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2007 geschah der Polizisten-Mord in Heilbronn.

© dpa

Update

NSU-Prozess: Mord aus Hass auf die Polizei

Im NSU-Prozess geht es seit diesem Donnerstag um den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter. Auch ihr überlebender Kollege hat vor Gericht ausgesagt. Um den Fall Heilbronn ranken sich viele Vermutungen und Verschwörungstheorien.

Von Frank Jansen

Die beiden Neonazis schlichen sich an dem Trafohaus entlang und bogen um die Ecke, wo der Streifenwagen stand. Die Polizisten im  geparkten BMW-Kombi sahen noch, dass sich von hinten jemand näherte, reagieren konnten sie nicht mehr. Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt schossen sofort den zwei Beamten in die Köpfe. Einer der Neonazis feuerte auf die 22-jährige Michèle Kiesewetter, die auf dem Fahrersitz saß. Sie starb noch am Tatort. Der zweite Schütze richtete seine Waffe gegen den 24 Jahre alten Martin A., doch er überlebte trotz lebensgefährlicher Verletzung.

Der Angriff vom Mittag des 25. April 2007 auf dem Festplatz „Theresienwiese“ in Heilbronn war der zehnte Mordanschlag der Terrorzelle NSU -  und aus bislang nicht zu klärenden Gründen ihr letzter.

Seit diesem Donnerstag versucht nun der 6. Strafsenat am Oberlandesgericht München, sich im NSU-Prozess auch über dieses Verbrechen Klarheit zu verschaffen. Auch mit der Befragung von Martin A., der den Mordanschlag überstand – aber auch heute noch, fast sieben Jahre nach der Tat, mit den Folgen ringt.

„Ich bin gottfroh darüber, dass ich noch lebe“, sagte Martin A. Er sprach hastig, der Vorsitzende Richter Manfred Götzl mahnte ihn sachte, langsam zu reden. Äußerlich und von der Stimme her war dem 31-jährigen, unauffälligen Mann, der weiter bei der Polizei beschäftigt ist, nicht anzumerken, einen Kopfschuss erlitten zu haben. Obwohl, wie Martin A. sagte, ein Teil des Projektils sich noch immer in seinem Schädel befinde.

„Ich habe schlaflose Nächte“, sagte A., „auch weil Michèle weg ist“. Für ihn sei sein Kindertraum, „ein normaler Polizist zu sein“, zerstört. Martin A. ist heute im Innendienst tätig, hat auch ein Studium absolviert, um in den gehobenen Dienst zu kommen. „Aber ich trage keine Waffe mehr und werde nie mehr eine tragen.“ Es bestehe die Gefahr epileptischer Anfälle, außerdem sei sein Gehör auf der rechte Seite vermindert, ebenso der Gleichgewichtssinn. Der Grad der Behinderung liege bei 70 Prozent.

Erinnerungen an die Tat hat Martin A. kaum. Er und Kiesewetter, die er als „sehr aufgeschlossenes, tolles Mädchen“ im Gedächtnis hat, seien erstmals gemeinsam unterwegs gewesen, zu Kontrollfahrten im Rahmen des Heilbronner Polizeikonzepts „Sichere City“. Für eine Mittagspause habe man sich mit dem Streifenwagen auf der Theresienwiese an das Trafohäuschen gestellt – „dann hört es schon langsam auf“. Mehr Erinnerung hat Martin A. nicht.

Nur dank einer Notoperation hat er überlebt, monatelange Reha und Therapien und eine weitere Operation haben ihn halbwegs wiederhergestellt. Langsam begann er im September 2007 wieder den Dienst bei der Polizei. Doch bis heute ist A. in „traumatherapeutischer Behandlung“, wie er sagt. Und er sei lange von der Angst gequält worden, es könnte Kollegen so ergehen wie ihm. „Wenn ich Dienstfahrzeuge gesehen habe“, sagte A., „habe ich Ängste bekommen, hoffentlich geht es den Kollegen gut, hoffentlich machen sie keine Pause“. So wie er am 25. April 2007 auf der Theresienwiese.

Welches Grauen der NSU auch in Heilbronn angerichtet hat, wurde schon zu Beginn des Verhandlungstages deutlich. Es begann, wie bei der Beweisaufnahme zu den anderen Morden der Terrorzelle, mit grauenhaften Fotos. Ein Polizist erläuterte Bilder, auf denen viel Blut zu sehen war, vor allem im Streifenwagen und an der Uniform der zwei Beamten. Der Zeuge erklärte auch, wie die abgefeuerten Projektile geflogen waren. Schon bei dieser Aussage wurde deutlich, dass es fast ein doppeltes Wunder war, dass Martin A. am Leben blieb. Das Projektil, das Michèle Kiesewetter traf, flog quer durch den Wagen knapp an Martin A. vorbei und prallte auf das Trafohaus. Der dort stehende zweite Täter hätte das Geschoss auch noch abbekommen können.

Die verunreinigten Wattestäbchen und die angebliche Massenmöderin

In ihrem Wahn gingen Mundlos und Böhnhardt sogar selbst ein lebensgefährliches Risiko ein. Und sie setzten sich stärker als bei den Morden zuvor der Gefahr aus, entdeckt zu werden. Mundlos und Böhnhardt nahmen den stark blutenden Opfern die Dienstwaffen weg. Bei Martin A. gelang es erst mit enormem Kraftaufwand, da der Täter den Sicherungsbügel des Pistolenholsters nicht öffnen konnte. Er zerrte den Beamten aus dem Wagen und riss das Scharnier aus dem Leder. Der andere Täter stahl Kiesewetter aus ihrem Gürtel auch Munition, ein Paar Handschellen, ein Reizstoffsprühgerät und eine kleine Taschenlampe. Dann flohen Mundlos und Böhnhardt, selbst blutbefleckt, vermutlich auf einem Radweg am nahen Neckarkanal.

Trotz aufwändiger Ermittlungen einer Soko „Parkplatz“ konnte die Polizei den Fall nicht aufklären. Wer die Täter waren, zeigte sich auf grausige Weise erst am 4. November 2011. Da fand die Polizei in Eisenach in einem ausgebrannten Wohnmobil die Dienstwaffen von Michèle Kiesewetter und Martin A. – neben den Leichen von Mundlos und Böhnhardt. Die Terroristen hatten in der thüringischen Stadt eine Filiale der Sparkasse überfallen, bei der Flucht kam ihnen die Polizei auf die Spur. Die zwei Neonazis entschlossen sich, womöglich nach einem lange verabredeten Plan, sich zu töten. Mundlos erschoss in dem Wohnmobil Böhnhardt, zündete das Fahrzeug an und hielt sich dann die Pumpgun unter das Kinn.

Um den Fall Heilbronn ranken sich viele Vermutungen, auch Verschwörungstheorien. Waren mehr als zwei Täter unterwegs? Haben zwei Polizeikollegen von Michèle Kiesewetter, die beide einst dem rassistischen Geheimbund Ku-Klux-Klan angehörten, den Mördern einen Tipp gegeben? Oder gab es, wie zunächst auch das Bundeskriminalamt vermutete, einen Bezug der aus Thüringen stammenden Kiesewetter zu den Thüringer NSU-Mördern Mundlos und Böhnhardt? Und dann gab es die Panne mit den verunreinigten Wattestäbchen, die bei der Suche nach DNA-Spuren eingesetzt wurden und zu einer angeblichen Massenmörderin führten, die es nicht gab.

Diese Themen werden seit dem November 2011 viel diskutiert, vor allem in Medien und Politik. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft stellt sich die Sache anders da. Aber nicht weniger dramatisch.

Demnach haben Mundlos und Böhnhardt aus Hass auf die Polizei gehandelt, ohne dass ihnen Kiesewetter oder Martin A. bekannt waren. Die Mitglieder des NSU, zu denen die Bundesanwaltschaft auch die Hauptangeklagte Beate Zschäpe zählt, hätten mit dem Anschlag „ihrer Verachtung der staatlichen Gewalt und ihrer Repräsentanten“ Ausdruck verleihen wollen, heißt es in der Anklageschrift. Die Neonazis wollten, davon ist die Bundesanwaltschaft überzeugt, ihre Macht demonstrieren – und hätten deswegen die Waffen der Polizisten mitgenommen, als Trophäen. Offen bleibt, warum Mundlos und Böhnhardt die Pistole Ceska 83, mit der sie bei allen Morden an neun türkisch- und griechischstämmigen Migranten schossen, in Heilbronn nicht einsetzten.

Wie tief der Hass auf die Polizei saß, zeigt offenbar auch ein makaberes Detail. Im Brandschutt der von Zschäpe angezündeten Wohnung in Zwickau lag auch eine Jogginghose von Uwe Mundlos. An ihr entdeckte die Polizei Blut von Michèle Kiesewetter. Mundlos hatte die Hose offenbar bewusst nach der Tat nie mehr gewaschen.

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