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Türkische Journalisten bekommen beim NSU-Prozess keine garantierten Plätze.

© afp

NSU-Prozess: "Kein Platz für Türken" – Vertuschungsversuch in München?

Mit seiner Platzvergabe beim NSU-Prozess sorgt das Münchner Oberlandesgericht in der Türkei für Zweifel an der Glaubwürdigkeit der deutschen Justiz. Am Bosporus wird der Verdacht laut, das Gericht wolle die wahren Dimensionen der rechtsextremen Verbrechen vertuschen.

Oral Calislar, Chefredakteur der angesehenen und unabhängigen Tageszeitung „Taraf“ in Istanbul, forderte am Mittwoch eine Rücknahme der Beschlüsse, die zum Ausschluss türkischer Medien vom ersten Verhandlungstag führten. In dem Verfahren gehe es schließlich auch um den Verdacht einer Verwicklung deutscher Sicherheitsbehörden in die NSU-Morde, betonte Calislar gegenüber dem Tagesspiegel – da sei die Beobachtung des Prozesses durch türkische Journalisten um so wichtiger.

Die Opposition in Ankara forderte unterdessen, die Regierung solle sich in den Streit einschalten. Die Zeitung „Milliyet“ berichtete von einem „Embargo“ gegen türkische Medien. Bei der „Hürriyet“ hieß es, sogar Paparazzi dürften dem Münchner Verfahren folgen, nur die Türken nicht. „Kein Platz für Türken im Prozess wegen ermordeter Türken“, titelte das Blatt schon nach dem kürzlichen Nein des Oberlandesgerichts zu einer Platzreservierung für den türkischen Botschafter Hüseyin Avni Karslioglu im Gerichtssaal. Karslioglu kündigte an, auch ohne Reservierung am ersten Verhandlungstag teilnehmen zu wollen.

Möglicherweise werde sich der türkische Botschafter einen Platz im Zuschauerraum suchen und neben rechtsextremen NSU-Fans sitzen müssen, sagte Faruk Sen, der frühere Chef des Essener Zentrums für Türkeistudien. „Das wird Auswirkungen auf das Deutschland-Bild in der Türkei haben“, sagte Sen dem Tagesspiegel in Istanbul. Er erinnerte an den Fall des deutschen Jugendlichen Marco Weiß, dessen Gerichtsverfahren in Antalya von vielen deutschen Journalisten verfolgt worden sei. Wenn es nun Hürden für türkische Beobachter in München gebe, dann „verbreitet sich das Gefühl, man will irgendwas vertuschen“.

Auch das Nein zur Anwesenheit des türkischen Botschafters sei unverständlich, sagte Sen. Acht NSU-Opfer seien türkische Staatsbürger ohne doppelte Staatsangehörigkeit gewesen, weshalb der türkische Staat in der Pflicht sei, sich um den Prozess zu kümmern. „Das ist keine rein deutsche Angelegenheit“, sagte Sen. Bei der Bundesregierung in Berlin denkt man ähnlich. „In voller Anerkennung der Unabhängigkeit der Justiz wäre es gut“, wenn auch Vertreter der türkischen Medien „angemessen berichten können“, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes unserer Zeitung.

Aber auch ohne Einladung des Gerichts werden die Vertreter der Türkei beim Münchner Prozess Flagge zeigen. Botschafter Karslioglu kündigte in der „Hürriyet“ an, dass er auf jeden Fall zum Prozessauftakt reisen werde. Auf die Tatsache hingewiesen, dass das Gericht ihm keinen Platz in dem voraussichtlich überfüllten Verhandlungssaal freihalten wolle, antwortete der Diplomat nur mit einem Satz: „Ich werde am ersten Prozesstag dort sein und die Verhandlung verfolgen.“

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