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Angeklagte Beate Zschäpe hatte auf Entlastung durch Zeugin Charlotte E. gehofft.

© dpa

NSU-Prozess: Videovernehmung von Zschäpe-Nachbarin scheitert

Am 71. Verhandlungstag sollte Charlotte E. per Video vernommen werden, so schlug es der Psychiater vor. Die 91-jährige war dem Stress jedoch nicht gewachsen.

Von Frank Jansen

Am 71. und letzten Verhandlungstag in diesem Jahr gab es im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München erneut einen beklemmenden Moment. Die Vernehmung einer 91 Jahre alten Zeugen per Video wurde abgebrochen. Charlotte E. saß in einem Pflegeheim in Zwickau, der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats, Manfred Götzl, versuchte, sie vom Gerichtssaal aus über eine Kamera zu befragen. Die in einem Rollstuhl sitzende Greisin konnte jedoch weder ihr genaues Alter noch die Anschrift des Altenheims nennen. Auf die Frage Götzls, wie es ihr gehe, sagte sie leise „nicht so gut“.

Der Richter  verzichtete schließlich auf die weitere Einvernahme. Das Bild mit Charlotte E., einer ihr gegenüber an einem Tisch sitzenden Nichte, der Heimleiterin, einem Polizisten und einem Techniker verschwand. Die Prozedur hatte, mit Unterbrechungen, knapp 30 Minuten gedauert. Schon in den Wochen zuvor hatten Nebenklage-Anwälte die Videovernehmung der alten Frau als unverantwortlich kritisiert und den Verzicht gefordert.

Der Strafsenat hielt die Vernehmung für nötig, da Charlotte E. in der Zwickauer Frühlingsstraße im selben Haus wie Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gewohnt hatte. Die Wohnungen lagen nebeneinander. Als Zschäpe am 4. November 2011 ihre Wohnung mit zehn Litern Benzin in Brand setzte, geriet Charlotte E. in große Gefahr. Das Luft-Gas-Gemisch in den von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt genutzten Räumen verpuffte so heftig, dass ein Teil der Hausfassade herausflog und die Wand zur Wohnung von Charlotte E. um mehrere Millimeter verschoben wurde. Außerdem drangen Rauchgase durch Risse in die Wohnung der alten Frau ein. Sie bekam wegen ihrer Schwerhörigkeit nicht viel mit und öffnete nur Fenster, damit der Qualm abziehen konnte. Zwei Nichten sowie Anwohner holten Charlotte E. noch rechtzeitig aus dem brennenden Haus.

Charlotte E. verkraftete den Verlust ihrer Wohnung nicht

Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe besonders schwere Brandstiftung in Tateinheit mit versuchtem Mord an Charlotte E. und zwei Handwerkern vor. Sie hatten die  Wohnung über der von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt renoviert, verbrachten allerdings zur Tatzeit ihre Pause außerhalb des Hauses.

Bevor der 6. Strafsenat Charlotte E. als Zeugin lud, hatte er einen Psychiater beauftragt, die Vernehmungsfähigkeit der gebrechlichen Frau zu prüfen. Der Sachverständige besuchte sie im Altenheim in Zwickau und riet im November im Prozess von einem Transport von Charlotte E. nach München ab. Auch eine kommissarische Vernehmung im Pflegeheim durch nur einen Richter in Zwickau hielt der Psychiater für eine zu große Belastung. Der Experte empfahl, Charlotte E. über eine Videoschaltung von München nach Zwickau zu befragen. Bei seinem Besuch sei die Frau „gut ansprechbar“ gewesen, sagte er. Doch am Freitag war der Stress für Charlotte E. offenkundig zu groß.

Ein Grund könnte auch sein, dass die Greisin den Verlust der Wohnung in der Frühlingsstraße nicht verkraftet hat. Nach dem Brand ließ die Stadt Zwickau das Doppelhaus abreißen – um zu verhindern, dass es zu einer Wallfahrtsstätte für Neonazis wird. Brand und Abriss waren für Charlotte E. ein schwerer Schlag. Sie war einige Jahre zuvor aus Westdeutschland nach Zwickau umgezogen, um hier, in der alten Heimat und nahe bei Verwandten, ihren Lebensabend zu verbringen. Eine Nichte berichtete im Juli im Prozess, wie ihre alte Tante darunter leide, die Wohnung verloren zu haben.

Zschäpes Verteidiger hatten gehofft, Charlotte E. könnte bei der Befragung die Hauptangeklagte ein wenig entlasten. Ein Zwickauer Polizist, der mit Zschäpe nach ihrer Festnahme im November 2011 gesprochen hatte, soll in einem Vermerk geschrieben haben, Zschäpe habe kurz vor der Brandstiftung bei Charlotte E. geklingelt. Sollte Zschäpe versucht haben, sich zu vergewissern, dass die Nachbarin nicht mehr im Haus war, wäre aus Sicht der Verteidiger der Vorwurf des versuchten Mordes an Charlotte E. nicht mehr zu halten.

Nach der abgebrochenen Videovernehmung verlangte ein Nebenklage-Anwalt  von den Verteidigern Zschäpes, wenn sie „noch etwas Anstand und Empathie“ hätten, würden sie auf einen erneuten Versuch einer Befragung von Charlotte E. verzichten. Zschäpes Anwalt Wolfgang Stahl reagierte scharf. Er nannte es eine Zumutung, „als anstandslos bezeichnet zu werden“.

Stahl kritisierte zudem den Psychiater, der Charlotte E. begutachtet hatte. Die von dem Sachverständigen  vorgeschlagene Vernehmung per Video sei „schlicht die falsche“ gewesen. Die Verteidiger hatten sich für eine kommissarische Vernehmung ausgesprochen. Im Namen der  Bundesanwaltschaft empfahl Staatsanwalt Stefan Schmidt, der Strafsenat solle es dabei belassen, das Protokoll der Befragung von Charlotte E. durch die Polizei zu verlesen. Der Prozess wird am 8. Januar fortgesetzt.

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