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Update

NSA, Obama und Merkel: Freunde im Visier der USA

In den USA erregen die neuen Späh-Vorwürfe gegen den Geheimdienst NSA großes Aufsehen – die Rolle Obamas wird kritisch betrachtet. Neben Angela Merkel sollen 35 weitere Spitzenpolitiker abgehört worden sein. Wie stark ist das deutsch-amerikanische Verhältnis belastet?

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Es ist ein Satz, der die Amerikaner in Aufruhr versetzt. „Die Telefonate von Bundeskanzlerin Merkel werden nicht abgehört und werden auch in Zukunft nicht abgehört werden…“ Zur Zeit und in der Zukunft ist also alles klar. Doch was in der Vergangenheit geschah, darüber wird auch in den USA heftig spekuliert. Jay Carney, Sprecher des Weißen Hauses, verlor darüber kein Wort.

Wie sind die Worte des amerikanischen Regierungssprechers zu bewerten?

Wie jeder Regierungssprecher vor ihm, wählt auch Jay Carney seine Worte mit Bedacht. Seine Statements sind üblicherweise scharf kalkuliert. Und so ist das, was Carney sagt, in der Regel genau so wichtig wie das, was er nicht sagt. Den Meinungsmachern in den USA ist das nicht entgangen, und so dominiert die Frage, ob US-Präsident Barack Obama den Bündnispartner Deutschland wissentlich ausspionieren ließ, die US-Zeitungen am Donnerstag.

Wie wahrscheinlich ist es, dass Obama von der Ausspähung Merkels wusste?

Ganz überraschend wäre das nicht, denn in den letzten Tagen gab es ähnliche Vorwürfe aus Frankreich, Mexiko und Brasilien. Diese Details stammten, wie auch die Enthüllungen zu Abhöraktivitäten in Deutschland, aus der Kladde von Edward Snowden, dem ehemaligen NSA-Techniker, der zuerst zum Whistleblower und bald zum größten Problem der amerikanischen Regierung wurde. Unklar ist zunächst, über welchen Zeitraum die amerikanischen Geheimdienste die Bundeskanzlerin überwacht haben – wenn sie es getan haben. Mit großer Wahrscheinlichkeit geht die umstrittene Aktion der NSA bis in die Zeit von George W. Bush zurück, der als Reaktion auf die Terrorangriffe des 11. September 2001 die Überwachungsaktivitäten seiner Regierung massiv ausgebaut hatte. Der „Patriot Act“ setzte zunächst zahlreiche Grundrechte der Amerikaner aus und erlaubte der Regierung in nie dagewesenem Maße Zugriff auf private Daten der Bürger. Zeitgleich wurden auch die Geheimdienste verstärkt. Das seinerzeit gegründete „Department of Homeland Security“ - das Heimatschutzministerium – wuchs schnell zum größten und teuersten Ministerium der US-Regierung heran.

Und doch: Selbst wenn die Spionage-Tätigkeiten der Amerikaner gegen Verbündete auf die Bush-Regierung zurückgehen, kann sich Präsident Obama aus dem aktuellen Schlamassel kaum befreien. Er hat, entgegen seiner Wahlkampfversprechen, in Sachen Spionage, Drohnen oder Guantanamo keinen Richtungswechsel geschafft – er hat es nicht einmal versucht. Aktuell gibt es für den amerikanischen Präsidenten nur zwei Positionen: Obama ist entweder ein Lügner, der seine Geheimdienste spionieren ließ, während er die Belauschten beruhigte. Oder er hat seinen Geheimdienst schlicht und einfach nicht unter Kontrolle – auch kein angenehmer Gedanke.

Wie reagieren die USA auf die Vorgänge?

Nach außen gibt man sich zunächst noch ganz ruhig. In seiner kurzen Stellungnahme vor dem Pressekorps des Weißen Hauses betonte Carney explizit, wie wichtig die Zusammenarbeit mit Deutschland für die USA sei – auch und besonders im Bereich der Terrorabwehr. Da hat man in der Vergangenheit wohl auch Erfolge vorzuweisen: Die Überwachung deutscher Telefonate durch die NSA soll 2007 dazu bekanntlich dazu geführt haben, dass Amerika einen Terrorangriff von Islamisten vereiteln konnte, der amerikanische Soldaten und deutsche Staatsbürger in Deutschland gleichermaßen gefährdet hätte.

Und doch: Wer gemeinsam gegen Terror vorgehen will, sollte das auch in Abstimmung mit den Partnern machen und nicht jahrzehntealte Partnerschaften gefährden. Dass Außenminister Westerwelle am Donnerstag den amerikanischen Botschafter einbestellte, machte in den USA Schlagzeilen, weil man sieht: Den Deutschen ist es ernst, es droht ein massiver Vertrauensverlust im deutsch-amerikanischen Verhältnis. Damit gerät die Außenpolitik Obamas langsam auch bei denen ins Visier, die sonst hinter dem Präsidenten stehen. Kritische Stimmen häufen sich in den Online-Kommentaren der „New York Times“ und anderer eher liberaler Medien.

Zahlreichen Beobachtern ist zudem ein Detail nicht entgangen: Bundeskanzlerin Merkel ist in der DDR aufgewachsen und weiß, welche Auswirkungen Lauschangriffe der Regierung auf die eigenen Bürger und auf Verbündete haben. Nun maßregelt ausgerechnet sie den Präsidenten einer Weltmacht, die vordergründig stets für Freiheit und Bürgerrechte einsteht.

Wie könnte Deutschland, wie könnte Europa reagieren?

Den Übergriff von jenseits des Atlantiks verurteilt die Politik in Deutschland einhellig als Vertrauensbruch. Kenner der deutsch-amerikanischen Beziehungen sehen in der scharfen Reaktion Merkels nun ein Indiz dafür, dass die persönliche Beziehung zwischen ihr und Obama beschädigt ist. Ob das auch für das Verhältnis beider Länder gilt, ist noch offen. Deren Fundament ist stabil dank gemeinsamer Werte und gemeinsamer Interessen. Mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen gibt es auch ein großes gemeinsames Projekt, von dem die EU und die USA wirtschaftlichen Aufschwung erhoffen.

Johannes Thimm, Amerika-Experte von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), sieht durch die NSA-Affäre zwar die transatlantischen Beziehungen als ganzes nicht infrage gestellt. Konsequenzen seien dennoch nötig – angemessen, direkt auf die Sache bezogen. Neben politischen, eher symbolischen Akten, wie sie mit der Einbestellung des Botschafters und dem Telefonat Merkels mit Obama bereits geschehen seien, müsse man auch über wirtschaftliche Maßnahmen nachdenken, sagte Thimm dem Tagesspiegel. „So könnte man mit europaweiten wirksamen Datenschutzregeln und der Androhung, eigene Internetinfrastrukturen aufzubauen, Silicon Valley unter Druck setzen. Die dortigen Großunternehmen würden ihrerseits stärker auf Washington einwirken“, sagte Thimm. Ebenso wichtig wäre seiner Ansicht nach auch, dass die europäischen Staaten in ihrer Geheimdienstarbeit besser kooperieren. „Das ist bislang nur nationale Angelegenheit, und das hat zur Folge, dass die USA die einzelnen europäischen Staaten gegeneinander ausspielen können.“

Die Einbestellung eines Botschafters gilt im Instrumentenkasten der Diplomatie als eine harte Maßnahme. Dass der Botschafter eines der engsten Verbündeten Deutschlands am Donnerstag ähnlich behandelt wurde wie sonst seine Kollegen aus Syrien oder Nordkorea, ist ein Vorgang ohne Beispiel.

Wurden weitere Spitzenpolitiker abgehört?

Nicht nur bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) soll der US-Geheimdienst NSA gelauscht haben: Einem Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“ zufolge überwachte die NSA in der Vergangenheit die Kommunikation von 35 internationalen Spitzenpolitikern. Die Telefonnummern hätten die Spione von einem Beamten der US-Regierung erhalten, schrieb die Zeitung am Donnerstag in seiner Onlineausgabe. Bei der Überwachung seien aber „wenige meldepflichtige Erkenntnisse“ herausgekommen. Der „Guardian“ beruft sich auf vertrauliche Dokumente des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden. Der Bericht fußt auf einem internen Memo der NSA aus dem Jahr 2006, das Mitarbeitern des Geheimdienstes Ratschläge erteilt, wie sie am besten Telefonnummern möglicher Überwachungsziele ausfindig machen können.

Die NSA arbeitete den Angaben zufolge eng mit dem Weißen Haus, dem US-Verteidigungsministerium und dem US-Außenministerium zusammen, um an Kontaktdaten zu kommen. Ein Beamter habe dem Geheimdienst alleine mehr als 200 Nummern übergeben. Darunter seien Angaben für 35 führende ausländische Politiker gewesen, die umgehend auf die Liste der Spähziele aufgenommen worden seien. Die Namen der Spitzenpolitiker wurden nicht genannt. (AFP)

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