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NSU-Ermittlungen: Polizist soll Thüringer Neonazis Informationen geliefert haben

Ein Thüringer Polizist wird verdächtigt, Interna an Rechte aus dem Umfeld des NSU verraten zu haben. Hinweise von V-Leuten sollen das nahe legen. Wussten die Behörden mehr als gedacht?

Von Frank Jansen

Schon länger existiert der Verdacht, die Bande „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ habe dank direkter oder indirekter Informationen aus den Sicherheitsbehörden die lange Zeit von fast 14 Jahren aus dem Untergrund agieren können. Beweise gibt es nicht, aber viele Fragen – und nun auch Hinweise auf zwei Polizeibeamte, die erklärungsbedürftige Kontakte zur rechtsextremen Szene unterhalten haben sollen. Im Umfeld des Bundestagsuntersuchungsausschusses zum Fall NSU war am Sonntag zu hören, „die Häufung von Merkwürdigkeiten in dienstlichen Lebensläufen in Thüringen wie auch anderen Ländern“ bedürfe einer „grundlegenden Aufarbeitung“.

Was ist dran am Verdacht gegen Sven T.?

Der Beamte, der Ende der 1990er Jahre in Thüringen in der Polizeidirektion Saalfeld tätig gewesen sein soll, fiel 1999 einem rechtsextremen V-Mann des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) auf. Der Spitzel berichtete, Sven T. habe an einem Stammtischtreffen der Kameradschaft „Thüringer Heimatschutz (THS)“ teilgenommen. Beim THS waren Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe Mitglieder, bevor sie 1998 in den Untergrund gingen und den NSU gründeten. Der Verfassungsschutz erfuhr auch, Sven T. habe das THS-Mitglied Enrico K. vor Razzien gewarnt. Der V-Mann charakterisierte den Beamten als „national eingestellt“, was auf eine ultrarechte Gesinnung schließen lässt.

Die Opfer der NSU-Mordserie:

Zweimal soll der Spitzel das Bundesamt für Verfassungsschutz auf den Polizisten hingewiesen haben. Dies geht aus den Akten hervor, die das Thüringer Innenministerium dem Untersuchungsausschuss des Bundestages geschickt hat. Belege, dass Sven T. über den „Thüringer Heimatschutz“ das untergetauchte NSU-Trio vor Fahndungsmaßnahmen warnte, gibt es nicht. Der Polizist soll aber einem NPD-Funktionär in Saalfeld dienstliche Informationen verraten haben, der mit Ralf Wohlleben befreundet war, dem mutmaßlich engsten Unterstützer des NSU. Wohlleben sitzt als einziger Beschuldigter aus dem Umfeld der Terrorgruppe weiter in Untersuchungshaft.

Ein anderer rechtsextremer V-Mann, der dem Militärischen Abschirmdienst aus der Szene berichtete, soll zudem einen weiteren Polizisten genannt haben, der mit Thüringer Neonazis verkehrte. Und es gibt Vermutungen, auch ein dritter Beamter habe gegenüber Rechtsextremen Dienstgeheimnisse ausgeplaudert.

Möglich ist allerdings auch, dass die braunen V-Leute ein doppeltes Spiel trieben und die Polizisten gezielt in einen falschen Verdacht brachten – um Beamte, die der Szene lästig waren, auf diese Weise loszuwerden.

Wie reagieren die zuständigen Behörden?

Im Fall Sven T. informierte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Thüringer Kollegen. Doch der Beamte blieb im Dienst und machte eine Karriere, die angesichts des Verdachts gegen ihn auf den ersten Blick erstaunt. Sven T. kam zum Thüringer Landeskriminalamt und etwa 2010 zum Landesamt für Verfassungsschutz. Dort soll er V-Leute geführt haben, vermutlich auch rechtsextreme.

Wenn der Verdacht stimmt, dass ein Polizist mit Neonazis sympathisierte und dieser Beamte später beim Verfassungsschutz selbst Neonazis als V-Leute führte, hätte das Thüringer Innenministerium im schon skandalösen NSU-Komplex eine weitere Affäre am Hals. Und es würden Vermutungen bestätigt, die bereits im Bericht der Schäfer-Kommission genannt werden. Das Gremium hatte im Auftrag der Landesregierung die Arbeit der Thüringer Sicherheitsbehörden im Fall durchleuchtet und schwere Versäumnisse festgestellt. Und: Im Schlussbericht der Kommission steht, fast alle Beamten des Landeskriminalamts sowie mehrere Staatsanwälte, die als Zeugen gehört wurden, hätten die Meinung geäußert, der Thüringer Verfassungsschutz habe das Terrortrio logistisch unterstützt. Die Kommission bewertete den Verdacht allerdings als haltlos.

Bilder zur Gedenkveranstaltung an die Opfer der NSU

Der Thüringer Verfassungsschutz sagt, er habe 1999 „von anderen Nachrichtendiensten“ Hinweise erhalten, „dass in zwei Fällen der Verdacht des Geheimnisverrats aus dem Bereich der Polizei an Rechtsextremisten bestehe“. Ein Polizist sei mit Vor- und Zunamen benannt worden. Was damals weiter geschah, bleibt offen. Das Landesamt erklärt nur, Ende 2011, bei „Aktensichtungen“ zum „Thüringer Heimatschutz“ seien die Sachverhalte von 1999 „erneut zur Prüfung“ gelangt. Und es seien in Bezug auf den namentlich bekannten Polizisten, also Sven T., Ermittlungen „auf der Grundlage des Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetzes“ erfolgt. Die „seinerzeit aufgekommenen Verdachtsmomente“ hätten sich nicht bestätigt.

Der Verfassungsschutz soll sich allerdings im Dezember 2011 von Sven T. getrennt haben. Der Beamte ist jetzt für die Polizeidirektion Erfurt tätig. Der Anlass für die Versetzung bleibt unklar.

Im Fall des zweiten Polizisten, damit ist offenkundig der Beamte gemeint, den der V-Mann des Militärischen Abschirmdienstes erwähnt hatte, sind laut Verfassungsschutz „die Recherchen zur Feststellung der Person noch nicht abgeschlossen“. Demnach ist es seit 1999 nicht gelungen, die Identität zu klären.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will den Verfassungsschutz reformieren. Was genau soll sich ändern?

Friedrich möchte angesichts des NSU-Desasters dem Bundesamt für Verfassungsschutz mehr Kompetenzen verschaffen. Dem BfV soll die Übernahme größerer nachrichtendienstlicher Operationen über Ländergrenzen hinweg gestattet werden. Der Vorschlag ist eine Konsequenz aus dem Mangel an Abstimmung zwischen Landesbehörden für Verfassungsschutz bei der Suche nach Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe. Außerdem wurden dem BfV damals vom Thüringer Landesamt Informationen vorenthalten. In den Ländern stößt Friedrichs Idee jedoch auf Widerstand.

Der Minister denkt auch daran, die Arbeit des BfV stärker auf gewaltorientierte Extremisten zu fokussieren. Im Gegenzug würde vermutlich die umstrittene Beobachtung der Linkspartei reduziert.

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