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Nuklearwaffen: Was ist die Bombe wert?

Nuklearwaffen sind teuer, die Folgen ihres Einsatzes katastrophal. Warum wollen trotzdem immer mehr Staaten die Atombombe? Und was heißt das für das Ziel einer kernwaffenfreien Welt?

Vor drei Jahren, am 1. April 2009, trafen sich in Winfield House, der noblen Residenz des US-Botschafters in London, Amerikas Präsident Barack Obama und sein russischer Kollege Dmitri Medwedew. Es war die erste Begegnung der zwei Staatschefs und ihre öffentlichkeitswirksame Botschaft lautete: Das Verhältnis unserer Länder wird sich bessern, und wir werden bei der Abrüstung nicht innehalten, sondern einen neuen Vertrag zur Reduzierung der strategischen Nuklearwaffen aushandeln, den „New Start“. Wenige Tage darauf erklärte Obama in Prag unter strahlend blauem Frühlingshimmel vor mehr als 30 000 jubelnden Zuschauern sein Ziel „einer Welt ohne Atomwaffen“.

Heute, drei Jahre später, ist „New Start“ ratifiziert. Bis 2021 können sich Russen und Amerikaner Zeit lassen, die Zahl ihrer einsatzbereiten Sprengköpfe auf strategischen Trägersystemen wie Langstreckenraketen auf 1550 zu reduzieren. Das ist keine dramatische Abrüstung sondern eher eine Anpassung an die technische Realität, aber in Seoul hat Obama gerade weitere Abrüstungsbemühungen versprochen. Weltweit gibt es sogar eine „wachsende Minderheit“ anerkannter Sicherheitspolitiker, so Wolfgang Ischinger, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und früherer Staatssekretär im Auswärtigen Amt, die sich für die Abschaffung sämtlicher Atomwaffen einsetzt. Andererseits aber plant der Atom-Paria Nordkorea offenbar den Test einer Rakete, die einen Nuklearsprengkopf transportieren könnte. Und im Iran, befürchten viele im Westen, könnte demnächst die Entscheidung zum Bau der Bombe fallen.

Das globale Inventar von derzeit mindestens 21 500 Atomwaffen, das zu etwa 95 Prozent den USA und Russland gehört, hat immer noch das Zerstörungspotenzial von 150 000 Hiroshima-Bomben. Doch für manche Staaten ist dies kein abschreckendes Szenario. Sie würden lieber selbst gerne dem „Nuklearen Klub“ angehören, oder ihr bestehendes Bombenarsenal weiter vergrößern, so wie es beispielsweise Pakistan tut.

Warum will man eine Waffe, die wegen ihrer katastrophalen Vernichtungskraft im Kriegsfall eigentlich gar nicht eingesetzt werden kann? Deren Besitz nur dadurch zu rechtfertigen sei, „dass so der Einsatz von Nuklearwaffen anderer verhindert wird“, wie es Klaus Naumann formuliert, ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. Nun, im Kalten Krieg ging es genau darum: „Die Atomwaffe“, so Naumann, „hat sicher in Europa mit den Frieden erhalten und verhindert, dass eine zum Angriff bereite Sowjetunion losgeschlagen hat.“ Und womöglich verhindere allein die Existenz der Waffe „ganz große Kriege“. Dennoch ist der General a.D. für Abrüstung. Neben dem früheren US-Verteidigungsminister William Perry oder Australiens Ex-Außenminister Gareth Evans war er Mitglied der „International Commission on Nuclear Non-Proliferation and Disarmament“, deren „ultimatives Ideal“ die Abschaffung aller Atomwaffen ist. Vielleicht auch, weil andererseits gerade im Kalten Krieg die Welt während der Kubakrise so kurz vor einem alles vernichtenden Atomkrieg stand wie seitdem nie wieder. Und weil es statt fünf Atommächten wie in den 60er Jahren heute schon neun gibt: neben den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich auch Indien, Pakistan, Israel und wohl Nordkorea. „Das Gleichgewicht des Schreckens“, sagt Wolfgang Ischinger, „ist so nicht mehr haltbar.“

Warum wollen Staaten heute noch die Atombombe?

Also, warum heute noch das Streben nach Atomwaffen? Nordkorea, heißt es oft, hat aus dem Irakkrieg gelernt: Wer wirklich Massenvernichtungswaffen besitzt, wird nicht mehr angegriffen. Könnte dies auch für Iran gelten? Doch es ist nicht nur das Sicherheitsbedürfnis allein, das einen Staat zur Atommacht werden lässt. Der Amerikaner Scott D. Sagan hat in den 90er Jahren versucht, diesen Schritt besser zu verstehen. Bedrohung, glaubt er, spielt eine Rolle. Aber ebenso könne dies ein erhoffter Statusgewinn auf der internationalen Bühne oder ein innenpolitischer Grund sein. Frankreich beispielsweise war im Kalten Krieg aufgrund seiner geografischen Lage weit weniger durch die UdSSR „gefährdet“ als etwa Deutschland oder Italien, und der Nuklearschild der Amerikaner hätte wohl auch Paris geschützt. Der Physiker Giorgio Franceschini von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ist deshalb überzeugt: „De Gaulle wollte die Bombe, um Frankreichs Großmachtanspruch aufrechtzuerhalten und das internationale Prestige zu untermauern“. Bis heute debattieren die Franzosen nicht über die Zukunft ihres Atomarsenals, das rund 300 Sprengköpfe, mehrere Atom-U-Boote und Kampfflugzeuge umfasst. Als der sozialistische Präsidentschaftskandidat Francois Hollande im Januar dem Atom-U-Boot „Le Triomphant“ einen Wahlkampfbesuch abstattete, erklärte auch er seine unverbrüchliche Unterstützung der französischen „Force de Frappe“.

Der Fall Indien erklärt sich für Sagan ebenfalls nur bedingt durch das Bedrohungsszenario. Zwar wurde Nachbar China mit dem Test von 1964 offiziell zur Atommacht, doch wartete Indien mit dem ersten – und lange Zeit einzigen – eigenen Test weitere zehn Jahre. Hätte Delhi aus Sicherheitsgründen rasch reagieren wollen, hätte ein entsprechendes Waffenprogramm die Bombe noch in den 60er Jahren ermöglicht, ist sich Sagan sicher. Stattdessen stritten die Atom-Befürworter heftig mit den Bombengegnern, die Delhi lieber als Mitglied im in den 60ern ausgehandelten Nuklearwaffensperrvertrag (NPT) sehen wollten. Erst 1974 befahl Premierministerin Indira Gandhi vor einer unsicheren Wiederwahl quasi im Alleingang und ohne größere Konsultationen selbst des Militärs den Test, und Indien wurde zur Atommacht. Gandhi gewann die Wahl, und eine Umfrage des „Indian Institute of Public Opinion“ ergab, dass 90 Prozent der Befragten „stolz“ waren auf den Nukleartest.

Andere Staaten dagegen haben aus innenpolitischen Gründen möglicherweise ihr Atomwaffenprogramm wieder eingestellt. 1989 war in Südafrika das Ende des Apartheidregimes und die Machtübernahme durch den ANC absehbar – dessen Vertreter sollten die Waffen nicht in ihre Hände bekommen. Großbritannien wiederum ist meilenweit davon entfernt, seinen Nuklearmachtstatus aufzugeben. Doch in Zeiten extrem knapper Kassen und beständiger Ausgabenkürzungen werden zumindest die Ausgaben für das Nuklearprogramm stärker hinterfragt. Denn Atomwaffenprogramme sind teuer. Die Briten wird die Erneuerung ihrer atomaren Trident-U-Boot-Flotte nach offiziellen Schätzungen über die Jahre 25 Milliarden Pfund kosten. Paul Ingram vom Thinktank „Basicint“ in London vermutet, dass die realen Kosten noch bis zu zehn Milliarden höher klettern dürften – und das für ein Waffenprogramm, das keiner aktuellen Bedrohungslage für das Vereinigte Königreich entspricht. Die Regierung Cameron hat die endgültige Entscheidung über „Trident“ nun auf die Zeit nach der nächsten Unterhauswahl verschoben.

Die USA zahlten schon Billionen für ihre atomaren Waffen

Dabei sind die britischen Ausgaben ein Klacks im Vergleich zu den mindestens 52 Milliarden Dollar, die in den USA beispielsweise allein im Jahr 2008 im Zusammenhang mit dem Atomwaffenprogramm ausgegeben wurden (der gesamte deutsche Verteidigungsetat umfasst etwa 30 Milliarden Euro.) Der Nuklearwaffenexperte Stephen I. Schwartz hat diese Ausgaben für das US-Atomwaffenprogramm zusammen mit Deepti Choubey vom „Carnegie Endowment of International Peace“ berechnet. Weit über die Hälfte des Geldes geht demnach direkt an die Nuklearstreitkräfte, um diese instand zu halten, zu modernisieren und die entsprechenden Trägersysteme zu pflegen. Milliardenbeträge verschlingen aber auch die Sicherung von Anlagen und Material sowie die Weiterentwicklung der Raketenabwehr. Insgesamt, so Schwartz, hatten die Amerikaner bereits zwischen 1940 und 1996 rund 5,5 Billionen Dollar für ihr Atomprogramm bezahlt.

Die Folgen eines Atombombenabwurfs: Bilder zu 65 Jahren Hiroshima

Milliarden von Dollar kosten außerdem noch heute die Gesundheits- und Umweltschäden, die durch Atomtests und bei der Atomwaffenproduktion entstanden sind. Bilder aus den 50er und 60er Jahren zeigen, warum. In der Wüste von Nevada kniet ein Trupp von Soldaten in normalen Kampfuniformen, die Gewehre halten die Männer im Anschlag. Alle starren gebannt auf die riesige Wolke, die am Horizont wie ein gigantischer Pilz in den Himmel wächst. Den radioaktiven Staub, der später auf sie niederregnen wird, wird ein Kamerad mit einem Besen von ihren Uniformen fegen.

Gerade bei den oberirdischen Atomtests, die alle Atommächte bis auf Israel durchgeführt haben, sind extrem viele solcher radioaktiver Teilchen in die Atmosphäre gelangt. Für die Hochzeit dieser Tests in den 60er Jahren verzeichnet das Bundesamt für Strahlenschutz auch in Deutschland eine massive Erhöhung der radioaktiven Isotope Cäsium 134, Cäsium 137 und Strontium 90. Erst 1986, nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, stiegen diese Werte wieder massiv an – wenn auch nicht ganz so hoch.

Wie viele Menschen aufgrund dieser Tests tatsächlich ums Leben gekommen sind, lässt sich kaum nachweisen. Welcher Arzt kann sagen, dass eine Krebserkrankung ausbricht, weil der Patient eine genetische Veranlagung dazu hat, oder dass es an den radioaktiven Teilchen liegt, denen er als Kind beim Spielen im Garten oder Pilzeessen besonders ausgesetzt war. Das US-Gesundheitsministerium schätzte allerdings im Jahr 2005 selbst, dass etwa 11 000 Amerikaner in den Jahren zwischen 1951 und 2000 aufgrund der Folgen nuklearer Tests gestorben sind. Atomkritische Organisationen wie zum Beispiel die „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges“ gehen von Millionen von Toten weltweit aus.

Schreckensszenario: Atomwaffen in den Händen von Terroristen

Dennoch erhält ein anderes Schreckenszenario derzeit mehr Aufmerksamkeit: Aus schlecht gesicherten Waffenbeständen sind Terroristen durch Bestechung und Schmuggel in den Besitz von einigen Kilogramm Plutonium gekommen; mit diesem Material bauen sie eine Bombe, die eine ganze Stadt verseucht; Hunderttausende sterben, die innen- und außenpolitischen Folgen übertreffen die des 11. Septembers um ein Vielfaches. Mit dieser Gefahr hat sich der Nukleargipfel in Seoul Anfang der Woche auseinandergesetzt. Weil „der Nuklearterrorismus eine der größten Bedrohungen für die internationale Sicherheit bleibt“, wollen die Teilnehmer jegliches „gefährdete Nuklearmaterial“ innerhalb von vier Jahren sichern, heißt es im Schlusskommuniqué. Es sind Absichtserklärungen, keine verbindlichen Regeln.

Mehr Sicherheit bringt letztlich wohl nur ein weiterer Abbau des nuklearen Arsenals und sonstigen vorhandenen radioaktiven Materials. Die fünf offiziellen Atommächte haben sich im NPT zur Abrüstung verpflichtet, und der müssen sie nachkommen, wollen sie den Vorwurf der doppelten Standards entkräften und ernsthaft von anderen Staaten verlangen, selbst kein militärisches Programm aufzulegen. Doch wie ernst ist es ihnen damit? Angela Kane, Hohe Vertreterin der Vereinten Nationen für Abrüstung, sieht das ziemlich nüchtern. „Bei den Regierungen der Nuklearstaaten herrscht nach wie vor die Empfindung vor, dass sie Atomwaffen brauchen, um sich selbst zu verteidigen“, sagt die Diplomatin. Und in der Bevölkerung, hat sie den Eindruck, wird seit einigen Jahren beispielsweise der Klimawandel als deutlich stärkere Bedrohung empfunden als die Existenz von Atombomben. „Die Menschen engagieren sich nicht mehr so sehr dagegen.“

Für Klaus Naumann ist das kein Zustand. Zwar sei der „Einsatz dieser Waffen“ unwahrscheinlich, doch wenn, wäre dies „eine Katastrophe von globaler Dimension“. Je mehr Atommächte es gibt, umso größer die Gefahr, dass ein Mensch einen Fehler macht, nukleares Material verschwindet, oder einer der Akteure nicht mehr rational handelt. Das könne auch nicht im Interesse der Nicht-NPT-Mitglieder Indien, Pakistan oder Israel sein, und auch nicht von Staaten wie Nordkorea oder Iran. Deshalb unterstützt Naumann, ebenso wie Wolfgang Ischinger, die Initiative „Global Zero“, in der sich auch prominente frühere Nicht-Atomwaffengegner wie die beiden ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger oder George Shultz für eine komplette Abrüstung dieser Waffen starkmachen.

Kritiker wie der Politikprofessor Christian Hacke halten das für „naiv“, da eine „wirkliche Null“ nicht zu erreichen sei, und dies den Menschen ehrlich gesagt werden müsse. In der Tat hat Obama in Prag eingeräumt, eine kernwaffenfreie Welt werde es vielleicht nicht mehr zu seinen Lebzeiten geben. Wolfgang Ischinger stellt klar: Für den Schritt zur Null „braucht es hundertprozentiges Vertrauen“ zwischen den Regierungen, deshalb sei dieser in der Praxis nur „schwer vorstellbar“. Aber von diesem Punkt seien die Atomstaaten ohnehin „noch weit entfernt“.

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