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NPD-Verbot: Schwer erträglich

Zurzeit wird diskutiert, ob die NPD als verfassungsfeindliche Partei auch juristisch bekämpft werden kann. Es ist keineswegs eine neue Debatte. Schon vor mehr als 40 Jahren gab es den Versuch, die rechtsextreme Partei loszuwerden. Und manche Argumente von heute ähneln denen von damals auf verblüffende Weise.

Von Frank Jansen

Die Ordner der NPD sind gut gerüstet. Helme mit Visier, Kinnschutz, Nackenschutz, massive Koppelschlösser, schwere Lederhandschuhe. Die linken Gegendemonstranten werden überrascht. Der Schlägertrupp, mindestens 60 Mann stark, prügelt drauflos. Fünf Opfer erleiden so schwere Verletzungen, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Zwei Hundertschaften der Polizei stehen in der Nähe, sehen aber angeblich nichts und schreiten nicht ein. Ein Skandal. Brauner Krawall und eine desorientierte Staatsmacht – in der Bundesrepublik hatte man gehofft, dass solche Szenen der Geschichte angehören würden.

Durch das Land rauscht eine Welle der Empörung. Die CDU verurteilt den „wüsten Haufen der NPD“, die Innenminister der SPD beraten über Konsequenzen. Die FDP fordert, Versammlungen der NPD generell zu verbieten. Der Deutsche Richterbund warnt vor einer „Brutalisierung der politischen Auseinandersetzung“. SPD und Gewerkschaften sehen sich in einer zentralen Forderung bestätigt: Die NPD muss verboten werden. So schnell wie möglich. Die rechtsextreme Partei geifert zurück, sie sei „Volksfrontterror“ und „Pogromstimmung“ ausgesetzt.

Das ist jetzt mehr als 43 Jahre her. Doch was am 25. Juli 1969 in Frankfurt am Main und in den Wochen danach geschah, am Rande einer Wahlkampfveranstaltung der NPD im Cantate-Saal, wirkt seltsam vertraut. Prügelnde Rechtsextremisten, SPD-Politiker, die auf ein Verbotsverfahren dringen, eine NPD, die sich als Opfer sieht – 2012 scheint nicht so weit weg zu sein von damals.

Ein Vergleich zeigt erstaunliche Parallelen. Die Debatten aus diesem Jahrtausend über ein NPD-Verbot, die aktuelle wie auch die beim „Aufstand der Anständigen“ vor mehr als zehn Jahren, wirken mit Blick auf die 60er Jahre fast wie ein Déjà-vu-Erlebnis. Und jedes Mal stellt sich die Frage, wo die bundesdeutsche Demokratie die Grenzen setzt zwischen politischer Hygiene und Hysterie.

Im Sommer 1969 hat die NPD einen rasanten Aufstieg hinter sich. Die Partei, erst fünf Jahre zuvor gegründet, sitzt in sieben Landtagen, dort rumoren 61 Abgeordnete herum. Der Verfassungsschutz schätzt, dass die NPD beinahe 30 000 Mitglieder habe. Parteichef ist Adolf von Thadden, ein distinguiert auftretender Herr aus einer pommerschen Dynastie von Gutsbesitzern. Der Mittvierziger kann eine kernige rechte Biografie vorweisen: Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs Eintritt in die NSDAP, Soldat an vielen Fronten, mehrfach verwundet. Nach damaligem Maßstab ein Held.

Auch nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes orientiert sich von Thadden am rechten Rand – obwohl die Nazis seine Halbschwester Elisabeth, die mit dem Widerstand gegen Hitler sympathisierte, 1944 im Gefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet haben.

„Den von Thadden hat die NPD fürs Reputierliche gebraucht, fürs Bürgerliche“, sagt ein prominenter Zeitzeuge, Norbert Blüm. Er war schon Ende der 60er einer der führenden Köpfe des „linken“ Flügels der CDU. Nun hat der Ex-Bundesarbeitsminister in seinem Büro den Telefonhörer abgenommen und erinnert sich an die „brachialen Schlägertrupps“ der NPD und die enormen Erfolge der Partei. Blüm erklärt sie mit der sozialen Unsicherheit nach dem Ende des Wirtschaftswunders, aber auch mit dem Widerwillen konservativer Teile der Bevölkerung gegen die Studentenbewegung. Und doch war Blüm, wie eine Mehrheit in der Union, „strikt“ gegen ein Verbot der rechtsextremen Konkurrenz. „Beim Wort Verbot sträuben sich meine antiautoritären Nackenhaare“, sagt er, „wir haben damals gesagt: Wir müssen das ideologisch schaffen, mit der NPD fertig zu werden“.

Avantgarde der Verbote-Befürworter

„Eigentlich“ sieht Blüm das heute auch so. Und mit ihm viele Politiker in CDU und CSU, bis hin zu Bundestagspräsident Norbert Lammert und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Beide warnen davor, die NPD vor das Bundesverfassungsgericht zu zerren, weil die Risiken einer juristischen Auseinandersetzung unkalkulierbar sind. Man könnte sagen, die Union ist sich, zumindest in Teilen, über 43 Jahre hinweg treu geblieben. So wie die FDP, die auch damals ein NPD-Verbot ablehnte. Die SPD fordert wie in den 60ern vehement ein Verfahren gegen die NPD. Die Sozialdemokraten waren damals, erneut 2001 mit ihrem Kanzler Gerhard Schröder und sind heute abermals die Avantgarde der Verbote-Befürworter.

Wenn Norbert Blüm „eigentlich“ sagt, deutet er allerdings an, dass er sich seiner Haltung nicht mehr sicher ist. Auch das passt zur Union von heute. „Die Rechtsextremisten sind gefährlicher als damals“, sagt er und erwähnt die Terrorgruppe NSU. In den 1960ern, meint Blüm, waren die Rechtsextremen nicht so gewalttätig, trotz solcher Krawalle wie der in Frankfurt. „Aber heute schlachten die regelrecht Leiber“, sagt Blüm und verweist auf die vielen Angriffe mit Keulen, Messern und Brandsätzen.

Und doch war vor mehr als 40 Jahren die Debatte um ein NPD-Verbot nicht weniger heftig als heute. 1968 legt der damalige Bundesinnenminister Ernst Benda eine „Materialsammlung“ vor, die den verfassungswidrigen Charakter der NPD belegen soll. „Materialsammlung“ – so heißt auch heute das mehr als 1000 Seiten starke Konvolut, das die Verfassungsschutzbehörden in diesem Jahr zum Thema „mögliches NPD-Verbotsverfahren“ erstellt haben. Und das nun Grundlage des Verbotsantrags sein wird, den die Innenministerkonferenz vergangene Woche in Rostock beschlossen hat. An diesem Freitag wird der Bundesrat formal den Antrag beschließen. 1968 drang CDU-Minister Benda mit seiner Sammlung nicht durch. Dabei war 1952 die braune SRP und vier Jahre später die KPD verboten worden.

Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, so zitiert ihn damals der „Spiegel“, seufzt im Kabinett, „was bedeutet das schon juristisch, dass jemand einem Reichsmythos huldigt?“ Benda muss seine Materialsammlung überarbeiten. Zu einem Verbotsantrag kommt es nicht. Die Regierung Kiesinger kann sich nicht durchringen, obwohl die SPD mit im Kabinett sitzt, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik. Vizekanzler Willy Brandt drängt und drängt, doch vergebens. Und Herbert Wehner, im Kabinett Kiesinger Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, empfiehlt schon mal dem Bundesverfassungsgericht, es sollte einen Verbotsantrag „ohne juristische Akribie“ behandeln. Doch als 1969 Brandt selbst zum Kanzler gewählt wird, lässt der Verbotseifer bei ihm nach. Vermutlich aus zwei Gründen – wegen einer massiven Niederlage der NPD und seltsamer Manöver der SPD in West-Berlin.

Bei der Bundestagswahl am 28. September 1969 scheitert die NPD mit 4,3 Prozent. Von Thadden ist fassungslos, er hatte bis zu zwölf Prozent erwartet. Die Krawalle in Frankfurt und bei weiteren NPD-Veranstaltungen, auch die wenig substanzielle Arbeit der 61 Abgeordneten in den sieben Landtagen haben viele potenzielle Wähler abgeschreckt.

Vermutlich kommt aber noch etwas anderes, nämlich das Chaos der NPD in West-Berlin, hinzu.

Im Herbst 1968 wendet sich der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz an die USA, Großbritannien und Frankreich. Sie üben seit dem Ende des Krieges die Oberhoheit über die Mauerstadt aus. Der Sozialdemokrat bittet die Westmächte, die NPD zu verbieten. Obwohl die Partei in West-Berlin nur um die 500 Mitglieder zählt. Wie können ein paar hundert Rechtsextremisten eine Stadt mit 2,2 Millionen Einwohnern verschrecken?

Er habe die Bitte von Klaus Schütz als „Resignation, Rückzug, Feigheit“ empfunden, sagt Norbert Blüm. Er hielt den Versuch für absurd, „sich die NPD von den Amis vom Hals schaffen zu lassen“.

Also doch verbieten?

Harsche Kritik muss sich der Regierende Bürgermeister damals auch vom Tagesspiegel anhören. Schütz’ Bitte erwecke „den Eindruck, als sei die NPD in Berlin wirklich eine Gefahr – wo das Gegenteil tatsächlich der Fall ist“, schreibt Joachim Bölke, leitender Redakteur der Politikredaktion, im Oktober 1968. Aber Bölke stört sich auch, wie die Berliner CDU, an den bundespolitischen Konsequenzen. „Jetzt soll es nach dem Willen des Senats eine Partei weniger als im Bundesgebiet geben, obwohl es gerade dort bisher keine rechtliche Handhabe gegen diese Partei gibt“, ärgert sich der Leitartikler. Aus seiner Sicht würde ein von den Westalliierten verhängtes Verbot der NPD in West-Berlin die Argumentation von DDR und Sowjetunion bestätigen, die Mauerstadt sei rechtlich kein Bestandteil der Bundesrepublik.

Schütz wehrt sich. Als innenpolitisches Problem würde man mit der NPD fertig werden, sagt der Regierende Bürgermeister einige Tage später, aber „als außenpolitische Belastung ist sie schwer erträglich“. Und: „Der NPD-Stempel auf unserer Stadt kann lebensgefährlich werden.“

Die Alliierten bleiben reserviert. Sie befürchten, Sowjetunion und DDR, die West-Berlin umklammerten, könnten die Aktivitäten einer Nazi-Partei unendlich lange propagandistisch ausschlachten. Doch plötzlich gibt es eine Wende. Eine vermeintliche.

Noch im Oktober 1968 verkündet die West-Berliner NPD, sie löse sich auf. Als Grund führt sie an, „dass der unglaubliche Vorgang eines Bittgesuchs der Berliner SPD/FDP-Senatsmehrheit an die Alliierte Kommandantur zum Verbot der NPD in Berlin führen kann“. Die SPD jubelt. Die Selbstauflösung sei „die Bestätigung, dass Berlin kein geeigneter Nährboden für extremistische Bestrebungen“ sei. Der Tagesspiegel erwähnt auch die Reaktion der DDR: Beim Beschluss der NPD handele es sich „um einen mit Bonn und Schöneberg vereinbarten Schachzug, behauptete die Zonen-Agentur ADN“. Das stimmte zwar nicht, doch die West-Berliner NPD lebte weiter. Nach der Klage eines Mitglieds hob das Landgericht im Januar 1969 den Beschluss zur Selbstauflösung als nicht satzungsgemäß vollzogen auf. Die NPD machte weiter. Sie tut das bis heute.

Und die Angst vor der Partei ist geblieben. Obwohl sie in Berlin noch weniger Mitglieder zählt als 1968 – etwa 250. Im Bund sind es keine 6000. Das ist nur ein Fünftel dessen, was die Partei vor 43 Jahren zu bieten hatte. Die NPD sitzt heute auch statt in sieben nur in zwei Landtagen, mit 13 statt 61 Abgeordneten wie 1969. Trotzdem wurde da auf ein Verbot verzichtet, jetzt scheint es dringend zu sein. Verstehen Sie das, Herr Blüm?

„Es streitet in mir“, sagt der ehemalige Bundesarbeitsminister. „Die Typen sind gefährlicher als früher, wegen der vielen Gewalt, und dann soll ich als Steuerzahler noch Geld dafür geben.“ Nein, sagt Blüm, „das ist auch mit meiner christlichen Nächstenliebe nicht zu vereinbaren“. Er wolle „nicht ins Gesicht geschlagen werden“. Also doch verbieten?

Blüm überlegt.

Ein Verfahren, sagt er, könnte der NPD viel Aufmerksamkeit verschaffen, „die hat dann einen Nimbus“. Dann ringt er sich durch. „Wenn man ein Verbot macht, dann muss man auch eine große Welle machen“, eine Kampagne gegen Rechtsextremismus, an Schulen, in der gesamten Gesellschaft. Das dürfe man, sagt Blüm, „nicht Hobbygärtnern überlassen“.

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