zum Hauptinhalt
Beate Zschäpe zeigte sich auch an diesem Verhandlungstag kaum Regungen.

© dpa

NSU-Prozess: Die Odyssee der Beate Zschäpe

Am 73. Prozesstag rekapitulierte man die Reise Beate Zschäpes durch Deutschland. Daraus ging hervor, dass Zschäpe sich der Polizei wohl auch aus finanziellen Gründen stellte.

Von Frank Jansen

Sie war finanziell am Ende und hatte Schmerzen. Als Beate Zschäpe sich am 8. November 2011 in Jena der Polizei stellte, fand ein  Beamter bei der  Sichtung ihrer  persönlichen Gegenstände eine Geldbörse mit magerem Inhalt. „Da war nur noch Kleingeld“, sagte der Polizist am Dienstag als Zeuge im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Er hatte  die Münzen gezählt und kam auf 12,23 Euro. In einer Tasche lagen zudem stärkere Tabletten der Marke Ibuprofen, die Schmerzen lindern und Fieber senken sollen. Zschäpe ging es in den Tagen der Flucht aus Zwickau offenkundig schlecht.

Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess war vier Tage mit der Bahn kreuz und quer durch Deutschland gefahren, nachdem sie in Zwickau ihre Wohnung angezündet hatte. In den Räumen hatte Zschäpe mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt, die zehn Menschen erschossen und weitere, schwere Verbrechen begangen hatten.

Am 4. November 2011 kam dann das dramatische Ende der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. Mundlos und Böhnhardt überfielen in Eisenach eine Filiale der Sparkasse und wurden auf der Flucht von der Polizei gestellt. Mundlos erschoss Böhnhardt in ihrem Fluchtfahrzeug, einem Wohnmobil, und zündete das Fahrzeug an. Dann richtete Mundlos die Pumpgun gegen sich selbst. Zuvor sollen die beiden mit Zschäpe telefoniert und ihr aufgetragen haben, die Eltern von Mundlos und Böhnhardt anzurufen. So berichtete es im vergangenen Jahr Böhnhardts Mutter als Zeugin im Prozess.

Am Nachmittag des 4. November 2011 setzte Zschäpe das gemeinsame Versteck in Zwickau in Brand und verschwand. Zschäpe agierte offenbar hektisch und nahm weniger Geld mit, als in der Wohnung lag. Die Polizei entdeckte im Schutt des zerstörten Hauses nur leicht angekokelte Scheine, die Zschäpe liegen gelassen hatte. Am Tag darauf rief sie bei den Eltern von Böhnhardt und Mundlos an und teilte kurz mit, die Söhne seien tot, bevor sie ihre Zickzackfahrt fortsetzte. In den vier Tagen Flucht irrte sie, so rekonstruierte es die Polizei, nach Chemnitz, Leipzig, Eisenach, Bremen, Hannover, Uelzen, Braunschweig und Halle, wo sie laut einer Zeugin beinahe gegen eine Straßenbahn gelaufen wäre. Über Dresden fuhr Zschäpe schließlich nach Jena und gab auf. 

Zschäpes Reise als "Susann Eminger"

Bei der Odyssee gab sich Zschäpe, wie schon in den Jahren zuvor, als „Susann Eminger“ aus. Das ist der Name der Frau von André E., einem der Angeklagten im NSU-Prozess. In Zschäpes Utensilien befand sich ein Service-Pass für ein Mountainbike, ausgestellt auf Susann Eminger, und ein Wochenendticket der Bahn für denselben Namen. Gegen Susann E. ermittelt die Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts, sie habe die Terrorzelle unterstützt.

Zschäpe reagierte am Dienstag, wie üblich, ohne größere Regung auf die Beschreibung ihrer Habseligkeiten vom November 2011. Der Polizist erläuterte anhand von Fotos detailliert, was die Frau alles mit sich geführt hatte, von Haargummis bis zum Pfefferspray. Unfreiwillig provozierte der Beamte dabei Gelächter im Saal. Die auf einem Foto zu sehende Socke Zschäpes habe „gerochen, als wenn man länger das trägt“, beschrieb der Beamte etwas ungelenk, woran er sich bei diesem Asservat erinnerte.

Still und vermutlich meist auch beklommen hörten Prozessbeteiligte, Journalisten und Zuschauer dann den Bericht eines Rechtsmediziners zum Mord an dem türkischen Gemüsehändler Süleyman Tasköprü. Mit drei Kopfschüssen hatten Mundlos und Böhnhardt am 27. Juni 2001 den 31-jährigen Mann in seinem Geschäft getötet. Tasköprü war der dritte der neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft, die dem NSU zum Opfer fielen. Der Rechtsmediziner schilderte grauenhafte Details der tödlichen Verletzungen Tasköprüs.

Mundlos und Böhnhardt nahmen den Polizisten ihr Dienstwaffen ab

In dieser Woche beginnt zudem die Beweisaufnahme zum zehnten Mord des NSU, dem Attentat auf die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Mundlos und Böhnhardt hatten am 25. April 2007 der Beamtin und einem Kollegen, der mit ihr im Streifenwagen saß, in den Kopf geschossen. Kiesewetter starb noch am Tatort, der zweite Polizist überlebte wie durch ein Wunder. Martin A. soll am Donnerstag als Zeuge aussagen. Viel ist von ihm allerdings nicht zu erwarten. Nachdem er wieder ansprechbar war, sagte A. in Vernehmungen, auch unter Hypnose, kaum mehr, als dass er im Rückspiegel des Beifahrersitzes einen Mann habe kommen sehen.

Mundlos und Böhnhardt hatten sich zu dem auf dem Festplatz „Theresienwiese“ neben einem Trafohäuschen stehenden Streifenwagen geschlichen und auf die ahnungslosen Polizisten gefeuert. Die Täter nahmen Kiesewetter und Martin A. auch ihre Dienstwaffen und weitere Gegenstände ab. Die Pistolen stellte die Polizei dann am 4. November 2011 in dem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach sicher, neben den Leichen von Mundlos und Böhnhardt. Warum die Terroristen die Waffen da noch mit sich führten und wieso sie überhaupt in Heilbronn auf die Polizisten geschossen hatten, ist bis heute unklar.

Dass Michèle Kiesewetter wie Mundlos und Böhnhardt aus Thüringen stammte, hatte die Ermittler zunächst vermuten lassen, es habe irgendeine Verbindung zwischen der  Polizistin und den Neonazis gegeben. Der Verdacht hat sich allerdings zumindest bislang nicht bestätigt. Was Kiesewetters Mutter dazu sagen könnte, erfahren die Prozessbeteiligten jedoch nicht, wie geplant, auch im Januar. Sie hat sich krank gemeldet und ist offenbar derzeit psychisch nicht in der Lage, im Gerichtssaal auszusagen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false