es dürfe "keine undemokratischen Schiedsgerichte" geben. Er rief die Delegierten auf, den Verhandlern den Rücken zu stärken, ihnen aber nicht in den Rücken zu fallen. Dem Parteitag liegen zahlreiche Anträge der Basis vor, welche die geplanten Handelsverträge kritisch bewerten. Vertreter der SPD-Linken fordern eine Ablehnung der anvisierten Abkommen.

Das steht heute auf dem Programm: Zum Abschluss diskutieren die Delegierten über das Freihandelsabkommen TTIP, zu dem Vize Ralf Stegner die Haltung des Parteivorstandes erläutert. Zu Europa gibt es eine Podiumsdiskussion mit Frankreichs
Premierminister Manuel Valls, Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven, Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann und der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini. Zudem wird EU-Parlamentspräsident Martin Schulz sich in einer Rede an die Genossen wenden. Das Schlusswort soll gegen 13.45 Uhr der Vorsitzende Sigmar Gabriel haben. Tagungsort ist der CityCube am Messedamm in Berlin.

(mit dpa, AFP, rtr)

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