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Beate Zschäpe – Lebenslang hinter Gittern?

© dpa

NSU-Morde: Beate Zschäpe - mehr als nur Helferin

Die Anklage gegen Beate Zschäpe weist ihr eine direkte Beteiligung an den NSU-Morden zu. Die Bundesanwaltschaft schildert eine Arbeitsteilung zwischen den Terroristen.

Von Frank Jansen

Die Gewalt steigerte sich nicht von Tat zu Tat, sie war von Beginn an mörderisch. Schon beim ersten Überfall, am 18. Dezember 1998, hätten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt fast einen Menschen getötet. In Chemnitz drangen die Neonazis, vermummt mit Halstüchern und Wollmützen, in einen Edeka-Markt ein. Die Kassiererin schaute in die Mündung einer Pistole und gab 30 000 D-Mark heraus, dann flüchteten die Täter. Doch ein 16-Jähriger spielte den Helden und verfolgte die zwei Männer. Mundlos und Böhnhardt schossen gezielt auf Kopf und Brust des Jugendlichen, trafen aber nicht. Der erste Mord der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ wäre beinahe schon knapp elf Monate nach dem Abtauchen von Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe geschehen – und nicht erst im September 2000, als der erste Migrant an Kopfschüssen starb.

Den Überfall auf den Supermarkt lastet die Bundesanwaltschaft in der Anklage nun Zschäpe – obwohl sie nicht am Tatort war – als besonders schwere räuberische Erpressung und versuchten Mord an, sagen Sicherheitsexperten. Aus ihren Angaben erschließt sich, was die Bundesanwaltschaft in die Anklage gegen die 37 Jahre alte Frau und die mutmaßlichen Komplizen André E., Holger G., Carsten S. und Ralf Wohlleben, den Ex-NPD-Funktionär, geschrieben hat. Auf 488 Seiten summieren sich harte Vorwürfe, aber es bleiben Fragen ungeklärt.

Eine ist die, ob Zschäpe nicht doch zumindest bei einem der Morde des NSU an neun türkisch- und griechischstämmigen Männern sowie einer Polizistin dabei war. Laut Anklage, sagen Experten, wurde Zschäpe am 9. Juni 2005 in einem Nürnberger Supermarkt gesehen, zwischen 9.30 und 9.50 Uhr. Gegen 9.55 Uhr und nur wenige Meter entfernt betraten Mundlos und Böhnhardt einen türkischen Imbiss und töteten den Inhaber Ismail Yasar mit fünf Schüssen.

Eine Frau will Zschäpe an der Kasse des Supermarkts gesehen haben. Sollten die Angaben der Zeugin stimmen, wäre der Vorwurf der Bundesanwaltschaft noch authentischer, Zschäpe sei bei allen zehn Morden der Mittäterschaft schuldig. Die Bundesanwaltschaft nennt den Mord an Yasar als einziges Tötungsverbrechen, bei dem Zschäpe nahe dran gewesen sein soll. Doch Zschäpes Verteidigerin Anja Sturm bestreitet, was die Zeugin gesehen haben will. „Nach unseren Informationen befand sich unsere Mandantin zu keinem Zeitpunkt an oder in der Nähe eines Tatortes“, sagte Sturm am Freitag dem Tagesspiegel.

Aus Sicht der Bundesanwaltschaft passte es auch nicht zur Taktik des NSU, Zschäpe bei allen zehn Morden, den zwei Sprengstoffanschlägen in Köln und den 15 Raubüberfällen in der Nähe einzusetzen. In der Anklage wird eine Arbeitsteilung zwischen Mundlos, Böhnhardt und der Frau geschildert. Die Männer mordeten und raubten, Zschäpe „legendierte“ gegenüber Nachbarn die Abwesenheit der beiden mit erfundenen Geschichten. Außerdem soll Zschäpe die Gelder aus den Überfällen verwaltet haben, mehr als 530 000 Euro. Die letzte Beute kam nicht mehr im Zwickauer Versteck an – Mundlos und Böhnhardt töteten sich am 4. November 2011 in Eisenach, als die Polizei sie nach dem Raub von 72 000 Euro aus einer Sparkassenfiliale verfolgte.

Am selben Tag zündete Zschäpe das Versteck in Zwickau an. Bei dem Brand und der Verpuffung in dem Wohnhaus in der Frühlingsstraße soll sich die Frau auch des versuchten Mordes an einer 89-jährigen Nachbarin und zwei Handwerkern schuldig gemacht haben – obwohl die beiden Männer, die normalerweise in der Wohnung über dem Versteck der drei arbeiteten, zur Tatzeit nicht in dem Gebäude waren. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft kann dieser Zufall jedoch Zschäpe nicht entlasten. Die Frau soll zudem bis zu ihrer Festnahme am 8. November 2011 insgesamt 15 Briefe mit dem Paulchen-Panther-Video verschickt haben, in dem der NSU die Morde und Sprengstoffanschläge feiert.

In der Anklage bleibt offen, nach welchem Zeitplan die NSU-Terroristen mordeten und sprengten. Auch die Auswahl der Mordopfer ist unklar. Im Fall der 2007 in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter – ihr Kollege überlebte die Schüsse nur knapp – spricht die Bundesanwaltschaft von „Zufallsopfern“. Eine Verbindung zwischen dem Mord an der aus Thüringen stammenden Kiesewetter und rechtsextremen Aktivitäten an ihrem alten Heimatort ergaben die Ermittlungen nicht. Die Bundesanwaltschaft bekräftigt in der Anklage die These, der NSU habe Vertreter des verhassten Staates angreifen und die Sicherheitskräfte als ohnmächtig bloßstellen wollen. Auch deshalb könnten Mundlos und Böhnhardt bei zwei Morden an Migranten Tatorte gewählt haben, die direkt neben Polizeidienststellen lagen. Warum aber nach 2007 kein Polizist mehr attackiert wurde, weiß wohl nur Zschäpe.

Den Mitbeschuldigten Ralf Wohlleben und Carsten S. wird in der Anklage Beihilfe zum Mord an den neun Migranten vorgeworfen. Die dabei eingesetzte „Ceska“-Pistole sollen Wohlleben und S. beschafft haben. Holger G. wird unter anderem vorgeworfen, eine Waffe übergeben zu haben – im Beisein von Zschäpe.

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