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Ein Polizist sichert in der Kölner Keupstraße die Spuren der Explosion im Juni 2004.

© Federico Gambarini/dpa

NSU-Prozess: Eine dubiose Zeugin, ein dubioser Anwalt

Wirbel im NSU-Prozess: Einer der Nebenklage-Anwälte hat jetzt offenbar festgestellt, dass seine Mandantin Meral K. "wahrscheinlich überhaupt nicht existent ist". Ein dem Gericht vorgelegtes Attest stiftet weitere Verwirrung.

Von Frank Jansen

Die Geschichte erscheint dubios und widersprüchlich – und sie verursacht Wirbel. Einer der Nebenklage-Anwälte im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München hat jetzt offenbar festgestellt, dass es sich bei seiner Mandantin um ein Phantom handelt. Nachforschungen des Anwalts Ralph Willms hätten ergeben, „dass Frau M. K. wahrscheinlich überhaupt nicht existent ist, sondern deren Existenz und Opfereigenschaft im NSU-Verfahren lediglich von Herrn Attila Ö., selbst ein weiterer Nebenkläger im NSU-Verfahren, vorgetäuscht worden sein dürfte“, heißt es in einer am Freitag verbreiteten Erklärung eines Anwalts, der seinen Kollegen Willms jetzt vertritt. Willms habe nun Strafanzeige gegen Attila Ö. bei der Staatsanwaltschaft Köln erstattet und sein Mandat im NSU-Verfahren niedergelegt.

Das klingt an sich schon merkwürdig, da Willms in München die angeblich oder tatsächlich nicht existierende Meral K. vertritt – in einem Prozess, der bereits fast zweieinhalb Jahre dauert. Meral K. wird im Prozess als Opfer des Nagelbombenanschlags geführt, den die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße verübten. Bei der Tat in dem von vielen Türken bewohnten Viertel wurden mindestens 20 Menschen verletzt, die Straße sah aus wie ein Schlachtfeld.

Die sich nun abzeichnende Affäre um möglichen Nebenklage-Betrug hat allerdings mehrere Facetten, die zum Teil gar nicht zueinander passen. Da sind zunächst die Angaben, die Anwalt Willms vergangenen Dienstag im Prozess gemacht hat. Die vom Strafsenat als Zeugin geladene Meral K. war erneut nicht erschienen, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl reagierte unwirsch und stellte Willms zur Rede. Der Anwalt reagierte unsicher und behauptete, er habe im Juni zuletzt Kontakt zu Frau K. gehabt. Wieso er jetzt aber feststellte, dass es Meral K.  nicht gibt, ist zumindest rätselhaft. Willms war an diesem Freitag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

Merkwürdigkeit Nummer zwei: Willms sagte am Dienstag auch, Frau K. liege in der Türkei im Krankenhaus. Das habe er von Attila Ö. erfahren. Auch dessen Anwalt sagte im Prozess, Meral K. sei in der Türkei. Attila Ö. habe aber nur Kontakt zu deren Tochter.

Wirbel um ein Attest

Merkwürdigkeit Nummer drei: Ebenfalls am Dienstag befragte Richter Götzl einen Kölner Arzt – zur „Patientin“ Meral K. Der Mediziner erinnerte sich „nur lückenhaft“, nach dem Anschlag die Frau in einem Krankenhaus in Köln „ambulant versorgt“ zu haben. Er habe drei größere Schnittwunden genäht, sagte der Arzt. Götzl erwähnte denn auch ein Attest, in dem die Verletzungen von Meral K. genannt werden. Aber was stimmt nun? Hat der Arzt eine Frau behandelt, die zwar bei dem Anschlag in der Keupstraße Schnittwunden erlitt, aber gar nicht Meral K. war? Oder doch? Und aus welchem Grund sollte die Verletzte einen falschen Namen nennen?

Merkwürdigkeit Nummer vier: In der Presseerklärung, die der Anwalt von Anwalt Willms am Freitag veröffentlichte, ist auch von einer Frau namens Sennur Ö. die Rede. Attila Ö. soll sie als seine leibliche Mutter einem anderen Rechtsanwalt vorgestellt haben. Und Attila Ö. hat diesem Juristen angeblich gegen Zahlung einer Provision angeboten, im NSU-Verfahren die Nebenklage für die Frau zu übernehmen. Der Anwalt soll abgelehnt haben. An diesem Donnerstag habe er nun anhand eines Lichtbilds Meral K. als Sennur Ö. wiedererkannt, wird in der Presseerklärung angegeben. Damit seien die „wohl betrügerischen Machenschaften des Herrn Ö.“ entlarvt, heißt es.

Merkwürdigkeit Nummer fünf: In dem Papier steht auch, Attila Ö. habe Anwalt Willms die Kopie eines Attests betreffend Meral K. übergeben, „die offensichtlich gefälscht worden sein soll“. Das könnte bedeuten, dass das Attest, von dem Richter Götzl bei der Befragung des Kölner Arztes sprach, entweder von vorneherein auf einen falschen Namen ausgestellt war. Oder auf den richtigen der Frau, die Kopie jedoch manipuliert und dann, wohl über Willms, dem Oberlandesgericht München zugeleitet wurde.

Merkwürdigkeit Nummer sechs: Anwalt Willms, ist in der Presseerklärung zu lesen, hat für das Mandat für Meral K. eine Provision an Attila Ö. gezahlt. Da erscheint die Frage naheliegend, ob Willms ein Mandat kaufte, ohne die Mandantin zu kennen. Oder eine, die ihm unter falschem Namen vorgestellt wurde. Oder oder oder…

Welche Rolle spielt Attila Ö.?

„Es sind noch einige spannende Dinge zu klären“, war am Freitag in Münchner Justizkreisen zu hören. Der ganze Wirrwarr ändert allerdings nichts daran, dass die im Prozess gehörten Zeugen, die bei dem Nagelbombenanschlag verletzt wurden, glaubwürdig klingende, oft schreckliche Angaben über ihre Wunden und Traumata gemacht haben. Einer dieser Zeugen war Attila Ö.

Im Januar trat er in der Verhandlung auf. Ein muskulöser Mann, 40 Jahre alt und nach eigenen Angaben derzeit arbeitsunfähig. Er war als Kunde in dem Friseursalon, vor dem die auf einem Fahrrad deponierte Bombe explodierte. In seinem Hinterkopf habe ein Nagel gesteckt, außerdem habe er Verletzungen am rechten Arm und an der Stirn erlitten, sagte Attila Ö. Hinweise, er könne die Wunden erfunden oder zumindest übertrieben dargestellt haben, gibt es nicht. Hat also ein Opfer des Anschlags der Terrorzelle versucht, aus seinem Schicksal und dem einer weiteren Frau, womöglich seine Mutter, einen Profit zu ziehen? Und hat sich ein Anwalt dafür einspannen oder zumindest austricksen lassen? Jedenfalls dürfte die vor Merkwürdigkeiten strotzende Geschichte den ehrlichen Opfern der Verbrechen des NSU auf den Magen schlagen.

Die Chronik des gesamten NSU-Prozesses von Frank Jansen, unserem Reporter vor Ort, finden Sie hier.

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