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Kann sich auf die 52 Abgeordneten aus Nordhrein-Westfalen meist verlasssen: SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann.

© dpa

Nordrhein-Westfalens Einfluss in der SPD-Bundestagsfraktion: "Es ist nicht unsere Art, andere plattzumachen"

Gegen die NRW-Landesgruppe geht wenig in der SPD-Bundestagsfraktion. Sie hat ihre Macht ausgebaut in den letzten Jahren - und feiert nun 50. Geburtstag.

Von Hans Monath

Für Sigmar Gabriel dürfte es eine Art Heimspiel werden. Wenn der SPD-Vorsitzende am Mittwoch auf der Feier zum 50. Geburtstag der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion spricht, weiß sich der Politiker unter Freunden. Denn die vielen Abgeordneten in der Fraktion, die aus dem größten deutschen Bundesland stammen, verfügen nicht nur über entscheidende Macht, sondern sind auch ein verlässlicher Rückhalt für den Parteichef, an dessen Glaubwürdigkeit manche in der SPD zweifeln. Auch Gabriels Kritiker wissen, dass sie gegen Nordrhein-Westfalen keinen Gegenkandidaten durchsetzen können. Die Genossen an Rhein und Ruhr aber stehen zum Vorsitzenden, auch weil sie vor ihrer nächsten Landtagswahl im Mai 2017 nicht monatelange Unruhen und Debatten im Willy- Brandt-Haus erleben wollen. Die unvermeidliche Chaosphase rund um einen Wechsel an der Parteispitze würde ihre Wähler verrückt machen und die Wiederwahl von Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin gefährden.

In der SPD-Bundestagsfraktion ist gegen den Willen der gegenwärtig 52 NRW-Abgeordneten (von insgesamt 193) kaum eine Entscheidung durchsetzbar – und das war auch schon so, als die Sozialdemokraten noch über weit mehr Sitze im Bundestag verfügten. Weil sich die Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren auch noch eng mit den Landesgruppen Niedersachsen und Bayern abstimmen, stellt die intern "Allianz der Guten" genannte Dreiergruppe die Hälfte aller SPD-Bundestagsabgeordneten – ein politisches Bollwerk, an dem niemand vorbeikommt. Auch auf Parteitagen setzen sich die Vertreter der drei Länder zusammen und bereiten Entscheidungen vor.

Glaubt man NRW- Landesgruppenchef Achim Post, ist das besondere Gewicht der vielen Abgeordneten, für die er spricht, auch mit besonderer Verantwortung in der Fraktion verbunden. Gerade bei Konflikten sei es "als größtes Lager unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass wir uns einigen können", sagt er.

Ein bisschen klingt das nach dem Rezept, mit dem viele Bundesregierungen in der EU vor der Euro-Krise gut gefahren waren: Weil jeder um die Macht Deutschlands weiß, wurde sie von den Bonner und später den Berliner Vertretern im Interesse gemeinschaftlicher Lösungen nicht brutal ausgespielt.

Ob das die Landesgruppen in der Fraktion auch so sehen, die nicht so eng mit NRW kooperieren wie die Niedersachsen und die Bayern? Im Jubiläumsbuch zum 50. Geburtstag bedankt sich Post bei den übrigen Landesgruppen nicht nur für die gute Zusammenarbeit, sondern auch "für die Nachsicht, falls wir gelegentlich zu selbstbewusst waren". Tatsächlich loben andere Landesgruppen, dass die Nordrhein-Westfalen in der Fraktion auf gemeinsame Ziele mehr Rücksicht nehmen würden als auf Parteitagen, wo die vielen NRW-Delegierten ihre Macht deutlicher und rücksichtsloser ausspielten.

Auch Posts Vorgänger Axel Schäfer, der die Landesgruppe von 2009 bis 2015 leitete, betont das Bemühen, trotz numerischer Dominanz verschiedene Interessen auszugleichen: "Es ist nicht unsere Art, andere plattzumachen." Die enge Vernetzung verschiedener Ebenen, zwischen SPD- geführter Regierung und Landtagsfraktion und Landesverband in Düsseldorf, Fachpolitikern, SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament und der Bundestagsfraktion ist für Schäfer die Voraussetzung, dass die NRW-Anliegen zum Tragen kommen.

Für Lösungen, die dem ganzen Land nutzen, könne sich NRW einsetzen, weil es keine Sonderinteressen verfolgen müsse, argumentiert er. In seinem Bundesland seien die Probleme und Stärken der ganzen Republik vertreten, weshalb der Landesgruppe eine besondere Aufgabe zukomme, meint der Bochumer Abgeordnete: "Wir sind ein Spiegelbild der Gesamtpartei in kleinerer Form, wir haben alles außer Alpen und Meer."

Ist Nordrhein-Westfalen das soziale Gewissen der Bundesrepublik?

Als größte Landesgruppe stellen die Nordrhein-Westfalen in Bundesregierung, Bundestag und Fraktion wichtige Posten: Umweltministerin Barbara Hendricks zählt dazu, Bundestagsvizepräsidentin Ulla Schmidt, die Fraktionsvizes Karl Lauterbach, Rolf Mützenich und Axel Schäfer und etliche Ausschussvorsitzende. Schaut man in die Geschichte, sieht man so berühmte sozialdemokratische NRW-Abgeordnete wie Erich Ollenhauer, Karl Schiller, Gustav Heinemann und Hans-Jürgen Wischnewski. Die NRW-Abgeordneten Peer Steinbrück und Franz Müntefering arbeiten noch heute in der Fraktion. Gegründet wurde die Landesgruppe aber erst 1966 – unter maßgeblichem Einfluss des späteren Ministerpräsidenten Johannes Rau.

Weil das bevölkerungsreichste Bundesland viel Industrie beheimatet und mitten im Strukturwandel steht, haben seine Bundestagsabgeordneten für die Themen Arbeit, soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Entwicklung ein besonderes Gespür. Auch im Ringen um Bundeshilfen für die klammen Kommunen hat die Landesgruppe in jüngster Zeit eine entscheidende Rolle gespielt. In den Monaten vor der Landtagswahl werden ihre Abgeordneten versuchen, auf Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die ihre heimische Stahlindustrie betreffen. Unter anderem geht es um die Reform des Gesetzes über Erneuerbare Energien und die Blockade chinesischer Billigimporte durch die EU.

In den Augen von Ministerpräsidentin Kraft trägt die Landesgruppe dazu bei, ein Versprechen einzulösen, welches ihr CDU-Vorgänger Karl Arnold vor mehr als 65 Jahren gegeben hatte: "dass Nordrhein-Westfalen das soziale Gewissen der Bundesrepublik bleiben werde".

Zum Jubiläum entdecken übrigens viele SPD-Politiker, dass sie eigentlich auch dazugehören. In der Festschrift weisen Fraktionschef Thomas Oppermann ("Ich bin ein Nordrhein-Westfale") und Außenminister Frank-Walter Steinmeier ("NRW – da komme ich her") darauf hin, dass sie in dem Bundesland geboren wurden. Und als Überraschungsgast zur Feier eingeladen ist ein Sozialdemokrat, der im Kreis Lippe und damit ebenfalls in NRW zur Welt kam: Gerhard Schröder.

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