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© Mike Wolff

Niederländischer Gesundheitsminister: "Unser System ist gerechter geworden"

Der Gesundheitsminister der Niederlande empfiehlt Kopfpauschalen – aber mit voller Arbeitgeberbeteiligung.

In Deutschland wird heftig über die Einführung sogenannter Kopfpauschalen gestritten. Bei Ihnen gibt’s die längst. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?



Unsere Erfahrungen sind recht positiv. Einige hatten befürchtet, dass dadurch eine Riesenbürokratie entstehen würde – was nicht zutraf. Eigentlich sind jetzt fast alle überzeugt, dass das System dadurch sozialer geworden ist, als es vorher war.

Vielleicht war ja auch der Kompromiss hilfreich. Sie haben Ihr System 2006 nicht komplett auf einkommensunabhängige Pauschalen umgestellt, sondern nur zur Hälfte.

Das ist richtig. Wir haben eine einkommensabhängige Prämie, die im Wesentlichen von den Arbeitgebern bezahlt wird. Für die andere Hälfte gibt es die Kopfpauschale. Und wer sie nicht zahlen kann, erhält einkommensabhängige Zuschüsse.

Hat Ihre Reform den Kostenanstieg im Gesundheitssystem bremsen können?

Die Pauschale bringt mehr Transparenz. Leistung wird vergleichbar, dadurch haben die Krankenkassen den Anreiz, Kosten zu senken. Aber dafür brauchen sie auch Instrumente. Sie müssen Qualität honorieren und Preise beeinflussen können. Vor unserer Reform waren die komplett festgelegt. In den Kliniken haben wir sie nun teilweise freigegeben, und man sieht die Erfolge. Im reglementierten Sektor stiegen die Preise um zweieinhalb, im freigegebenen Bereich nur um ein Prozent.

Anders als in Deutschland geplant sind die Arbeitgeber bei Ihnen im Boot geblieben – sie kommen, trotz Pauschale, nach wie vor für die Hälfte der Beiträge auf …

Die Arbeitgeber hätten natürlich gerne eine Abkopplung von den Lohnkosten. Ich finde es aber nicht schlecht, wenn sie auch ein Interesse daran haben, dass die Gesundheitskosten nicht zu stark steigen – und entsprechend Druck ausüben.

Was ist denn das größte Problem in Ihrem reformierten Gesundheitssystem?

Damit die Reform richtig wirkt, muss sich noch vieles ändern. Bisher bezahlen wir beispielsweise nur Arztkontakte, Fallpauschalen in Krankenhäusern und die Aushändigung von Medikamenten. Wir bezahlen keine Qualität. Wir bezahlen auch keine integrierte Versorgung. Das zu ändern, ist unsere wichtigste Aufgabe. Denn davon profitieren nicht nur die Bürger. Damit lässt sich auch viel Geld sparen.

Um die Pauschalen zahlen zu können, benötigen gut 70 Prozent aller holländischen Haushalte einen Sozialausgleich. Ist das nicht ein bisschen viel?

Wir versuchen, diese hohe Rate zu senken. Ein Problem ist sie aber nicht. Die Menschen bekommen ja nur einen Ausgleich, der sich an der Durchschnittsprämie orientiert. Dadurch bleibt der Effizienzanreiz für die Krankenkassen. Wenn eine billiger ist, profitieren die Versicherten – sie erhalten denselben Zuschuss wie die Mitglieder teurerer Kassen. Zudem ist der Ausgleich auch politisch ein Anreiz, die Kosten niedrig zu halten. Wenn sie stärker steigen als das Einkommen, müssten ihn ja noch mehr Menschen erhalten.

Kritiker sagen: Es ist entwürdigend, so viele Menschen zu Bittstellern zu machen.

Bei uns fühlt sich keiner als Bittsteller, der Ausgleich kommt ja weitgehend automatisch übers Finanzamt. Kaum einer realisiert, dass er einen Zuschuss erhält.

Und diejenigen, die keine Steuer zahlen?

Die bekommen ihren Ausgleich mit den Hilfen zum Lebensunterhalt. Das läuft bei uns alles ziemlich glatt und problemlos.

Wie sicher ist der Ausgleich denn vor Einnahmeschwankungen oder den Begehrlichkeiten anderer Ressorts?

Die Höhe ist gesetzlich festgelegt. Das kann weder ich verändern noch das Finanzministerium. Aber die Gesundheitskosten interessieren den Finanzminister nun stärker als früher. Das ist gut so.

Wurden einkommensstarke Bürger durch Ihre Kopfpauschale entlastet?

Nein, es ist gerade andersherum. Vor der Reform zahlten viele privat Versicherte weit geringere Beiträge. Das ist jetzt ausgeglichener, unser System ist gerechter geworden.

In Ihrem Land gab es vor der Reform wie in Deutschland ein Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Warum haben Sie es abgeschafft?

Weil es Ungerechtigkeiten gab. Gutverdiener zahlten weniger als Geringverdiener. Und viele Ehepartner von privat Versicherten waren für wenig Geld gesetzlich versichert und mussten für die Kinder gar nicht zahlen. Diese Ungerechtigkeiten haben wir beseitigt.

War das nicht sehr schwierig? Wenn man Privatversicherungen auflöst, ist das ja ein Eingriff ins Versichertenvermögen ...

Bei uns gab es keine Kapitaldeckung, auch die Privaten waren umlagefinanziert. Es gab diese Komplikation also gar nicht.

Würden Sie den Deutschen dennoch empfehlen, das Doppelsystem abzuschaffen?

Das ist schwer zu sagen. Bei uns wurde das System dadurch einfacher und gerechter. Ich denke aber, Pauschalen könnten auch in einem System aus gesetzlicher und privater Versicherung funktionieren.

Die Fragen stellte Rainer Woratschka.

Ab Klink (41) ist seit zwei Jahren Minister für Gesundheit, Wohlfahrt und Sport in den Niederlanden. Am Donnerstag traf sich der Christdemokrat mit seinem Kollegen Philipp Rösler in Berlin.

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