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Politik: Nicaragua: Wahlkampf zuerst

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, doch bisweilen fallen sie auf einen ungünstigen Zeitpunkt. Wie derzeit in Nicaragua, wo die Feste zu Ehren der Schutzheiligen anstehen, wo aber vielen Menschen gar nicht zum Feiern zumute ist.

Man soll die Feste feiern, wie sie fallen, doch bisweilen fallen sie auf einen ungünstigen Zeitpunkt. Wie derzeit in Nicaragua, wo die Feste zu Ehren der Schutzheiligen anstehen, wo aber vielen Menschen gar nicht zum Feiern zumute ist. Sie leiden Hunger, haben ihre Arbeit verloren und sind ausschließlich damit beschäftigt, ihren Familien etwas Essbares zu besorgen. Gemäß der neuesten Erhebung müssen fast drei Viertel der Bevölkerung Nicaraguas mit einem Dollar pro Tag auskommen. Mancherorts ist es noch viel weniger. Identisch ist die Situation in weiten Teilen von Honduras, El Salvador und Guatemala.

Vor allem in den trockenen, nördlichen Landgebieten Nicaraguas ist die Lage schlimm. In der Region hat es seit Mai nur dreimal geregnet. Die Trockenperiode hat dazu geführt, dass viele Bauern praktisch ihre gesamte Ernte verloren haben. Grundnahrungsmittel wie Mais und Bohnen sind in der Sonne verdorrt, viele Menschen leben seit langem nur noch von Mango und Tortillas mit Salz. Wiederum sind in Nicaragua vor allem jene Gebiete betroffen, die bereits 1998 vom Hurrikan "Mitch" schwer geschädigt wurden. In Posoltega beispielsweise, wo vor drei Jahren eine Schlammlawine, die vom Vulkan Casita herunterdonnerte, über 2000 Menschen unter sich begrub, sagt Bürgermeister Adrian Diaz: "Wir leben im größten Elend und sind völlig aufgeschmissen. Viele Bauern kommen zu uns ins Rathaus und bitten um Arbeit oder Nahrung. Doch wir können ihnen nicht helfen, denn unsere Stadt steht vor dem Bankrott."

Ähnlich hart vom Schicksal getroffen wurden die Arbeiter auf den Kaffeeplantagen in den Hügeln um die Provinzstadt Matagalpa. Weil der Kaffeepreis international in den Keller gesackt ist, lohnt sich die Produktion nicht mehr, Tausende von Fincas sind hoch verschuldet. Die Plantagenbesitzer, die die Regierung bisher vergeblich um Kredite gebeten haben, hatten keine andere Wahl mehr, als die Arbeiter zu entlassen. So haben bereits Ende Juni gegen 400 Arbeiter mit Protestaktionen wie Straßenblockaden begonnen, weitere 100 Familien haben vor einigen Wochen im Stadtpark Los Monos in Matagalpa Zuflucht gesucht, und vor kurzem hat das Beispiel auch auf dem Hauptplatz der Stadt Jinotega Schule gemacht.

Organisierte Hilfe ist bisher ausgeblieben. Studenten aus Managua war es vorbehalten, den unter Plastikplanen campierenden Menschen gespendete Essensrationen, Kleider und Hygienematerial zu überbringen. Doch langsam geht den Hungernden die Geduld aus, seit Tagen drohen sie den Behörden mit einem Protestmarsch nach Managua. Der Regierung kommt eine solche Drohung drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen zwar äußerst ungelegen, denn ein sozialer Aufstand wäre eine miserable Wahlpropaganda. Dennoch zeigt sie sich unbeeindruckt. Staatspräsident Arnoldo Aleman beharrt auf seiner Meinung, es gebe keine Hungersnot in Nicaragua, alles sei eine Frage der richtigen Verteilung der Lebensmittel.

Widersprochen wird ihm aber von allen Seiten, sogar Miguel Obando y Bravo, der Kardinal von Nicaragua, fühlte sich berufen, den Staatspräsidenten öffentlich zu korrigieren. Am Dienstag hat sich auch die Heidelberger Organisation "Food First Information & Action Network" mit einem flehenden Brief an Aleman gewandt. Der Staatspräsident solle endlich in den von Hungersnot betroffenen Gebieten den Katastrophenzustand ausrufen. In Honduras ist dies bereits vor Wochen geschehen. Als ob noch ein weiterer Beweis für die Existenz einer Hungersnot in Nicaragua nötig wäre: In diesen Tagen haben internationale Organisationen, angeführt von den UN, mit der Verteilung von Nahrungsmitteln (für rund sieben Millionen Dollar) sowie von Saatgut (für knapp eine Million Dollar) begonnen. Davon sollen rund 30 000 Familien profitieren.

Martin Jordan

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