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Notfall-Psychologin betreut Angehörige der Absturz-Opfer: „Der Verlust verschiebt das Wertesystem“

Sabine Rau betreut als Notfall-Psychologin seit dem Tag des Absturzes der Germanwings-Maschine Angehörige der Opfer. Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen im Umgang mit den Betroffenen.

Frau Rau, Sie betreuen die Angehörigen der Opfer seit dem Tag des Absturzes. Kann eine Mutter den Tod ihres Sohnes oder ihrer Tochter bei solch einer Katastrophe je verarbeiten?

Aus Sicht von Eltern, Partnern oder Kindern würde die Antwort heute vielleicht lauten: Das kann man gar nicht verarbeiten. Es wäre schon zu klären, was man unter „verarbeiten“ versteht. Die Angehörigen befinden sich an einem Punkt in ihrem Leben, an dem nichts mehr so ist, wie es vorher war. Sicherlich ist es gut, wenn das verbleibende Familienumfeld stabil ist und man sich gegenseitig stützt. Trotzdem wird niemand diese Erfahrungen abstreifen können und Verarbeitung ist kein nur aktiv steuerbarer Prozess. Ich wünsche den Betroffenen, dass sie die Katastrophe eines Tages als Teil ihres Lebens einordnen und ihren weiteren Lebensweg gut gestalten können.

Was ist das Wichtigste für Angehörige in dieser Situation?

Das Wertesystem verschiebt sich mit einem solchen Verlust, vieles ist plötzlich unwichtig. Den höchsten Wert, das Leben eines geliebten Menschen, haben sie mit dem Absturz verloren. Manche Betroffene wollen nur in Ruhe gelassen werden. Andere möchten gern Hilfe in Anspruch nehmen. Dann kommen wir Notfallpsychologen ins Spiel.

Wie sieht die psychologische Betreuung konkret aus?

Es gibt nicht „die psychologische Betreuung“, es handelt sich um ein sehr individuelles Angebot, das am Bedarf und der Situation der Betroffenen ausgerichtet ist. So kann eine Aufgabe im Rahmen der Notfallpsychologie sein, Gefühle verstehbar zu machen und einen guten Umgang damit zu unterstützen. So fühlen sich viele Hinterbliebene betäubt. Dieser Zustand kann ein Schutzmechanismus sein, der die Betroffenen vor einem zu hohen Maß an Emotionalität schützt. Mit dem Absturz endet für viele der Angehörigen der bisherige Lebensweg, im besten Fall kann es Angehörigen gelingen, Anschluss an ihr vorheriges Leben zu finden oder gesund neue Wege zu beschreiten.

Vermutlich hat der Kopilot die Germanwings-Maschine zum Absturz gebracht. Wie gehen die Angehörigen damit um?

Für manche ist es nicht wichtig, ob das Flugzeug wegen eines technischen Defekts oder durch das Handeln eines Täters abgestürzt ist. Andere sind wütend, dass man ihnen ein Kind oder einen Lebensgefährten vorsätzlich weggenommen hat. Einen technischen Fehler könnte man nachvollziehen, dieses hier nicht: Den Kopiloten können wir nicht mehr befragen.

Sabine Rau ist leitende Notfall-Psychologin der Stadt Düsseldorf. Seit 2005 führt sie die Klinik für Drogenabhängige am städtischen Gesundheitsamt.

Paul Middelhoff

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