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Politik: Nicht noch mehr Zentralismus Warum wir eine Arbeitsmarktreform nach dem Hessen-Modell brauchen

Von Roland Koch

Nun ist die Katze aus dem Sack. Seit Ende Juli liegen die Entwürfe der Bundesregierung zu den HartzIII- und IV-Gesetzen auf dem Tisch, die am 13. August vom Kabinett beschlossen werden sollen. Die als Herzstück der Arbeitsmarktreformen geplante Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ist in der vorliegenden Form inakzeptabel, weil sie das Gegenteil dessen bewirken wird, was mit ihr beabsichtigt ist. Die Botschaft lautet jetzt: Bundeszentralismus par excellence, Ausbau der ohnehin schon überfrachteten Bürokratie der Bundesanstalt für Arbeit, unsachgerechte Verteilungswirkungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen sowie völlig missratene ökonomische Anreizwirkungen. Das Vorhaben der Bundesregierung, das Fürsorgesystem einfacher, zielführender und effizienter zu machen, verkehrt sich mit diesem Gesetzentwurf in das Gegenteil. Das System wird komplizierter, ineffizienter und teurer.

Kompetenz der Kommunen

Dabei sind sich alle Parteien darin einig, dass eine Zusammenlegung der beiden steuerfinanzierten Hilfesysteme dringend geboten ist, um die Verschiebebahnhöfe zwischen den Sozialämtern und der Bundesanstalt für Arbeit zu beseitigen. Mit dem Vorhaben der Bundesregierung werden neuen Verschiebebahnhöfen aber geradezu Tür und Tor geöffnet. Ausgerechnet jene Behörde, die in den vergangenen 30 Jahren den Herausforderungen des ständigen Anstiegs der Arbeitslosenzahlen nicht gewachsen war, soll in Zukunft alle erwerbsfähigen Empfänger von Arbeitslosen- und Sozialhilfe und deren Familienmitglieder betreuen – und das auch noch mit einer Personalaufstockung um 12 000 neue Stellen. Ineffiziente Strukturen werden aber nicht durch noch mehr Personal verbessert. Die Bundesregierung plant, dass die Arbeitsämter darüber entscheiden sollen, wer erwerbsfähig ist und wer nicht. Damit zeichnet sich ab, dass die schwer vermittelbaren Arbeitslosen künftig grundsätzlich in die Verantwortung der Kommunen abgeschoben werden. Einem solchen Vorschlag werden die Mehrheit meiner Länderkollegen und die Kommunen nicht die Hand reichen können.

Der gigantische Zentralismus führt dazu, dass die Bundesanstalt für zahlreiche neue Aufgaben zuständig ist, von denen sie noch weniger versteht als von der Vermittlung. Nur 12,5 Prozent der in Westdeutschland neu eingestellten Arbeitskräfte werden über das Arbeitsamt vermittelt. In Zukunft soll die Bundesanstalt zum Beispiel auch noch für die Beratung von Drogenabhängigen und Alkoholikern zuständig sein und die Kinderbetreuung für allein Erziehende organisieren.

Das Ziel, Leistungen aus einer Hand anzubieten, kann nur mit der kommunalen Trägerschaft erreicht werden. Nur die Sozialämter vor Ort verfügen über die notwendige Nähe zu den Leistungsempfängern sowie über entsprechende Kenntnisse der regionalen Wirtschaft.

Der Vorschlag der Bundesregierung zur Finanzierung des zentralistischen Systems führt ebenfalls in die falsche Richtung. Der völlig unzureichenden Entlastung der Länder und Kommunen durch den Wegfall der Zahlungen für die Sozialhilfe stehen Belastungen durch eine Neuverteilung des Aufkommens aus der Mehrwertsteuer gegenüber. Gerade weil das Mehrwertsteueraufkommen in keinerlei Zusammenhang mit der Zahl der Arbeitslosen- und Sozialhilfebezieher steht, treten für die Länder unterschiedliche Verteilungswirkungen ein, die völlig unakzeptabel sind. Von den Ankündigungen des Bundeskanzlers anlässlich der Vorstellung der Agenda 2010 ist wenig geblieben. Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollten „in der Regel“ auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammengeführt werden, hieß es damals.

Was jetzt auf dem Tisch liegt, ist das Gegenteil. Die Sozialhilfe wird angehoben und die Arbeitslosenhilfe in zwei Stufen innerhalb von drei Jahren auf dieses erhöhte Niveau festgesetzt. Die Chance, gering qualifizierte Arbeit nach Deutschland zurückzuholen, wäre damit endgültig vertan. Darüber hinaus sind die harschen Sanktionsandrohungen des Wirtschaftsministers für Arbeitsunwillige so lange nicht glaubwürdig, wie nicht auch kommunal organisierte, gemeinnützige Beschäftigung angeboten wird, zu der der Einzelne verpflichtet ist.

Erst mit einer solchen Regelung werden Sanktionsandrohungen glaubhaft und Schwarzarbeit eingedämmt. Das Prinzip „Fördern und Fordern“ weist in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung eine eklatante Schieflage auf. Gefördert werden soll völlig unsystematisch an allen Ecken und Kanten. Während das Ministerium für Wirtschaft und Arbeit mit einer verbesserten Nichtanrechnung eigenen Einkommens auf die Sozialhilfe und einem nach eigenem Ermessen gewährten Einstiegsgeld aufwartet, macht sich das Sozialministerium für einen Kinderzuschlag stark, der allerdings nur befristet vergeben werden soll und ökonomische Fehlanreize setzt. Auf diese Weise wirkt er praktisch wie eine Ausstiegsprämie aus Arbeit.

Die Hessische Landesregierung hat bereits Anfang Juli einen eigenen Gesetzentwurf zur aktivierenden Sozialhilfe und Unterstützung des Niedriglohnsektors vorgelegt. Der Entwurf entspricht einem wirtschafts- und sozialpolitischen Ansatz aus einem Guss im Sinne Ludwig Erhards. Das Hessische Existenzgrundlagengesetz stellt den Vorrang von Arbeit, Qualifizierung und qualifizierender Beschäftigung gegenüber der staatlichen Alimentierung ohne Gegenleistung in den Mittelpunkt. Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammengelegt. Träger des neuen Leistungsrechts sind die Kommunen. Durch einen fairen Belastungsausgleich zwischen dem Bund und den Ländern ist sichergestellt, dass die Kommunen die neuen Aufgaben ohne finanzielle Mehrbelastungen erfüllen können. Dabei wird insbesondere den spezifischen Gegebenheiten in den neuen Ländern Rechnung getragen.

Durch eine verbesserte und transparente Nichtanrechnung eigenen Einkommens auf die Sozialhilfe werden systematische finanzielle Anreize zum Ausstieg aus der Sozialhilfe gesetzt. Um die Nachhaltigkeit der verbesserten Nichtanrechnung zu verstärken und einen gleitenden Übergang aus der Sozialhilfe in eine reguläre Beschäftigung zu ermöglichen, unterstützt das Konzept generell den Ausbau des Niedriglohnsektors durch die Einführung eines nicht befristeten Lohnzuschlags für Geringverdienende.

Pflicht zur Erwerbsarbeit

Dabei ist gewährleistet, dass, wer mehr arbeitet, auch mehr netto verdient. Besondere Berücksichtigung findet die familiäre Situation. Im Gegensatz zum Kinderzuschlag schafft der hessische Lohnzuschlag auch für Familien Anreize, mit jedem Euro brutto auch mehr netto zu verdienen. Stärker als bisher wird vom Sozialhilfebezieher die Pflicht zur Erwerbsarbeit eingefordert. Menschen, die im regulären Arbeitsmarkt zunächst keine Arbeit finden, soll eine kommunale Beschäftigung angeboten werden, die in Höhe der bisherigen Sozialhilfe entlohnt wird. Bei der Ablehnung eines Beschäftigungsangebots sind Sanktionen vorgesehen, bis hin zur vollständigen Streichung des Sozialhilfe-Regelsatzes. Bei fortgesetzter Weigerung wird die Sozialhilfe noch stärker gekürzt. Mit dem Existenzgrundlagengesetz legen wir einen Gegenentwurf zu den Vorstellungen des Bundes vor. Der Entwurf zielt darauf ab, die Ursachen der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland wirkungsvoll zu bekämpfen. Um die Zustimmung zu unserem Entwurf werden wir gerade angesichts des untauglichen Entwurfs der rot-grünen Bundesregierung mit Nachdruck werben.

Der Autor ist hessischer Ministerpräsident. Foto: dpa

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