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Michael Gove antwortete im Unterhaus auf die Äußerungen des Chefunterhändlers der EU.

© AFP PHOTO / PRU

Noch vor Verhandlungen mit der EU: Großbritannien kündigt eine harte Linie an

Großbritannien betont vor den Verhandlungen mit der Europäischen Union seine „Souveränität“ – und strebt einen „ehrgeizigen Freihandelsvertrag“ an.

Show oder Vorbote eines dauerhaften Zerwürfnisses? Das Mandat der britischen Regierung von Premier Boris Johnson für die am Montag beginnenden Brexit-Verhandlungen über den zukünftigen EU-Handel gibt sich ähnlich kompromisslos wie der Brüsseler Chefunterhändler Michel Barnier in jüngsten Äußerungen. Man werde „unsere neu gewonnene Souveränität nicht wegverhandeln“, sagte der zuständige Kabinettsminister Michael Gove am Donnerstag im Unterhaus.

Nach dem EU-Austritt Ende Januar befindet sich das Vereinigte Königreich in der sogenannten Übergangsphase. Bis Ende des Jahres muss das Brexitland alle Vorschriften der Gemeinschaft erfüllen, auch wie bisher mehr als zehn Milliarden Euro jährlich in die Brüsseler Kasse einzahlen, hat aber jegliches Mitspracherecht verwirkt. Im Austrittsvertrag vereinbarten die Partner im Herbst den Abschluss eines neuen Handelsvertrages; während die EU stets den ehrgeizigen Zeitplan infrage stellt, pocht London darauf, die Vereinbarung solle bis Jahresende unter Dach und Fach sein. Weil sowohl das Unterhaus wie die Parlamente der 27 EU-Mitglieder zustimmen müssen, steht den Verhandlungsführern wenig mehr als ein halbes Jahr zur Verfügung.

Das am Donnerstag veröffentlichte 30-seitige Dokument stellt die Antwort dar auf die Richtlinien der EU. Großbritannien strebe Freihandel und freundschaftliche Zusammenarbeit mit dem größten Binnenmarkt der Welt an, heißt es darin. Neben dem „ehrgeizigen Freihandelsvertrag“ à la Ceta, der EU-Vereinbarung mit Kanada, soll es separate Abreden über Sicherheit, Luftverkehr und Fischerei geben. In seinem zehnminütigen Statement verwendete Gove siebenmal die Worte „Souveränität“ oder „souverän“.

Der Franzose Barnier hingegen hat den Handelsvertrag ausdrücklich von zwei Voraussetzungen abhängig gemacht, zu denen eine langfristige Garantie über den Zugang zu britischen Gewässern für die Fangflotten von EU-Mitgliedern wie Frankreich und Spanien gehört. Zudem müsse sich Großbritannien dauerhaft zum „offenen und fairen Wettkampf“, dem sogenannten level playing field, bekennen. Dies hatte die Insel in der „politischen Erklärung“ zugesichert, die von den beiden Partnern im Oktober als Teil des Austrittspakets unterzeichnet worden war.

Man werde die Fortdauer von EU-Regel nicht akzeptieren, sagte Gove

Aufseiten der konservativen Regierung herrscht die Argumentation vor, der klare Wahlsieg vom Dezember habe Premier Johnson grünes Licht für einen härteren Kurs gegenüber der EU erteilt. Die Vereinbarung vom Oktober wird deshalb kurzerhand als rechtlich nicht bindend interpretiert. Man werde die Fortdauer von EU-Regeln nicht akzeptieren, betonte Gove und wischte das Brüsseler Argument vom Tisch, wonach das bisherige EU-Mitglied wegen seiner Nähe zum Kontinent anders behandelt werden solle als Kanada, Japan oder Südkorea: „Die Geographie stellt keinen Grund zur Unterminierung der Demokratie dar.“ Hingegen bekräftigte Barnier diese Woche die Bedeutung der politischen Erklärung als Teil des Austrittsvertrages: „Jedes Wort zählt.“ Handelskommissar Phil Hogan deutete gegenüber der „Financial Times“ sogar an, es gehe um Großbritanniens Vertragstreue.

Dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerechnet den Iren mit dem Handelsressort betraut hat, hat in London nicht gerade für Entzücken gesorgt. Politiker von der grünen Insel gelten nicht ganz zu Unrecht als grundsätzlich skeptisch gegenüber Versprechen der früheren Kolonialmacht und gewitzt in der Durchsetzung eigener Interessen.

Unterdessen setzen die vom EU-Handel betroffenen Branchen die Regierung zunehmend unter Druck. Der Branchenverband SMMT warnte im Namen der Automobilhersteller vor der „anhaltenden Unsicherheit“ durch Johnsons Brexit-Kurs. Agrarminister George Eustice wurde beim Jahrestreffen des Bauernverbandes NFU ausgebuht, weil er ausdrücklich Garantien für zukünftige Subventionen verweigerte. Dabei hatte die Vote-Leave-Lobby 2016 im Referendumskampf, angeführt von Johnson und Gove, die ländliche Bevölkerung mit dem Versprechen gelockt, ihre wirtschaftliche Lage werde sich nach dem Verlust der Brüsseler Agrarsubventionen nicht verschlechtern.

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