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Politik: Nicht sprachlos bleiben

Berlin hat eine sehr große türkische Gemeinde. Was bedeutet die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für die Stadt?

Von Fatina Keilani

Die Berliner Reaktionen auf den Richterspruch des EuGH schwanken zwischen „Das ist eine Katastrophe“ und „Alles halb so wild“. Berlin hatte eine Zeit lang stark mit dem Problem der sogenannten Importbräute zu kämpfen – also damit, dass junge Männer, vor allem Türken, lieber eine unterordnungswillige Frau aus der Heimat einfliegen ließen, als eine der selbstbewussteren hiesigen Frauen zu heiraten. Auf den Willen der importierten Braut kam es dabei nicht an. Mit der Einführung des Sprachnachweises als Erfordernis, das vom Heimatland aus erfüllt werden muss, sollte die Integration erleichtert und sollten Zwangsehen zumindest erschwert werden.

Dies ist gelungen, auch wenn das nicht nachweislich an dem Gesetz lag. „Es gibt schon seit Jahren den Trend, dass die Direktheiraten aus der Türkei zurückgehen“, berichtet etwa Berlins frühere Ausländerbeauftragte Barbara John. „Man heiratet eher seinesgleichen, der Partner soll auch etwas können – die Unbedarften, die man leichter wie einen Fußabtreter behandeln kann, sind nicht mehr so gefragt.“ Es sei dennoch schade, dass die Deutschkurse jetzt nicht mehr im Ausland besucht werden müssten. Denn wenn die Person erst einmal hier sei und in der Familie abtauche, werde hinsichtlich eines Deutschkurses nicht mehr viel passieren, und es setze dann auch niemand durch. Laut John sollten die Konsulate bei der Visa-Erteilung direkt Anlaufstellen für die Sprachkurse mitteilen.

Der Kreuzberger CDU-Politiker Kurt Wansner ist von dem Richterspruch hingegen entsetzt. „Das ist eine Katastrophe“, sagte Wansner dem Tagesspiegel. Er erlebe immer wieder, dass Frauen 20 Jahre in Deutschland leben und kein Wort Deutsch sprechen. „Die isolieren sich selbst, so werden sie nie an unserer Gesellschaft teilhaben können“, meint Wansner. Dass die Ehefrau schon im Ausland Deutschkenntnisse erwerben musste, sei sinnvoll gewesen – „Von wem soll sie es denn hier lernen, etwa von der Schwiegermutter, die selbst kein Deutsch kann?“

Laut Innenverwaltung sind in Berlin im Jahr 2013 insgesamt 28 085 Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug erteilt worden, davon 5878 an türkische Staatsangehörige. Allerdings lässt die Zahl laut Innenverwaltung keine Rückschlüsse hinsichtlich des Spracherfordernisses zu. Es sei nicht in allen Fällen ein Sprachnachweis nötig gewesen. Versagungsgründe würden gar nicht erfasst – in wie vielen Fällen also ein Visum wegen Mangels an Sprachkenntnissen abgelehnt wurde, ist nicht weiter aufgeschlüsselt.

Der Richterspruch gilt nur für Türken. „Die große Frage ist: Was ist mit den Drittstaatlern?“, sagt Berlins Integrationsbeauftragte Monika Lüke. Das Verwaltungsgericht hatte auch diese Frage dem Gericht vorgelegt, aber keine Antwort bekommen – zum Ärger des Gerichts. Denn dort werden auch viele Fälle anderer Staatsbürger verhandelt, in denen es um Familiennachzug und die dafür gültige EU-Richtlinie geht. Diese Frage muss erneut vorgelegt werden. Fatina Keilani

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