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Im Hafen von Sassnitz-Mukran (Mecklenburg-Vorpommern) liegen tonnenschwere Rohre für die zukünftige Ostsee-Erdgastrasse Nord Stream 2 bereit.

© Jens Büttner/dpa-ZB

"Nord Stream": Warum die Gazprom-Pipelines so umstritten sind

Gerhard Schröders Engagements verbinden Deutschland und Russland. Auch deshalb sind die Nord-Stream-Gaspipelines umstritten - in der EU, in der Bundesregierung und unter den deutschen Parteien.

Von Anna Sauerbrey

Im Hafen Sassnitz auf Rügen stapeln sich bereits die Rohre. Hier soll Ende des Jahres mit dem Bau von Nord Stream 2 begonnen werden. Dass Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder für einen Posten beim russischen Ölkonzern Rosneft gehandelt wird, lenkt den Blick der Öffentlichkeit auch wieder auf dieses zweite Projekt, das wie kein anderes mit Schröders Namen verbunden ist – und um das derzeit in Brüssel heftig gestritten wird.

Die Pipeline soll russisches Gas nach Europa bringen. Eigentümer ist eine Gazprom-Tochter, gebaut wird unter finanzieller Beteiligung zweier deutscher sowie französischer, österreichischer und niederländischer Unternehmen. Schröder hatte noch als Bundeskanzler 2005 die Parallelpipeline Nord Stream durch eine Staatsbürgschaft ermöglicht und war anschließend in den Aufsichtsrat des Konsortiums gewechselt, jenes Konsortiums, das nun die nicht minder umstrittene Pipeline Nord Stream 2 bauen will.

Angriff auf die Energieunion?

Nicht nur wegen Schröders Job bei der Gazprom-Tochter gilt das Projekt als hochbrisant. Es spaltet die Europäische Union – und sorgt für Uneinigkeit in der großen Koalition. Deshalb ist derzeit unklar, ob die deutsche Bundesregierung das Projekt in Brüssel auch nach der Bundestagswahl so vehement verteidigt wie jetzt – und ob das Projekt überhaupt nach der Wahl noch den politischen Rückhalt hat, den es derzeit genießt.

In Brüssel manifestiert sich die Auseinandersetzung um Nord Stream 2 derzeit in nickeligen Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und Österreich auf der einen und der EU-Kommission und den meisten anderen europäischen Ländern auf der anderen Seite. Das zeigt ein vertrauliches Protokoll von Ende Juli 2017, das dem Tagesspiegel vorliegt. Austragungsort des Streits war unter anderem ein Treffen der Rats-Arbeitsgruppe Energie. Die Arbeitsgruppen bereiten die Treffen der Staats- und Regierungschefs vor.

Vordergründig ging es bei der langen Sitzung um rechtliche Fragen. Hintergrund aber ist sehr grundsätzlicher Ärger: Nord Stream 2 wird besonders von Polen und den baltischen Ländern, aber auch von der Kommission als Angriff auf die Energieunion und die gemeinsame geopolitische Strategie gesehen: die einseitige Abhängigkeit Europas von russischem Gas einzudämmen. Etwa ein Drittel der Gasimporte in Deutschland und der EU kommt aus Russland.

EU-Kommission sieht Versorgungssicherheit gefährdet

Schon im Juli hatte die EU-Kommission angekündigt, sich bei den Staats- und Regierungschefs um ein Mandat zu bemühen, um selbst mit Russland über die Prinzipien des Betriebs von Nord Stream 2 verhandeln zu können. Es ist der Versuch, die europäische Hoheit über die Strategie in der Energiepolitik zurückzugewinnen, die die Deutschen aus Sicht vieler in Brüssel mit Nord Stream 2 untergraben. Nord Stream 2 erleichtere es „einem einzigen Anbieter“ – also Gazprom –, „seine Stellung auf dem EU-Gasmarkt zu stärken“, argumentiert die Kommission.

Bestehende Transportwege, etwa über die Ukraine, würden so gefährdet. Intern wird die Kommission noch deutlicher: Nord Stream 1 und 2 stellten „ein erhebliches Risiko für die EU-Versorgungssicherheit dar“, sagte ein Kommissionsvertreter in Brüssel Ende Juli laut Protokoll. Deshalb sei ein gesonderter EU-Vertrag mit Russland nötig.

In der Arbeitsgruppe Energie des Europäischen Rates konterten die Deutschen mit Unterstützung Österreichs den Vorstoß der Kommission, indem sie deren Zuständigkeit für Verhandlungen mit Russland grundsätzlich in Zweifel zogen. Die Deutschen beziehen sich dabei auf ein Gutachten des juristischen Dienstes des Rates. Zur Begründung führten deutsche Vertreter in der Arbeitsgruppensitzung an, es handele sich um ein wirtschaftliches, nicht um ein politisches Projekt. Manche in Brüssel werten den deutschen Angriff auf die Zuständigkeit der Kommission wiederum als Versuch, den juristischen Dienst des Rates für politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Die Kommission selbst weist Zweifel an ihrer Zuständigkeit zurück: „Das ist nicht das erste Mal, dass die Kommission sich um ein solches Mandat bemüht“, sagte Anna-Kaisa Itkonen, energiepolitische Sprecherin der Kommission, dem Tagesspiegel. „Das ist ein normaler Vorgang. Es gibt dafür in den Verträgen eine Rechtsgrundlage.“ Sie verweist auf vergleichbare Verhandlungen der EU mit Aserbaidschan und Turkmenistan 2011, die ebenfalls die Kommission im Auftrag des Rates führte. Aus Kreisen der Kommission ist außerdem zu hören, im Rat werde zwar über den Umfang des Mandats diskutiert – nicht aber über die Zuständigkeit. „Wir wollen sicherstellen, dass die Pipeline, falls Nord Stream 2 gebaut wird, in transparenter und nicht diskriminierender Weise betrieben wird – wie die Grundprinzipien des internationalen und europäischen Rechts es vorsehen“, sagt Itkonen.

Bundestagswahl könnte das Projekt maßgeblich beeinflussen

Die europäischen Grünen sehen das ähnlich: „Die Kommission hat völlig recht“, meint deren Vorsitzender, Reinhard Bütikofer. „Entgegen der Auffassung von Herrn Gabriel kann ein solches Projekt nicht im rechtsfreien Raum oder im rechtlichen Raum Russlands gestaltet werden. Verhandlungen mit der Russischen Föderation sind erforderlich.“

Die Frage, ob Nord Stream als politisches oder wirtschaftliches Projekt zu betrachten ist und ob ein EU-Vertrag nötig ist, dürfte bald auch in Deutschland wieder diskutiert werden. Wie heftig die Debatte wird, entscheidet der Ausgang der Bundestagswahl. Innerhalb der Union jedenfalls wird der Umgang der Bundesregierung mit Nord Stream 2 umso offener kritisiert, je näher die Wahl rückt. Zu den prominenten Kritikern gehören der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, und der Europaparlamentarier Elmar Brok.

Sie nahmen Schröders Rosneft-Engagement zum Anlass, ihre Kritik zu erneuern. „Nord Stream ist ein politisches Projekt“, bekräftige Brok am Dienstag gegenüber dem Tagesspiegel. „Wir müssen endlich begreifen, dass Energiepolitik auch Sicherheitspolitik ist. Es darf nicht ein einzelnes ausländischen Staatsunternehmen bei uns eine marktbeherrschende Rolle spielen.“ Brok fügt hinzu: „Wenn die Bundestagswahl herum ist, müssen wir uns in Deutschland zusammensetzen und offen und ehrlich darüber diskutieren.“

Wie viel Unterstützung Nord Stream 2 künftig in Brüssel erfährt, hängt auch vom Wahlausgang ab. Angela Merkel hat sich bislang in der Frage nicht offen gegen die SPD gestellt. In jeder Regierung ohne die SPD dürfte Nord Stream aber an politischer Unterstützung verlieren. Mit einer grünen Regierungsbeteiligung wäre das Projekt vermutlich tot.

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