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Politik: Nicht reden – machen

DIE GANZTAGSSCHULE

Von Tissy Bruns

Morgens um elf steht das Kind vor der Tür. Die Schule ist aus. Was nun?

Wenn die kleinen Töchter und Söhne sich zu Erstklässlern mausern, erleben viele Eltern zum ersten Mal das nagende Gefühl: Da gehen sie hin, ins feindliche Leben ... So muss es sein, deshalb ist diese Angst voller Stolz und ist der erste Schultag etwas ganz Besonderes. Doch in vielen Familien von heute bricht mit der Einschulung auch eine kleine Panik aus. Die Schule schließt ihre Türen früher als der Kindergarten. Schüler machen Hausaufgaben. Die Organisationskunst wird auf die Probe gestellt. Für die Mütter beginnt eine neue Runde im Kampf gegen RabenmütterVorwürfe und schlechtes Gewissen. Für viele Kinder hält mit der Schule die Langeweile Einzug in die Nachmittage. Und das Fernsehen.

Seit zehn, seit zwanzig Jahren machen deshalb viele Eltern, Lehrer und Erzieher das, wozu Bund und Länder sich jetzt durchgerungen haben. Sie organisieren für ihre Kinder eine Ganztagsschule. Wo der Schulhort Tradition hat, geht das leichter, in manchen Bundesländern ist es harte Arbeit. Im Vorstand solcher Elterninitiativen braucht man eine Rechtsanwältin und am besten einen Handwerksmeister mit Beziehungen. Seit zehn, seit zwanzig Jahren schert sich hier niemand um die Grundsatzdiskussion, wie viel Schule und öffentliche Betreuung das Kind verträgt und wie viel Zuhause es braucht, ob berufstätige Mütter ein nationales Unglück und ganztags betreute Kinder zu bedauern sind. Nicht, weil diese Fragen abwegig wären oder eindeutig zu beantworten. Doch das Leben hat einfach entschieden, dass es berufstätige Mütter gibt, geschiedene Eltern und viele Einzelkinder. Da muss man sich halt kümmern.

Aus dem praktischen Zwang der Betreuungsfragen stellen sich in diesen Einrichtungen die Fragen schnell so, wie es der Verantwortung von Eltern, Erziehern und Lehrern entspricht: vom Kinde aus. Ihre Stärke besteht darin, dass sie die getrennten Kinderwelten zusammenführen. Die Schule. Das Elternhaus. Für die Kinder von früher war diese Form der ersten Trennung zwischen öffentlichem und privaten Raum kindgemäß. Für die Kinder von heute ist sie eine zu frühe Vorwegnahme der modernen arbeitsteiligen Welt, eine latente Überforderung. Denn die Familie ist kinderarm, die Schule von der Gesellschaft allein gelassen. Und viele Kinder ausländischer Herkunft wachsen zwar mit Geschwistern heran, aber in sprachlicher Isolation.

Die neuen Ganztagsschulen sind eine einmalige Chance – gerade, weil es die Kultusminister und Bundesministerin Bulmahn wegen ihrer üblichen Streitereien nicht geschafft haben, das vereinbarte Programm mit fertigen Konzepten auf den Weg zu schicken. Es sollte niemand glauben, dass die Ganztagsschulen die Antwort auf die Leistungsprobleme sind, die der internationale Pisa-Vergleich offenbart hat. Aber die Nachmittagsschulen können ein pädagogischer Ort werden, in dem Eltern, Lehrer und Erzieher ihren gewohnten Frust beiseite schieben und gemeinsam etwas Neues auf den Weg bringen. Immerhin fließen nach langer Zeit wieder Mittel in die Schulen, die mehr sind als ein Tropfen auf den heißen Stein. Und es kommt neues Personal, das wichtigste Gegenmittel gegen pädagogische Ermüdung.

Die Schüler werden abwinken, wenn es nur um mehr Unterricht geht, die Lehrer auch. Das Beispiel der vorhandenen Nachmittagsbetreuungen sollte Schule machen für die neuen Ganztagsschulen. Der Schlüssel ist die gemeinsame Verantwortung von Eltern, Lehrern und Erziehern für das pädagogische Geschehen. Und bitte: keine Grundsatzdiskussionen.

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