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Unter Protest. Demjanjuk zeigt die Nummer einer KGB-Akte, die ihn entlaste.

© dpa

NS-Prozess: Demjanjuk: Nur ein ukrainischer Bauer

John Demjanjuk, Angeklagter in Münchner NS-Prozess, sieht sich als Opfer und droht mit Hungerstreik. Sein Verteidiger fordert die Ladung zahlreicher neuer Zeugen.

Der Mann, der im Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben wird, lässt sich auch diesmal nicht in die Augen sehen. John Demjanjuk trägt eine dunkle Sonnenbrille, die er während des gesamten Verhandlungstages nicht absetzen wird. In der Hand hält er ein Schild, auf dem nur die Nummer 1627 steht. Als die Kameras weg sind, legt er das Schild beiseite. Welchen Zweck diese Inszenierung hat, wird erst viel später deutlich.

Es ist ein Prozess, in dem es immer wieder auch um Zahlen geht und in dem die Zahl der Opfer geradezu unvorstellbar erscheint: Demjanjuk ist vor dem Landgericht München angeklagt, als Wachmann im nationalsozialistischen Vernichtungslager Sobibor im Jahr 1943 am Mord an 27 900 Menschen beteiligt gewesen zu sein. Der 90-Jährige erhob am Dienstag in einer von seinem Verteidiger Ulrich Busch vorgelesenen Erklärung schwere Vorwürfe gegen das Gericht und drohte mit einem Hungerstreik. Innerhalb von zwei Wochen werde er mit dem Hungerstreik beginnen, falls das Gericht nicht „seine Pflicht akzeptiert, nach Gerechtigkeit zu suchen, anstatt nur einen politischen Schauprozess abzuhalten“, heißt es in der von Demjanjuk unterzeichneten Erklärung.

Das Gericht versuche, „einen ukrainischen Bauern für die Verbrechen schuldig zu sprechen, die Deutsche im Zweiten Weltkrieg begangen haben“, kritisierte der Angeklagte, der sich dreifach als Opfer darstellte: als Opfer der von Stalin gewollten Hungersnot in der Ukraine, der Nationalsozialisten in der Kriegsgefangenschaft und als Opfer der Justiz in den USA und Israel. Das 1988 von einem israelischen Gericht gegen ihn gesprochene Todesurteil nannte er in einem Atemzug mit den stalinistischen und nationalsozialistischen Verbrechen. „Deutschland versucht, meine Würde, meine Seele, meinen Geist und mein Leben auszulöschen mit einem politischen Schauprozess“, ließ Demjanjuk erklären, der während der Verlesung des Textes regungslos auf einem Krankenbett lag und Richtung Decke blickte.

Der Verteidiger stellte am Dienstag mehr als 80 Beweisanträge, die sich zum Teil in der Argumentation stark wiederholten. Auf diese Weise wollte er den Nachweis erbringen, dass der Angeklagte weder an den Tattagen noch zu einem anderen Zeitpunkt in Sobibor gewesen ist, dass sowjetische Kriegsgefangene wie Demjanjuk ebenfalls Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik waren und dass die im Lager Trawniki ausgebildeten ausländischen Helfer der SS keine Wahl hatten, ob sie sich an der Ermordung der Juden beteiligten oder nicht. Busch forderte die Ladung zahlreicher neuer Zeugen und die Beschaffung unzähliger Dokumente, darunter auch eine Ermittlungsakte, die der sowjetische KGB angeblich über Demjanjuk angefertigt habe – mit der Nummer 1627, jener Nummer, die der Angeklagte auf dem Schild in die Kameras gehalten hatte.

Angesichts der stundenlangen Verlesung von Beweisanträgen durch den Verteidiger musste das für Dienstag geplante Plädoyer des Staatsanwalts verschoben werden. Staatsanwaltschaft und Nebenklage warfen Busch vor, den Prozess zu verschleppen. Entweder habe Busch vollkommen die Übersicht verloren, was man aber nicht glauben könne, „oder die Verteidigung agiert mit eindeutiger Absicht der Prozessverschleppung“, sagte der Nebenklagevertreter Cornelius Nestler. An diesem Mittwoch will Busch noch mehr Beweisanträge stellen.

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