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Update

NSA-Abhörskandal: Über die Stränge geschlagen

US-Geheimdienste schnüffeln besonders intensiv in Deutschland und auch bei der EU. Die Empörung ist groß - doch wie will die Politik hierzulande dagegen vorgehen?

Wanzen in Büros diplomatischer Vertretungen, eine halbe Milliarde abgefangener Telefonate und Mails, gehackte Computer – nach einem Freundschaftsbeweis der Amerikaner gegenüber den Europäern hört sich das alles nicht an. Der „Spiegel“ hat in seiner jüngsten Ausgabe aus „streng geheimen“ Unterlagen zitiert, die der Whistleblower Edward Snowden zugänglich gemacht hat. Dabei wird möglicherweise ein riesiger Lauschangriff der Amerikaner auf die Europäer offengelegt. Demnach soll der amerikanische Geheimdienst NSA jeden Monat eine halbe Milliarde Kommunikationsverbindungen allein aus Deutschland speichern und auswerten. Die Büros der diplomatischen Vertretungen der EU in Washington und bei den Vereinten Nationen sollen verwanzt und Computer infiltriert worden sein. Die Bundesrepublik und einige andere europäische Staaten sind laut den Papieren nur Partner dritter Klasse, auf die Lauschangriffe aus amerikanischer Sicht gestattet sind.

Wie reagieren Deutschland und die EU auf den Abhörskandal?

Diplomatisch verärgert. Regierungssprecher Steffen Seibert brachte am Montag die Verwunderung und das Befremden über die Berichte zum Ausdruck. Aufklärung wird nun gefordert. Das ist die feine Art zu sagen, dass man eigentlich stinksauer ist. Schließlich glaubte man, die Wogen nach dem Bekanntwerden des Spähprogramms Prism beim Besuch von US-Präsident Barack Obama etwas geglättet zu haben. Doch nun kommt möglicherweise ein Fall ans Licht, der nicht nur in seiner Dimension größer ist, sondern auch die Regierung selbst betreffen könnte. Bisher hat die Bundesregierung nur Fragenkataloge an die amerikanischen Freunde geschickt. Darauf hat man bis dato keine wirkliche Antwort erhalten – und das dürfte auch diesmal nicht ausreichen. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück versucht das Thema für Angriffe auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zu nutzen: Ihre Äußerungen könnten „den Eindruck nähren, dass sie mehr weiß, als bisher bekannt geworden ist“. Sein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel geht noch etwas weiter und wirft Merkel Mitwisserschaft vor. In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt er, dass die Reaktion der Kanzlerin den Verdacht zulasse, dass ihr die Ausspähung „zumindest dem Grunde nach durchaus bekannt war“. Merkel wies diesen Vorwurf empört zurück. Das Vorgehen des SPD-Vorsitzenden, der Bundeskanzlerin Mitwisserschaft an flächendeckenden Ausspähungen zu unterstellen, sei angesichts berechtigter Sorgen vieler Menschen um den Schutz ihrer Privatsphäre „zynisch“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert der Nachrichtenagentur AFP. Merkel weise diese Unterstellung „entschieden zurück“.

Während Merkel noch von „Aufklärung“ spricht, fordert Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande bereits eine „Erklärung“ von den Amerikanern. Auch verlangt er ein Stopp der Spähaktionen. Außerdem kündigte die EU an, ihre Gebäude zu überprüfen und bestellte den US-Botschafter ein. Vor allem die Frage nach den Motiven beschäftigt die EU. Denn bisher argumentierten die Amerikaner, dass der Kampf gegen den internationalen Terror die Mittel rechtfertigen würden. Nur fragt man sich, welche Erkenntnisse man dazu in den EU-Einrichtungen gewinnen wollte. Viele Politiker befürchten, dass es sich eher um Wirtschaftsspionage handeln könnte. US-Präsident Barack Obama kündigte am Rande seiner Afrika-Reise an, man werde die Verbündeten „angemessen unterrichten“. In Bezug auf Deutschland fügte Obama hinzu: „Wenn ich wissen will, was Kanzlerin Merkel denkt, dann rufe ich Kanzlerin Merkel an...Letztlich arbeiten wir so eng zusammen, dass es fast keine Informationen gibt, die wir nicht zwischen unseren Ländern teilen“.

Welche Rolle spielen die deutschen Sicherheitsbehörden?

Das lässt sich noch nicht ausreichend beantworten. Aber der Vorgang ist für die Sicherheitsdienste eine schwierige Angelegenheit. Denn Bundesamt für Verfassungsschutz und Militärischer Abschirmdienst sind auch für die Spionageabwehr zuständig, und wenn es stimmt, dass beide nichts wussten und nur aus den Medien von den Vorgängen erfahren haben, hätten sie in diesem Punkt ihre Aufgabe nicht erfüllt. Seibert verwies lediglich auf das Parlamentarische Kontrollgremium, vor dem sich die Dienste rechtfertigen müssten. Der Vorsitzende des Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), berief eine Sondersitzung für diesen Mittwoch ein.

Zwar beteuert auch der Bundesnachrichtendienst (BND), von den Vorgängen nur aus den Medien erfahren zu haben. Der „Spiegel“ berichtet aber, dass der BND den NSA durchaus unterstützt habe. Zur Zusammenarbeit mit anderen Diensten hält man sich beim BND bedeckt. Genau wie bei der Frage, ob Deutschland nicht sogar von Informationen der NSA profitiert habe. Dabei gilt als sicher, dass einige Terroranschläge auf deutschem Boden vor allem dank der Informationen der Amerikaner verhindert werden konnten, etwa durch die Festnahme der sogenannten „Sauerland-Gruppe“ 2007. Die Informationen zwischen Geheimdiensten fließen allerdings nie eins zu eins. Es werden keine Rohdaten wie Telefonverbindungen, Mailadressen oder ähnliches weitergegeben, auch wird nicht über den Weg der Informationsgewinnung gesprochen, sondern nur die Auswertung der Daten geht zum befreundeten Dienst.

Würde der BND ähnlich vorgehen wie die NSA?

Der BND hat zunächst einmal gar nicht die technischen Möglichkeiten, das Personal und das Geld, um Daten in einer solchen Menge zu sammeln und auszuwerten. Stattdessen geht man dort gezielter vor. Genau deshalb ist man wohl auch froh, dass es Dienste gibt, die noch so agieren – zumal befreundete. Seibert betont zwar, dass es nicht zur Politik der Bundesregierung gehöre, „befreundete Staaten in ihren Botschaften auszuforschen“, was die konkrete Arbeit des Dienstes angeht, verweist er aber nur auf das BND-Gesetz.

Ist womöglich auch die Bundeskanzlerin ausspioniert worden?

Das ist unklar, Belege dafür gibt es nicht. Das Bundesinnenministerium verwies am Montag darauf, dass die Bundesregierung in einem besonders geschützten Netz kommuniziere – sowohl mit Rechnern in Büros als auch bei mobilen Geräten. Nicht jeder Rechner habe einen direkten Zugang zum Netz, sondern es gibt gesammelt über einige besonders geschützte Knotenpunkte Netzzugang. Außerdem müsse bei Telefonaten jeder selbst entscheiden, welche Verbindung er für welche Informationen wählt. Bei besonders vertraulichen Informationen gibt es die Möglichkeit, Handys mit einer bestimmten Verschlüsselungstechnologie zu nutzen. Allerdings kündigte jetzt das Innenministerium an, die Sicherheitsstandards überprüfen zu wollen. Auch das Auswärtige Amt kündigte Überprüfungen der Kommunikationssysteme in den Botschaften für den Fall an, dass sich die Berichte über Spionage in diplomatischen Vertretungen bewahrheiten sollten.

Warum steht Deutschland so im Mittelpunkt der Amerikaner?

Zum einen kam einer der Attentäter des 11. September 2001 aus Hamburg, was das Vertrauen der Amerikaner in die deutsche Geheimdienstarbeit nachhaltig erschüttert hat. Zum anderen gilt Deutschland als kommunikatives Zentrum Europas. Die Datenmenge hier ist ungleich größer als in anderen Ländern und nach der Logik der Amerikaner damit auch das Potenzial, wichtige Informationen abzugreifen. Außerdem gibt es in Frankfurt am Main einen der wichtigsten Internet-Knotenpunkte der Welt. An diese Schnittstelle sind fast 500 Internetdienstanbieter und andere Organisationen aus mehr als 52 Ländern angebunden. Auch der Datenverkehr in den Nahen Osten und nach Nordafrika läuft über dieses Zentrum.

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