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Kraft muss schauen, mit wem sie ihren Haushalt durchbringt.

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NRW: Lavieren mit der Minderheit

Hannelore Kraft regiert Nordrhein-Westfalen seit 100 Tagen – auf den Weg gebracht hat sie noch nicht viel.

Das Gespür für den richtigen Zeitpunkt hat Jürgen Rüttgers nicht verlassen. Wenige Tage vor dem Ende der Hunderttagefrist für seine Nachfolgerin Hannelore Kraft hat sich der ehemalige Düsseldorfer Ministerpräsident in mehreren Interviews zu Wort gemeldet. Noch bevor die neue Regierungschefin ihre Sicht der Dinge über die dreimonatige Amtszeit zu Protokoll geben konnte, hat er seine Deutung geliefert. Seine Abwahl, ließ er sich zitieren, habe wenig mit den Leistungen des politischen Gegners, umso mehr aber mit den Versäumnissen der schwarz-gelben Bundesregierung zu tun. „Das sieht selbst die Bundeskanzlerin so“, behauptet der abgewählte Christdemokrat.

In fast allen Analysen wird allerdings deutlich, dass die Wähler in Nordrhein- Westfalen am 9. Mai der schwarz-gelben Koalition im Land einen Denkzettel verpassen wollten; die Deutung, dass es dabei in erster Linie um eine Korrektur der Bundespolitik gegangen ist, wird selbst in der Union nicht geteilt. Seit Rüttgers die Fäden der Macht entglitten sind und mit Armin Laschet und Norbert Röttgen gleich zwei mögliche Nachfolger bereitstehen, wird auch in der CDU kräftig über die eigenen Versäumnisse und Fehler in Düsseldorf geredet. Es wird inzwischen sogar offen darüber gestritten, ob man Rüttgers jetzt schon zum Ehrenvorsitzenden der Landes- CDU wählen kann. Es ist „besser, wenn die CDU damit noch einige Zeit ins Land gehen“ lassen würde, hat der Vorsitzende der Senioren-Union, Leonhard Kuckart, jetzt sogar gesagt – und sich damit unter anderem für den vergeblichen Versuch von Rüttgers gerächt, ihn aus dem Amt drängen zu wollen.

Kraft schaut sich diese Folgen des Machtverlustes bei der neuen Opposition aus sicherer Distanz an. Sie lässt sich nicht dazu hinreißen, die beiden möglichen Gegenkandidaten Laschet oder Röttgen zu bewerten. Was auch damit zu tun hat, dass beide aus ihrer Sicht gleichermaßen Vor- und Nachteile haben. Mit Laschet würde ein Vertreter der abgewählten Regierung zu ihrem Widersacher aufwachsen, der sie allerdings jederzeit im Parlament stellen kann. Röttgen wäre inhaltlich schwerer auszurechnen, dafür sitzt er zunächst einmal weit weg in Berlin.

Da die Umfragewerte sowohl für ihre Regierung wie für sie persönlich im Moment eher günstig sind, kümmert sie sich allerdings nur begrenzt um die CDU. Sie versucht nach wie vor, sich mit ihrem Minderheitskabinett durch die Parlamentssitzungen zu lavieren und achtet peinlich genau darauf, nicht von der Linken abhängig zu werden. Die hat zwar mit ihrer Enthaltung dafür gesorgt, dass Kraft ins Amt gekommen ist, aber inhaltlich ist die Zusammenarbeit bisher eher schwierig. Von 59 Abstimmungen im Parlament hat die rot-grüne Regierung bisher zwar keine verloren. Doch ging es überwiegend um formale Dinge. „Wir warten noch auf den Politikwechsel“, kritisiert deshalb der Linken-Fraktionschef Wolfgang Zimmermann.

In der Tat liegen Vorhaben wie die Abschaffung der Studiengebühren oder die Verbesserung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst noch im Parlament. Bevor sich dort etwas tut, muss die Regierung ihre ganze Kraft aufbringen, um den Nachtragshaushalt mit Rekordschulden durch den Landtag zu bringen. Rot-Grün versteht das als eine Art Schlussbilanz von Schwarz-Gelb und kommt auf insgesamt 8,9 Milliarden neue Schulden im laufenden Jahr, unter anderem zur Risikovorsorge für die angeschlagene West LB. Dass CDU und FDP zustimmen, ist ausgeschlossen, die Linke ziert sich noch. Bisher hofft Kraft darauf, dass sie die notwendigen Stimmen aus dem linken Lager bekommt – ansonsten gibt es Neuwahlen. Daran aber haben vorerst weder Linke noch CDU und FDP ein Interesse.

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