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Demjanjuk Prozess

© AFP

NS-Verbrecherprozess: Verteidiger: Demjanjuk ist Überlebender, kein Täter

Demjanjuks Verteidiger hat zu Beginn des Prozesses seinen Mandaten als Opfer dargestellt. Gegen den Richter und die Staatsanwaltschaft stellte er einen Befangenheitsantrag. Demjanuk muss sich wegen Beihilfe zum Mord an 27.900 Juden verantworten.

Der Münchner Prozess gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk hat am Montag mit einem Befangenheitsantrag seiner Anwälte begonnen. Ihr Mandant könne kein Vertrauen in Gericht und Staatsanwaltschaft haben, da deutsche SS-Männer in früheren Prozessen unter Berufung auf einen Befehlsnotstand freigesprochen worden seien, sagte Verteidiger Ulrich Busch am Montag vor dem Landgericht München II. Der heute 89-jährige gebürtige Ukrainer Demjanjuk soll als Kriegsgefangener mit den Nazis kollaboriert und schließlich bei der Ermordung von 27.900 Juden geholfen haben. Sein Anwalt Busch fragte: "Wie kann es sein, dass Vorgesetzte und Befehlshaber unschuldig sind, der Untergebene aber schuldig?"

Es dürfte weltweit einer der letzten Prozesse um NS-Verbrechen sein. Laut Anklage hat Demjanjuk 1943 im Vernichtungslager Sobibor im besetzten Polen als Wachmann geholfen, die größtenteils aus den Niederlanden stammenden Nazi-Verfolgten in die Gaskammern zu treiben. Er war im Mai dieses Jahres von den USA nach Deutschland abgeschoben worden.

Hauptbeweismittel ist ein SS-Dienstausweis mit der Nummer 1393. "Abkommandiert am 27.3.43 Sobibor" ist handschriftlich darauf notiert. Die Verteidigung von Demjanjuk bezweifelte weiter die Echtheit des Dokuments. Staatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch betonte dagegen kurz vor Prozessbeginn, er halte die Beweismittel für ausreichend.

Da Demjanjuk selbst bisher zu den Vorwürfen schweigt, wird ein langwieriger Indizienprozess erwartet. Zudem haben die Ärzte festgelegt, dass wegen der angeschlagenen Gesundheit des Angeklagten pro Tag nicht länger als zwei Mal 90 Minuten verhandelt werden darf.

Unter diesen Einschränkungen sei der Angeklagte durchaus verhandlungsfähig, sagte Gutachter Albrecht Stein am ersten Prozesstag. Dies gelte unabhängig davon, dass Demjanjuk an einer Knochenmarkserkrankung als Krebs-Vorstufe ebenso wie an Gicht, Herzschwäche und Bluthochdruck leide.

Weil Demjanjuk kaum Deutsch spricht, muss die Verhandlung komplett übersetzt werden. Im Prozess unter Vorsitz von Richter Ralph Alt treten 19 Nebenkläger auf, die ihre Angehörigen in Sobibor verloren haben. Auch der Direktor des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff, reiste zum Prozessauftakt an, ebenso die Journalistin Beate Klarsfeld, die seit Jahrzehnten gegen die Vertuschung von Naziverbrechen kämpft. Wegen des großen Andrangs und der massiven Sicherheitskontrollen verzögerte sich der Beginn am Montag um mehr als eine Stunde. Demjanjuk wurde schließlich im Rollstuhl von zwei Pflegern in den Gerichtssaal gefahren.

Keiner der noch lebenden Zeugen kann sich konkret an Handlungen Demjanjuks bei der Ermordung von Juden erinnern. Doch die Anklage folgert, dass in Sobibor stets das gesamte Personal an der Vernichtung beteiligt war, wenn die Gefangenentransporte eintrafen. Denn das Lager diente allein der Vernichtung von Juden. Bis zu 150 sowjetische Kriegsgefangene und 30 SS-Leute waren dort im Einsatz.

Demjanjuk war 1942 als Sowjetsoldat in Gefangenschaft geraten und entschied sich laut Anklage zur Kooperation mit den Nazis. Im SS-Ausbildungslager Trawniki soll er zum Wachmann geschult und in Sobibor sowie später im KZ Flossenbürg eingesetzt worden sein. Einer der Hauptzeugen ist ein anderer Trawniki, der mit Demjanjuk in Flossenbürg eingesetzt war.

Nach dem Krieg lebte Demjanjuk unter anderem in Feldafing in Oberbayern, bevor er in den 1950er Jahren nach Cleveland (US-Bundesstaat Ohio) auswanderte und US-Bürger wurde. Als sich die Vorwürfe gegen ihn verdichteten, entzogen ihm die USA die Staatsbürgerschaft. Nach langem juristischen Tauziehen wurde Demjanjuk im vergangenen Mai nach Deutschland abgeschoben.

Bereits 1988 war Demjanjuk in Israel als "Iwan der Schreckliche" aus dem Vernichtungslager Treblinka zum Tode verurteilt worden. 1993 wurde das Urteil aber aufgehoben, weil er verwechselt worden war. Demjanjuk kehrte in die USA zurück. (jg/smz/dpa)

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