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Politik: Noch ein Glas Champagner Von Bernd Matthies

Der Vorhang zu, und viele Fragen offen. War es eine cineastisch gelungene Berlinale?

Der Vorhang zu, und viele Fragen offen. War es eine cineastisch gelungene Berlinale? Eher nein, meinen die Cineasten. War es eine gesellschaftlich gelungene, glamouröse Berlinale? Eher ja, meint die Gesellschaft. War es ein wirtschaftlicher Erfolg? Unbedingt, meint die Branche: Der angeschlossene Europäische Filmmarkt boomt wie nie. Haben Hotels und Gaststätten profitieren können? Kommt drauf an, meinen die Hoteliers und Gastwirte. Längst ist noch nicht ausgemacht, mit welchen schmückenden oder abwertenden Begriffen diese Berlinale in die Stadthistorie aufgenommen werden wird, als Meilenstein oder als Routineveranstaltung. Aber das ist nicht wichtig in einer Situation, in der es für die Stadt jetzt und sofort darauf ankommt, einerseits international zu punkten, andererseits die Stimmung der eigenen Bürger so aufzuhellen, dass die lähmende Tristesse der HartzIV-Ära sich nicht zum Dauerzustand jenseits aller Tatsachen verfestigt.

Es scheint sich einiges zu bewegen. Nur so, wie es Dieter Kosslick als Berlinale-Chef handhabt, mit klaren Worten und klaren Maßstäben, kann das Kunststück gelingen, dass die Stadt die Champagnerlaune, den Überschwang und die sanfte Hysterie des Festivals nicht als Fremdkörper abstößt, sondern sich davon anregen lässt. Psychologie, keine harten Fakten, gewiss. Aber das Funktionieren einer Weltstadt ist nun einmal überwiegend ein psychologisches Phänomen, das beweist der atemlose Boom New Yorks nach dem 11.September.

Berlin ist von dieser Art der Zuversicht über Abgründen noch ein ganzes Stück entfernt. Dennoch scheint es, als würden Glamour-Gipfel mehr und mehr als Bestandteile einer Ereignislandschaft wahrgenommen, die einer – wagen wir das große Wort – Metropole angemessen wäre. Grüne Woche, Berlinale, ITB, Christopher Street Day und Karneval der Kulturen, Popkomm, Turnfest und Funkausstellung, dazu die Fußball-WM als perspektivischer Höhepunkt, das ist schon eine ganze Menge Stoff. Und es wächst das Bewusstsein dafür, dass die Zukunft Berlins davon abhängt, die Senken zwischen diesen Ereignissen zu füllen.

Denn leider ist ja auch richtig, dass die Großereignisse auf der Tagesordnung der Stadt ihre Wurzeln fast durchweg in der fast vergessenen Ära des umzäunten West-Berlins haben. Wo neues, attraktives Großstadtmarketing gelingt, ist es oft kein Produkt konzentrierter Überlegungen und tatkräftiger Arbeit, sondern fällt uns gegen allerhand aberwitzige Widerstände mehr versehentlich in den Schoß: Die Verpackung des Reichstags und die sensationell erfolgreiche MoMA-Ausstellung sind zwei Beispiele dafür. Ja, es gibt den ganz neuen „Winterzauber“, der vor allem in der Hotellerie glückliche Gesichter hinterlassen hat, doch der ist bisher nur ein großer, prall gespannter Ballon der Hoffnung, der rasch platzen kann. Hinter attraktiver Verpackung müssen attraktive Inhalte auf Dauer etabliert werden.

Gewiss haben viele Berliner, Dieter Kosslick nicht ausgenommen, jetzt erst einmal genug von Glamour und Stars, von inszenierten Tratschgeschichten und kalkuliert freigelegten Dekolletés. Doch es hilft nichts: Sobald dieser eine Vorhang geschlossen ist, muss sich ein anderer öffnen, sonst funktioniert das Modell Berlin nicht. Die Provinz muss raus aus den Köpfen der Bürger und ihrer Politiker. Wie das gehen kann – dafür ist die Berlinale in dieser Form ein gutes Beispiel.

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