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Politik: Nizza-Vertrag: Bundesregierung irritiert über Prodi

Wenn Diplomaten Erstaunen über eine Meinung äußern, dann soll in der Regel signalisiert werden, dass sie diese für völligen Blödsinn halten. An der Reaktion deutscher Diplomaten auf eine Interviewäußerung des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi ist zu erkennen, wie sehr sie diese verurteilen.

Wenn Diplomaten Erstaunen über eine Meinung äußern, dann soll in der Regel signalisiert werden, dass sie diese für völligen Blödsinn halten. An der Reaktion deutscher Diplomaten auf eine Interviewäußerung des EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi ist zu erkennen, wie sehr sie diese verurteilen. Prodi hatte in einem Interview der "Irish Times" gesagt: "Rechtlich ist die Ratifizierung des Nizza-Vertrages nicht nötig für die Erweiterung". In Irland ist vor knapp zwei Wochen ein Referendum über die Ratifizierung des Vertrages von Nizza gescheitert. Die These als solche ist nicht neu. Der Europaparlamentarier Elmar Brok, der den Nizza-Vertrag neu verhandeln möchte, vertritt seit längerem die Auffassung, einzelne Bestimmungen des Vertrages von Nizza könnten auch in den einzelnen Beitrittsverträgen neu verhandelt werden.

Doch diese Auffassung hat eine andere Qualität, wenn sie vom Präsidenten der EU-Kommission vertreten wird. Dieser korrigierte sich später mit dem Satz "Der Vertrag von Nizza ist der Vertrag von Nizza". Man könne einen Vertrag nicht ändern, der von allen Mitgliedsländern ausgehandelt worden sei. Prodis Sprecher in Brüssel vertrat weiter, dass es - ungeachtet aller existierenden rechtlichen Grauzonen - im schlimmsten Fall auch zum Beitritt neuer Mitglieder ohne Ratifizierung von Nizza kommen könnte. Der geltende Amsterdamer Vertrag ermögliche eine Zahl von 20 EU-Mitgliedsstaaten. Darüber aber, so deutsche Diplomaten, soll jetzt lieber gar nicht laut nachgedacht werden. "Das wäre das falsche Signal", heißt es.

Das falsche Signal an Irland ebenso wie an die Bevölkerung in den Kandidatenländern und in den anderen Mitgliedstaaten. Denn dann würde die Schlussphase der Erweiterungsverhandlungen mit einer neuen Regierungskonferenz belastet. Wenn in den Beitrittsverträgen institutionelle Fragen neu verhandelt würden, könnte sich dies nur auf einzelne Teile beziehen, zum Beispiel die Stimmenverteilung unter den Mitgliedsstaaten. Damit würde der Vertrag von Nizza aufgeschnürt werden. Es wäre möglich, dass die Stimmenverteilung Teil der Beitrittsverträge würde. Auch könnte die ebenfalls in Nizza beschlossene Ausweitung der Themen, über die in der EU mit Mehrheit entschieden werden kann, auf Eis gelegt werden - für Berlin nicht akzeptabel.

Kommissionschef Prodi muss deshalb spätestens beim Allgemeinen Rat am Montag in Luxemburg damit rechnen, von Aussenminister Fischer und einigen seiner Kollegen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Offiziell jedoch wird das Thema kaum eine Rolle spielen, weil niemand Interesse hat, es hochzuspielen.

Mariele Schulze Berndt

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