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Politik: Nordkorea probt den Markt

Die Regierung hat das Coupon-System für Nahrungsmittel abgeschafft. Die Menschen dürfen selbst einkaufen – zu höheren Preisen

Von Harald Maass, Peking

Rund 20 Millionen Nordkoreaner bekommen in diesen Tagen zum ersten Mal keine staatlichen Coupons für Reis, Gemüse und Fleisch ausgeteilt. Stattdessen müssen sie Nahrungsmittel in Geschäften und Märkten selbst kaufen. Die Abschaffung des staatlichen Verteilungssystem ist der bislang größte Einschnitt in das Wirtschaftssystem des sozialistischen Staates. Die Regierung will damit „den Enthusiasmus der arbeitenden Bevölkerung“ und die Wirtschaftsproduktion ankurbeln, erklärte ein Sprecher des nordkoreanischen Außenministeriums.

Die Regierung hat deshalb die Löhne um bis zu 20 Prozent angehoben. Bisher betrug das Durchschnittsgehalt in Nordkorea 200 Won – auf dem Schwarzmarkt entspricht dies einem Dollar. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichten, dass gleichzeitig die staatlichen Preise um das bis zu 40-fache gestiegen sind. Ein Kilogramm Reis kostet statt 0,89 Won jetzt 40 Won. Der Preis für Mais wurde von 0,49 Won auf 20 Won angehoben. Ein Busticket in der Hauptstadt Pjöngjang kostet nun zwei Won – das 20-fache des bisherigen Preises.

Nordkorea hat damit die Verteilungswirtschaft durch ein Marktsystem ersetzt. Für das sozialistische Regime ist das ein großer Schritt: Die Regierung erkennt damit die bestehende Schattenwirtschaft an. Viele landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften hatten bislang nur einen Teil der Ernte an den Staat abgeliefert und den Rest auf Bauernmärkten verkauft. Millionen Nordkoreaner überleben nur noch dank dieser halb legal Bauernmärkte, auf denen Lebensmittel zu Marktpreisen gehandelt werden. Die neuen, vom Staat festgelegten Preise entsprechen denen der freien Märkte. Für den ärmsten Teil der Bevölkerung könnte sich die Versorgungssituation deshalb verschlechtern.

Ausländische Beobachter warnen jetzt vor zu hohen Erwartungen. „Nordkorea ist noch nicht auf dem Reformweg, den China vor 20 Jahren beschritt“, sagt ein Diplomat. Um die Staatswirtschaft in Gang zu bringen und die Not der Menschen zu lindern, müsste Pjöngjang das System der „Juche“, der nationalen Selbstversorgung, aufgeben, die Landwirtschaft privatisieren. Dafür gibt es keine Anzeichen. Zwar sei die Getreideernte im Frühjahr mit 441 000 Tonnen relativ gut ausgefallen, so das Welternährungsprogramm. Millionen Menschen seien aber auf ausländische Hilfslieferungen angewiesen.

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