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Politik: „Niemand hat die Globalisierung gewollt“

Frankreichs Ex-Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing über Sinn und Unsinn der Weltwirtschaftsgipfel

Das erste Treffen der führenden Industriestaaten ging auf Ihre Initiative zurück: 1975 luden Sie gemeinsam mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt die Staats- und Regierungschefs aus Italien, Großbritannien, Japan und den USA nach Rambouillet ein. Zwischen diesem ersten Weltwirtschaftsgipfel bei Paris und den heutigen G-8-Treffen scheinen Welten zu liegen.

Die Tagesordnung der Treffen war damals ganz bewusst kurz gehalten. Das Ziel bestand schließlich darin, die Verantwortlichen der großen Industriestaaten dazu zu bringen, sich auf ein echtes Gespräch miteinander einzulassen. Das heißt: Die direkte Begegnung stand im Vordergrund, es sollten keine vorbereiteten Texte verlesen werden. Jedes Land war nur mit drei Personen vertreten: Dem Präsidenten oder dem Premierminister, dem Außenminister und dem „Sherpa“, der den Gipfel vorbereitet hatte. Wir wollten den Rahmen begrenzt halten.

Warum?

Die Hauptverantwortlichen in der Politik sehen sich zwar ständig bei bilateralen Begegnungen. Aber sie haben selten die Gelegenheit zu erfahren, was sich wirklich in den Köpfen der anderen abspielt. Ich war mir seinerzeit mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt einig, dass rund um die Gipfel keine bürokratischen Strukturen aufgebaut werden sollten.

Ist ein vertiefter Meinungsaustausch, wie er in der Anfangszeit der Weltwirtschaftsgipfel gepflegt wurde, heute überhaupt noch möglich?

Inzwischen ist die Vorbereitungsmaschinerie, die zwischen den Gipfeln läuft, gewaltig angewachsen. Ich habe das Programm für den G-8-Gipfel in Heiligendamm gesehen. Die dort versammelten Staats- und Regierungschefs werden wenig miteinander sprechen können. Das sollten sie aber.

Worüber sollten die Teilnehmer beim Gipfel in Heiligendamm reden?

Die Globalisierung ist gegenwärtig die wichtigste Frage. Die Globalisierung ist für alle überraschend gekommen, niemand hat sie gewollt. Gibt es eine Reaktion? Akzeptieren wir die Globalisierung, und in welchen Grenzen? Das Charakteristische an der Globalisierung ist, dass sie sich der Kontrolle entzieht. Traditionell hat man immer nach Regeln im wirtschaftlichen und sozialen Bereich gesucht, auch auf internationaler Ebene – denken Sie beispielsweise an das Währungssystem von Bretton Woods. Im Namen der Globalisierung akzeptiert man nun aber alle möglichen Entwicklungen – seien es gewaltige Finanztransaktionen oder die örtliche Verlagerung von Entscheidungszentren in großen Konzernen. Es stellt sich also jetzt die Frage: Soll man nicht etwas Ordnung in diese Entwicklungen bringen? Oder soll man der Globalisierung ihren freien Lauf lassen – in dem Wissen, dass die öffentliche Meinung dagegen ist?

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat aber nicht die Globalisierung, sondern den Klimawandel ganz nach oben auf die Tagesordnung des Gipfels in Heiligendamm gesetzt.

Das Thema ist gut gewählt. Es gibt aber ein Problem: Die Staats- und Regierungschefs müssten viel klarer sagen, in welchem Umfang sie künftig auf die Atomenergie zurückgreifen wollen. Schließlich wird in den nächsten 20, 30 Jahren die Frage der Energieerzeugung durch Kernkraft von entscheidender Bedeutung sein. Jedoch gehen weltweit die Auffassungen auseinander, in welchem Umfang Atomenergie künftig genutzt werden sollte. Einige Länder wie Frankreich sind entschlossen, auch künftig von der Kernkraft in großem Umfang Gebrauch zu machen. Andere Staaten – darunter Deutschland – sehen das anders. Das zentrale Thema lautet also: Gibt es unter den Industriestaaten eine gemeinsame Position zur Atomkraft? Ansonsten besteht ja Einigkeit darüber, dass der Energieverbrauch gedrosselt werden muss. Wir haben uns schon 1979 bei einem G-7-Treffen in Tokio für die Länder, die den größten Erdölverbrauch haben, auf Import- Obergrenzen beim Erdöl geeinigt. Übrigens sperrten sich dabei vor allem Deutschland und Japan dagegen.

Die Gipfel bieten seit Jahren den Globalisierungsgegnern eine Angriffsfläche. Teilen Sie die Kritik der Globalisierungsgegner, die führenden Industriestaaten wollten dem Rest der Welt ihre liberale Wirtschaftspolitik aufzwingen?

Ich glaube nicht, dass die Kritik gerechtfertigt ist. Die G-8-Staaten können anderen Ländern nichts aufzwingen. Die Beschlüsse, die sie bei ihren Gipfeln fassen, treffen sie untereinander, nicht für andere. Die Kritik der Globalisierungsgegner weist aber auf ein offenkundiges Problem hin: Die Globalisierung wird von den Hauptverantwortlichen zwar im Grundsatz befürwortet – aber sie haben dabei kein Ziel vor Augen.

Seit der Eskalation der Gewalt vor sechs Jahren beim G-8-Gipfel in Genua finden die Treffen nur noch an weit entlegenen Orten statt. Wie bewerten Sie das?

Diese Entwicklung ist bedauerlich. Sie ist auch das Ergebnis der übertriebenen Berichterstattung der Medien über die Gipfel. Die Aufmerksamkeit der Medien zieht ja auch die Demonstranten an. Wenn ich an den ersten Gipfel in Rambouillet von 1975 zurückdenke, so gab es für die Journalisten am Ende eine Pressekonferenz im Rathaus dieses kleinen Ortes. Das war alles.

Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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