zum Hauptinhalt
Notre-Dame nach dem Brand

© AFP/Eric Feferberg

Notre-Dame nach dem Brand: Wiederauferstehung eines Gotteshauses

Wie weiter nach dem Feuer in der Kathedrale? Unsere Kolumnistin versteht plötzlich, warum die Deutschen ihr kulturelles Erbe immer gerne „so wie früher“ hätten.

Notre-Dame brennt lichterloh auf dem Fernsehbildschirm in meinem Berliner Wohnzimmer, und ein Schwall von Erinnerungen überkommt mich. Da sind die kleinen, sehr persönlichen Erinnerungen: Ich war acht Jahre alt, als ich das erste Mal auf einen der beiden Türme stieg. Unvergessliche erste Parisreise ... Später dann ein Museumsbesuch im Louvre und die Entdeckung des Gemäldes von Jacques-Louis David, „Le sacre de Napoléon“ („Die Krönung Napoleons“): Es zeigt den Kaiser, der vor dem Altar in Notre-Dame seiner Ehefrau Josephine eigenhändig die Krone aufsetzt.

Die Erinnerung an einen Nachmittag im Kino: Esmeralda, gespielt von Gina Lollobrigida, tanzt in einem roten Kleid auf dem Vorplatz der Kathedrale. Das war noch lang vor der Walt-Disney-Version.

Aber es gibt auch die kollektiven Erinnerungen an die Geschichtsbücher in der Schule und die historischen Momente in der Geschichte Frankreichs. Um nur die jüngsten zu nennen: 1944, als General de Gaulle die Kathedrale betritt, intoniert die Orgel Te Deum und dann La Marseillaise. 1995 die Gedenkfeier für den gerade verstorbenen Mitterand.

Die versammelte laizistische „Kaviar-Linke“ von Paris Seite an Seite mit den Großen dieser Welt unter dem Gewölbe der Kathedrale. Die Tränen Helmut Kohls, das angespannte Gesicht von Prince Charles und Yasser Arafats Kufiya. Und vor Kurzem erst die Messe für die Opfer des Attentats vom November 2015, das gerade das Land traumatisiert hatte. Die Republik hat sich das Gotteshaus immer wieder als symbolischen Ort für große Momente und Gesten angeeignet.

Eine Kirchenprozession vor der abgebrannten Kathedrale von Notre-Dame.
Eine Kirchenprozession vor der abgebrannten Kathedrale von Notre-Dame.

© Gonzalo Fuentes / REUTERS

Es grenzt an ein Wunder, dass Notre-Dame acht Jahrhunderte lang vor Zerstörung verschont blieb. Weder das Mittelalter noch die Revolution, noch Kriege haben sie in ihrer Gesamtheit beschädigt. In den Augen der Deutschen womöglich eine surrealistische Langlebigkeit. Die Zerstörung von kulturellem Erbe ist hier vertraut. Die Bilder des Feuerinfernos mögen bei Älteren Erinnerungen an die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs wachrufen. Als ich den Dachstuhl von Notre-Dame in Flammen sah, musste ich gleich an die Frauenkirche in Dresden, die Gedächtniskirche in Berlin, die Garnisonskirche in Potsdam und so viele andere denken.

Wenn Emmanuel Macron verspricht, Notre-Dame innerhalb von fünf Jahren „noch schöner als vorher“ aufzubauen, verstehe ich plötzlich, warum die Deutschen ihr kulturelles Erbe immer unbedingt gerne „so wie früher“ hätten. Was tun? Wir können doch wohl nicht eine gähnende Ruine mitten in Paris stehen lassen! Die Diskussionen um den Wiederaufbau der Kathedrale erinnern auf frappierende Weise an so manche Diskussion in Deutschland: Soll man die Spuren, die das Feuer hinterlassen hat, und somit die Spuren des Dramas erhalten? Oder soll man Notre-Dame detailgetreu wieder aufbauen und das Feuer schnellstmöglich vergessen?

Der Berliner Reichstag wird in Paris derzeit häufig als gelungenes Beispiel für die Verschmelzung von Altem und Neuem genannt. Ich bin wahrhaftig keine Freundin des Stadtschlosses; ein seltsames, schnörkeliges Bauwerk, das zwar originalgetreu nachgebaut wird, aber eben trotzdem eine Attrappe ist, die man im 21. Jahrhundert mitten in Berlin errichtet. Wie absurd! Aber wie weit würden wir heute in Frankreich gehen, um unsere Kathedrale wieder auferstehen zu lassen, die Trägerin so vieler Erinnerungen ist und ein Teil unserer Identität?

Aus dem Französischen übersetzt von Odile Kennel.

Zur Startseite