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Der NSU-Prozess vor dem OLG in München ging heute in die 95. Runde.

© dpa

NSU-Prozess in München: Lautloses Töten

Mit einer Ceska 83 töteten die Terroristen der NSU neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Die Frage beim 95. Verhandlungstag vor dem OLG München ist: Wer hat die Waffe von wem besorgt?

Von Frank Jansen

Die Aussage war für den in Untersuchungshaft sitzenden Angeklagten gar nicht so ungünstig. Der Verkäufer der Pistole Ceska 83, Andreas S.,  habe bei einer Vernehmung Wohlleben kaum erwähnt, erinnerte sich am Mittwoch ein BKA-Beamter im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Mit der Ceska hatten die NSU-Mörder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft getötet. Wohlleben soll laut Anklage maßgeblich daran beteiligt gewesen zu sein, die Waffe für die Terrorzelle zu beschaffen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zu neunfachem Mord vor.

Der von dem BKA-Mann befragte Andreas S. soll in einer Vernehmung im Februar 2012 nur Carsten S. als Abnehmer erwähnt haben. Carsten S. ist ein weiterer Angeklagter im Prozess und hat ein Geständnis abgelegt. Auch ihm wird in der Anklageschrift Beihilfe zu den Morden an den neun Migranten vorgehalten. Der auskunftsfreudige Carsten S. ist auf freiem Fuß, das BKA bewahrt ihn über ein Zeugenschutzprogramm vor Racheakten der rechten Szene. Wohlleben sitzt seit November 2011 in Untersuchungshaft – und schweigt. Andreas S. hat im Prozess trotz seiner Aussagen gegenüber der Polizei die Aussage verweigert.

Die Ceska 83 hatte Carsten S. im Frühjahr 2000 nach Chemnitz zu Mundlos und Böhnhardt gebracht. Die beiden hielten sich dort mit Beate Zschäpe versteckt. Zuvor hatte in Jena Andreas S. die Waffe besorgt, sie an Carsten S. übergeben und dafür 2500 D-Mark kassiert. Carsten S. hat in seinem Geständnis Wohlleben beschuldigt, ihm gesagt zu haben, bei wem er in Jena eine Pistole bekommen könne und das Geld gegeben.

Der BKA-Beamte schilderte nun,  Andreas S. habe fast nur von Carsten S. gesprochen. Andreas S. habe lediglich  erwähnt, Carsten S. und Wohlleben seien mal gemeinsam in seinem Laden gewesen. Andreas S. war im Jahr 2000 im Jenaer Szene-Geschäft "Madley" tätig. Hier kauften Rechtsextremisten Kleidung und Musik-CDs. Manche Neonazis fragten auch nach Waffen. Andreas S. will allerdings, so jedenfalls erzählte er es dem BKA, nur ein einziges Mal in seinem Leben eine Waffe besorgt haben – die Ceska 83. Angeblich ohne zu wissen, wofür Carsten S. die haben wollte.

Angesichts des bisherigen Prozessverlaufs ist allerdings schwer  vorstellbar, Wohlleben sei am Kauf der Ceska gar nicht beteiligt gewesen. Carsten S. hat in seinem Geständnis detailliert geschildert, das er bei einem konspirativen Telefonat mit den untergetauchten Mundlos und Böhnhardt den Auftrag bekam, eine Waffe zu besorgen. Und dass er zu Wohlleben gegangen sei, der ihm den Szeneladen genannt habe, die 2500 D-Mark gegeben habe und schließlich die Waffe inspiziert habe. Wohlleben habe den mitgelieferten Schalldämpfer aufgeschraubt und lachend die Pistole auf ihn gerichtet, sagte Carsten S. im Juni 2013 den Richtern. Er hat allerdings auch gesagt, der Schalldämpfer sei bei der Lieferung dabei gewesen, ohne bestellt worden zu sein. Der BKA-Beamte berichtete hingegen am Mittwoch, Andreas S. habe angegeben, Carsten S. habe "explizit" einen Schalldämpfer haben wollen.

Der Widerspruch ist brisant, denn das Thema Schalldämpfer hat eine spezielle  Bedeutung. Der Kauf einer Waffe allein ist noch kein ausreichender Beleg für die Absicht, Menschen zu ermorden. Ein Schalldämpfer ist jedoch eigens für lautloses Töten gedacht. Sollte Carsten S. ihn ausdrücklich bestellt haben, würde der Vorwurf der Beihilfe zu neunfachem Mord deutlich stärker. Das gilt auch für Ralf Wohlleben - sollte ihm nachzuweisen sein, dass er Carsten S. bei der Beschaffung der Ceska 83 dirigiert hat.

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