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Politik: „Nicht in den Aktenschrank“

Warum Innenminister weiter nach RAF-Tätern fahnden wollen

Für mehrere Innenminister ist die große Zahl der nicht oder nur teilweise aufgeklärten RAF-Taten inakzeptabel. Die vollständige Aufklärung sei notwendig, um den in der aktuellen Debatte zu beobachtenden Tendenzen vorzubeugen, „die Vergangenheit gesundzubeten“, sagte Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). „Das Volk muss sich insgesamt vor Augen führen, wie es gewesen ist.“ Schönbohm vermisst in der Debatte „ein klares Bekenntnis: Nie wieder“. Eine Begnadigung des ehemaligen RAF-Mitglieds Christian Klar sieht er skeptisch. Klar habe sich nicht einsichtig gezeigt und nichts unternommen, „was zur Aufklärung der offenen und nur teilweise ermittelten Fälle beigetragen hätte“, sagte Schönbohm. Er wolle aber dem Bundespräsidenten keine Ratschläge erteilen.

Schönbohm appellierte an ehemalige Offiziere der DDR-Staatssicherheit, die mit RAF-Leuten zu tun hatten, ihr Wissen preiszugeben. „Wenn die einstigen Stasi-Leute einsehen, dass sie einem falschen System gedient haben, sollten sie sich offenbaren“, sagte Schönbohm. Die DDR hatte Anfang der 80er Jahre zehn RAF-Terroristen aufgenommen, die eine neue Identität erhielten. Sie wurden nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes entdeckt und mussten sich vor der Justiz der Bundesrepublik verantworten.

Als „unglaublich“ bezeichnete Schönbohm die Äußerungen des Ex-Terroristen Ralf Reinders zu Beginn der diesjährigen „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ in Kreuzberg. Reinders stellte vor tausenden jungen Linken „infrage“, dass der 1977 von der RAF ermordete Arbeitgeberpräsident Schleyer und der im selben Jahr erschossene Generalbundesanwalt Siegfried Buback Opfer sind. Solche Äußerungen zeigten, Leute wie Reinders hätten „nichts begriffen – außer, dass mit Waffen nichts zu erreichen ist“, sagte Schönbohm.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) äußerte sich betont nüchtern. Die nicht oder nur teilweise aufgeklärten Taten von RAF und Bewegung 2. Juni könnten nicht anders bewertet werden als ähnlich schwere Delikte anderer Straftäter. Und wie in allen anderen Strafverfahren würden Ermittlungen wieder aufgenommen, wenn es neue Anhaltspunkte gibt, „aber auch nur dann“, sagte Körting. Hamburgs Innensenator Udo Nagel (parteilos) warnte vor Hysterie. „Wir müssen aufpassen, dass wir die Diskussion über die RAF nicht hysterisch führen, weil wir dann Gefahr laufen, dass die Täter aufgewertet und die Opfer vergessen werden.“ Dennoch gelte, dass Mord nicht verjährt. „Die nicht aufgeklärten Fälle bleiben aktuelle Fälle der Polizei. Sie gehören nicht in den Aktenschrank“, betonte Nagel.

Nach Ansicht von Schleswig-Holsteins Innenminister Ralf Stegner (SPD) gibt es weiterhin ein „eindeutiges Aufklärungsinteresse“. Auch mit Blick auf Opfer und Angehörige habe der Staat die Verpflichtung, „mit allen ihm verfügbaren Mitteln zu handeln“. Stegner sagte zu Vorwürfen, die Sicherheitsbehörden hätten seit langem Erkenntnisse gehabt, diese aber nicht genutzt: „Das muss klargestellt werden. Wenn es ungenutzte Erkenntnisse gab, muss man dem in aller Konsequenz nachgehen.“

Der Verfassungsschutz erfuhr nach Tagesspiegel-Informationen bereits Anfang der 80er Jahre von dem Ex-RAF-Mitglied Verena Becker, im Mordfall Buback sei weder Christian Klar noch Knut Folkerts der Todesschütze gewesen, sondern Stefan Wisniewski. Von der rund zwei Wochen dauernden Befragung Beckers hat der Verfassungsschutz inzwischen 80 Seiten in seinem Archiv gefunden. Die Informationen seien damals auch den Ermittlungsbehörden zugeleitet worden, hieß es in Sicherheitskreisen. Offenbar wurde davon aber weder bei der Fahndung noch in RAF-Prozessen Gebrauch gemacht.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangt Aufklärung im Fall Buback. Die Bürger und vor allem die Angehörigen der Opfer erwarteten, dass alle neu aufgetauchten Fragen aufgeklärt würden, sagte sie diese Woche dem „Bayernkurier“. Sie betonte. viele RAF-Mitglieder hätten jahrzehntelang nichts zur Aufklärung ihrer Verbrechen geleistet. Dies dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

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