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Politik: Nichts als Namen

Ein EU-Abgeordneter bezichtigt 57 deutsche Kollegen, sich Tagegelder erschlichen zu haben. Beweise legt er nicht vor

Was zum Höhepunkt seiner Enthüllungsgeschichten hätte werden sollen, wurde eher zur peinlichen Enthüllung des Hans-Peter Martin. Der österreichische Europaabgeordnete, der in den vergangenen Tagen Schlagzeilen in „Bild“ und „Stern“ machte, hat am Mittwoch zwar in Straßburg unter anderem die Namen von 57 deutschen Kollegen aufgelistet, die er des Spesenmissbrauchs beschuldigt. Beweise dafür blieb er jedoch schuldig.

Seine Behauptung, Europaparlamentarier hätten ihre Unterschriften in den Anwesenheitslisten auch von Mitarbeitern fälschen lassen, um sich das Tagegeld von 262 Euro zu erschleichen, wiederholte Martin nicht mehr. Aus gutem Grund. Inzwischen nämlich liegen grafologische Gutachten vor, die das Europaparlament eigens erstellen ließ, um die Beschuldigungen zu überprüfen. Das Ergebnis widerlegt die Spekulationen: Die Unterschriften sind echt. So beschränkte sich der von „Bild“ als mutig bezeichnete, in seinem politischen Umkreis aber höchst umstrittene Ex-Journalist auf die Namensnennung. In drei Jahren will er in 7200 Fällen Abgeordnete dabei beobachtet haben, wie sie sich in Anwesenheitslisten des Parlaments eintrugen, ohne an Sitzungen teilzunehmen. Dies treffe auch auf die 57 deutschen Abgeordneten zu. Sie hätten die Pauschale für Tage beansprucht, an denen sie ,,weniger als eine Stunde“ im Parlament gearbeitet hätten.

Auf Martins Liste rangiert alles, was im EU-Parlament Rang und Namen hat: vom SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz über EVP-Fraktionschef Hans-Gert Pöttering, Parlamentsvize Ingo Friedrich (CSU), die Berliner Verbraucherschützerin Dagmar Roth-Berendt und Grünen-Politikerin Hiltrud Breyer bis zur PDS-Spitzenkandidatin Sylvia- Yvonne Kaufmann. ,,Wir werden zu Unrecht denunziert und diffamiert“, entrüstet sich Hartmut Nassauer (CDU). Und die Stuttgarter Grüne Heide Rühle, die auf keiner Liste Martins auftaucht, spricht gar von einer ,,Kampagne gegen das Europaparlament“.

Schulz fordert nun, „jeden einzelnen Vorwurf“ vom Rechtsdienst des Europaparlaments und vom EU-Rechnungshof überprüfen zu lassen, „und zwar unverzüglich“. Bis Ende April müsse das Ergebnis auf den Tisch, sagte Schulz dem Tagesspiegel – „weil das nicht immer weiterwabern darf“. Gleichzeitig prüften die Bezichtigten eine gemeinsame Klage gegen Martin. Das Problem daran sei aber, dass dieser Immunität genieße.

Auch Ingo Friedrich sagte dem Tagesspiegel, er behalte sich „juristische Schritte vor“. Möglicherweise müsse man Martin eine Frist zur Vorlage von Beweisen setzen und dann die Rücknahme der Behauptungen verlangen. Er fühle sich „an die Rufmord-Methoden der Stasi-Zeit erinnert“ und auch „ganz persönlich gekränkt“. Von Rechts wegen habe jeder, der sich in die Anwesenheitsliste einträgt, Anspruch auf Tagegeld – unabhängig von der verbrachten Zeit im Parlament. Ein Großteil der Arbeit spiele sich nun mal außerhalb ab. „Das kann man kritisieren oder zu ändern versuchen. Tatsache ist: Hier hat keiner eine Regelverletzung begangen.“

Die 262 Euro sollen, so auch Ex-Parlamentspräsident Klaus Hänsch (SPD), die Kosten für Hotel, Mahlzeiten, Taxifahrten und Zusatzausgaben decken. Wer sich in Straßburg eintrage, habe Anspruch darauf. Im Bundestag wird dies nicht anders gehandhabt. Dort gibt es sogar höhere Pauschalen.

Was der jeweilige Abgeordnete damit macht, ist seine Sache. Er kann im „Hilton“ absteigen – dann reicht die Pauschale nicht. Oder er schläft in einer kleinen Klitsche – und spart sich einiges. Martins Vorwurf, dass manche Politiker gar nicht in Straßburg, sondern in einem billigen Hotel in Kehl übernachteten, geht also ebenfalls ins Leere.

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