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NSA-Affäre: Geheimdienste verstießen gegen deutsches Recht

Spionage und das Ausspähen von Daten stehen in Deutschland unter Strafe. Doch was nutzen deutsche Gesetze im Skandal um US-amerikanische Geheimdienste?

Wie ein Datenstaubsauger soll der amerikanische Geheimdienst NSA in Deutschland agiert haben. Zur Terrorabwehr wurden nach Angaben des ehemaligen Mitarbeiters Edward Snowden hunderte Millionen von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten abgegriffen und ausgewertet. Der Deutsche Anwaltverein hält es für sehr wahrscheinlich, dass die völkerrechtliche Souveränität Deutschlands, sollten sich die Vorwürfe bestätigen, verletzt wurde.

Ist das Vorgehen der USA strafbar?

Nach dem Gesetzeswortlaut ja. Wenn Staatsorgane von ausländischen Geheimdiensten bespitzelt wurden, handelt es sich wahrscheinlich um Spionage, die nach Paragraf 99 des Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist, in schweren Fällen beträgt die Höchststrafe zehn Jahre. Internet- und Telefon-Verbindungsdaten von Privatpersonen auszuspähen, ist nach Paragraph 202a des Strafgesetzbuches verboten. Die Strafe beträgt hier bis zu drei Jahren.

Was kann man als Bürger gegen solche Big-Brother-Methoden tun?

Einige deutsche Bürger haben bereits Strafanzeige gestellt. Das ist (normalerweise) der vorgesehene Weg, um gegen Straftaten vorzugehen. Für Spionage, auch Wirtschaftsspionage, ist die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zuständig. Die unbefugte Speicherung von Telefonverbindungsdaten bei Privatpersonen haben dagegen die örtlichen Staatsanwaltschaften zu verfolgen. Nach Auskunft des Deutschen Anwaltverein können Bürger oder Unternehmen im Prinzip juristisch nur die Bundesregierung zum Handeln auffordern. Ausschlaggebend sind die Schutzpflichten der Bundesregierung zum Beispiel zur Währung des Fernmeldegeheimnisses. Eine Klage hätte aber nur Aussicht auf Erfolg, wenn die Bundesregierung nachweislich nicht oder offensichtlich unzulänglich reagiert. Wenn die Bundesregierung zusichert, weitere Aufklärungsgespräche zu führen, wird das wohl genügen.

Aber die Verantwortlichen sitzen doch im amerikanischen Ausland?

An der Strafbarkeit ändert das grundsätzlich nichts. Wer vom Ausland aus Straftaten in Deutschland – auch in deutschen Netzen – begeht, unterliegt dem deutschen Strafrecht, selbst wenn er sich in seinem Heimatland nicht strafbar macht. Beispiel: Ein in Australien lebender Beschuldigter leugnete im Internet den Holocaust und betrieb von dort aus in deutscher Sprache Volksverhetzung.

In vielen Staaten ist die Holocaust-Leugnung keine Straftat und der Mann agierte ja vom Ausland aus. Der Bundesgerichtshof musste im Jahr 2000 entscheiden, ob der Hetzer trotzdem in Deutschland verurteilt werden kann. Er bejahte das. Denn die Leugnung der Judenmorde konnte und sollte in Deutschland gelesen werden. Der sogenannte „Erfolgsort“ der Tat war Deutschland, deshalb galt für ihn das deutsche Strafrecht.

Das Strafrecht erscheint wie ein stumpfes Schwert

Die deutschen Staatsanwaltschaften müssen also den Anzeigen gegen den US–Geheimdienst nachgehen?

Ja, sie müssen die Vorwürfe prüfen. Aber damit ist längst nicht gesagt, dass es zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, Anklagen oder gar Verurteilungen kommt. Denn zunächst muss der Nachweis geführt werden, dass die Anschuldigungen von Edward Snowden stimmen. Er wird aber kaum nach Deutschland zur Zeugenaussage einreisen, die US-Behörden würden sofort seine Auslieferung beantragen. Ob deutsche Ermittler in Moskau Vernehmungen durchführen könnten, gilt als unwahrscheinlich.

Aber selbst bei ausreichenden Indizien gilt eine Anklage gegen die verantwortlichen Behördenleiter oder deren Helfer als unrealistisch. Das deutsch-amerikanische Verhältnis wäre schwer belastet. Der Marburger Professor Christoph Safferling verwies gegenüber der Online-Plattform „Legal Tribune“ auf die deutsche Strafprozessordnung. Dort steht, dass die Staatsanwälte Auslandstaten nicht verfolgen, „wenn die Durchführung des Verfahrens die Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführen würde“.

Sind deutsche Bürger faktisch der Überwachung ausgeliefert?

Jedenfalls erscheint das Strafrecht nach augenblicklicher Lage ein eher stumpfes Schwert zu sein. Der Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Wolfgang Ewer, sieht vor allem eine politische Handhabe. Er fordert, die Regelung der Zusammenarbeit der Dienste von schwammigen Rechtsbegriffen zu befreien. „Es kann nicht sein, dass ausländische Dienste Verfahren umgehen, die deutschen Diensten in Deutschland verboten sind und die Informationen dann aber doch den deutschen Diensten wieder zufließen“, sagte Ewer. Da müsse es Regelungen geben.

Die USA können sich auf den Bündnisfall berufen

Worauf könnten sich die Amerikaner bei ihren Aktivitäten berufen?

Zunächst einmal auf sich selbst. Sie könnten die Argumentation ins Feld führen, dass Telekommunikation, die über amerikanische Server läuft, auch in ihren Rechtsbereich fällt und damit nicht den deutschen oder europäischen Regeln unterliegt. Sie könnten aber auch historisch argumentieren. Zwar sagt die Bundesregierung, dass Verwaltungsvereinbarungen aus dem Jahr 1968, wonach die Westalliierten die deutschen Geheimdienste um Post- und Fernmeldekontrolle ersuchen könnten, faktisch bedeutungslos und entsprechend notwendige Anfragen seit 1990 nicht mehr gestellt worden seien. Doch die Vereinbarungen sind nach wie vor in Kraft. Wolfgang Ewer sieht in den Verwaltungsabkommen allerdings keine Zustimmung. „Da wäre auch nur geregelt, dass deutsche Dienste tätig werden für die Alliierten und nicht, dass diese selbst geheimdienstliche Arbeit auf deutschem Boden vornehmen dürfen“, sagte er. Außerdem bezöge sich das Abkommen auch nur auf das alte Bundesgebiet.

Die Amerikaner könnten aber auch auf die Zeit nach dem 11. September 2001 verweisen. Damals hat die Nato den sogenannten Bündnisfall ausgelöst. Der stützt sich auf Artikel 5 des Nato-Vertrages und sagt im Prinzip, dass die anderen Nato-Mitglieder einem angegriffenen Mitgliedstaat Hilfe leisten. Dabei treten die einzelnen Mitgliedstaaten, also auch Deutschland, gewisse Hoheitsrechte an eine zwischenstaatliche Organisation ab, also die Nato. Der Sonderermittler des Europarats zu den Geheimflügen und geheimen Gefängnissen der CIA in Europa, Dick Marty, hält es für sehr wahrscheinlich, dass damals den US-Geheimdiensten weitreichende Befugnisse zugebilligt wurden, die man nun nicht mehr kontrollieren könne. „Man hat den Schlüssel des Hauses an die CIA und andere Dienste der USA gegeben und man weiß heute nicht mehr, was die ganz genau mit diesem Schlüssel gemacht haben“, sagte Marty dem Deutschlandfunk. Er verweist auf eine geheime Nato-Ratssitzung, in der das Operative des Bündnisfalls geregelt worden sei. Demnach hätte Deutschland etwas gewusst.

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