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Gedenktafeln am ehemaligen Standort des Imbissbetreibers Ismail Yasar in Nürnberg, der dort am 09.06.2005 vermutlich von Mitgliedern der Neonazigruppe NSU ermordetwurde.

© dpa

NSU-Prozess: Taschenlampen-Anschlag beschäftigt das Gericht weiter

Ein Sprengstoffanschlag in Nürnberg im Jahr 1999 könnte auch auf das Konto der NSU-Terroristen Mundlos und Bönhardt gehen. Bei der nach dem Auffliegen der NSU vorgenommenen Prüfung unaufgeklärter Fälle, war der Anschlag von Nürnberg nicht in Betracht gezogen worden.

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Die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben offenbar geglaubt, der Anschlag mit einer zur Bombe umgebauten Taschenlampe in Nürnberg sei misslungen. Bei einem konspirativen Treffen in Chemnitz sollen die beiden geäußert haben, „das hat nicht geklappt“, sagte am Mittwoch der Angeklagte Carsten S. im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München. Der 33-Jährige hatte am Dienstag überraschend geschildert, dass Mundlos und Böhnhardt im Frühjahr 2000 bei dem Gespräch in Chemnitz erwähnten, sie hätten in einem Nürnberger Lebensmittelgeschäft „eine Taschenlampe hingestellt“. Nach dem Treffen sei ihm der Gedanke gekommen, in der Taschenlampe sei „Sprengstoff verbaut“ worden.

Am Dienstag hatte S. jedoch nicht mitgeteilt, dass Mundlos und Böhnhardt die Aktion für gescheitert hielten. Bei dem Treffen in Chemnitz hatte S., damals selbst Rechtsextremist, den beiden untergetauchten Neonazis die Pistole Ceska 83 übergeben. Mit der Waffe erschossen Mundlos und Böhnhardt neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft. Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, verkündete am Mittwoch, er habe mit der  Bundesanwaltschaft wegen der „Abklärung“ des Falles Nürnberg gesprochen, „um eventuell Unterlagen beizuziehen“. Unterdessen sagten  Sicherheitskreise dem Tagesspiegel, es sei nicht auszuschließen, dass Mundlos und Böhnhardt in Nürnberg tatsächlich einen Sprengstoffanschlag verübten.

Kritik: Tat wurde nicht als NSU-Verdachtsfall eingestuft

Die „Nürnberger Nachrichten“ hatten im Juni 1999 berichtet, im Lokal eines türkischen Betreibers sei eine Rohrbombe explodiert, die wie eine Taschenlampe ausgesehen habe. Ein 18 Jahre alter Angesteller habe die vermeintliche Taschenlampe beim Toilettenputzen gesehen und anknipsen wollen, dabei sei sie explodiert. Der Mann habe Verbrennungen erlitten.

Sicherheitsexperten kritisierten, dass die Nürnberger Behörden die Tat nicht als NSU-Verdachtsfall eingestuft und entsprechend darüber berichtet hätten. Nachdem die Terrorzelle im November 2011 aufgeflogen war, hatten Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt deutschlandweit die Prüfung ungeklärter Fälle mit möglichem ausländerfeindlichen oder rechtsextremem Hintergrund eingeleitet. In Nürnberg wurde der Anschlag bislang nicht als potenziell rassistisch bewertet. Das sei unverständlich, weil der NSU im Jahr 2000 in Nürnberg seine Mordserie gegen Migranten begann und in der Stadt insgesamt drei türkische Kleinunternehmer erschoss. Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Nürnberg sagte, dass man die Akte zu der explodierten Taschenlampe am Mittwoch an den Generalbundesanwalt weitergeleitet habe. Außerdem werde zusammen mit dem Landeskriminalamt der Vorgang rekonstruiert.

Sollte die Explosion der Taschenlampe dem NSU zuzurechnen sein, hätte die Terrorzelle drei Sprengstoffanschläge verübt. Bislang waren nur die zwei Fälle in Köln bekannt. Dort war im Januar 2001 in einem iranischen Lebensmittelgeschäft ein Sprengsatz explodiert, den Mundlos oder Böhnhardt in einer mitgebrachten und dort abgestellten Christstollendose versteckt hatte. Die Tochter des Ladeninhabers wurde schwer verletzt. Sie ist am NSU-Prozess als Nebenklägerin beteiligt.

Im Juni 2004 zündeten Mundlos und Böhnhardt in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe vor einem türkischen Friseursalon. Mehr als 20 Menschen wurden durch die umher fliegenden Splitter getroffen. Auch diese Opfer sind fast alle als Nebenkläger im Münchener Prozess vertreten.

Carsten S. nannte es am Mittwoch „idiotisch“, nicht früher über den möglichen Anschlag mit der Taschenlampe ausgesagt zu haben. Im Ermittlungsverfahren hatte S. gegenüber der Bundesanwaltschaft gestanden, Mundlos und Böhnhardt die Ceska 83 geliefert zu haben, die Kenntnis von der mutmaßlichen Tat des NSU in Nürnberg aber verschwiegen. Die Bundesanwaltschaft wirft Carsten S. in der Anklage vor, mit der Übergabe der Ceska Beihilfe zu den neun Morden an den Migranten geleistet zu haben.             

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