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Politik: Null Toleranz im Oberdeck

Von Gerd Nowakowski

Der Berliner hatte Jugendliche höflich gebeten, im Bus die Musik leiser zu machen. Die Antwort: lebensgefährliche Messerstiche. In der gleichen Woche wurde in Hamburg ein Mann in der Hochbahn erschlagen. Tatort Nahverkehr.

Großstädte sind keine Kurorte. Berlin war immer eine ruppige, freche Stadt. Das ärgert manche, weh tut es aber niemandem. Jetzt ist es anders. Zu beobachten ist eine schleichende Einschränkung des öffentlichen Raums – durch Pöbeleien, Drohungen und Gewalt. Brachial wird ein gesellschaftlicher Grundkonsens aufgekündigt: dass jeder ohne Angst und in Würde am öffentlichen Leben teilhaben kann. Aufgekündigt durch brutale Neonazis, aggressive Alkoholiker und gewaltbereite Ausländerbanden. Wer nicht hinnimmt, dass Dunkelhäutige beleidigt, Frauen belästigt oder Bussitze aufgeschlitzt werden, riskiert, gedemütigt zu werden von jenen, die einen Vorwand zum Zuschlagen suchen. Er riskiert die Scham und die hilflose Wut, wenn er vor Drohungen aus dem Bus flüchtet, oder läuft Gefahr, auf der Straße übelst beschimpft zu werden. Manchmal riskiert er sogar sein Leben.

Verletzte schaffen es in den Polizeibericht. Die Hunderte von bedrohlichen, aber folgenlosen Vorfällen, die es jeden Tag in Berlin gibt, verletzen das Zusammenleben in dieser Stadt. Die riesige Zahl von Briefen an die Redaktion zeigt, wie alarmierend die Entwicklung ist. Wer die Berichte über die bedrohlichen Erlebnisse liest, kann ahnen, wie es auf den Straßen und in den Herzen aussieht.

Eine U-Bahn ist kein Wohnzimmer, und Spießers Paradies ist nicht der Maßstab. Küssende Männer, quietschende Kinder, fröhliche Jugendliche muss jeder ertragen können – dies gehört zu einer lebendigen Großstadt. Coole Lümmel von der letzten Sitzbank im Oberdeck sind noch keine Nahverkehrshooligans. In Berlin aber gibt es längst die aggressive Machtergreifung des öffentlichen Raums. Im Ostteil sind es mehr Ausländerfeinde, im Westteil mehr Migranten. Man ahnt die lange Kette von Misserfolgen und persönlichen Niederlagen, die junge Ausländer damit kompensieren, das U-Bahn-Abteil zu terrorisieren. Macht ausüben, Angst und Schrecken verbreiten – das ist das Einzige, was sie beherrschen. So lange wir uns das gefallen lassen. Im Untergrund und im Oberdeck sind täglich die Versäumnisse von Erziehung und einer Integration zu beobachten, die diesen Jugendlichen keinen Weg zum Aufstieg weisen konnte. Wir haben ihnen nicht Respekt beigebracht; sie strafen uns mit Verachtung für unsere Gesellschaft, die sie für schwach halten.

Das subjektive Sicherheitsgefühl schwindet. Bedroht ist der zivilisatorische Raum, den eine Stadt unabdingbar braucht, um quirlig und attraktiv zu sein. New Yorks Krise in den 80ern war untrennbar verbunden mit der Aufgabe der Straßen. Wir wollen in Deutschland nicht erleben, dass wie in New York jemand gefeiert wird, der in der U-Bahn vier Menschen niederschoss, die ihn bedrohten.

Null Toleranz auf dem Oberdeck. Das ist Aufgabe des Staates. Durch Polizisten, die auf der Straße anzutreffen sind, wenn man sie braucht. Das geht nicht mit Busfahrern, die einfach weiterfahren, während ihr Fahrgast an der Haltestelle verprügelt wird oder Wachmänner, die lieber schnell aus der S-Bahn aussteigen, als zu helfen, wenn Neonazis die Fahrgäste terrorisieren. Alles geschehen in Berlin.

Nur wenn sich das ändert, kann ein Konsens wachsen, gemeinsam gegen Pöbler vorzugehen oder Gewalt zu verhindern. Wir brauchen eine Kampagne des Miteinanders und der Solidarität. Dazu aber müssen die Berliner sich verlassen können, dass der Busfahrer eingreift und die Polizei alarmiert. Und Fahrgäste haben ein Recht auf Videoaufzeichnung. Kameras können Gewalt nicht verhindern; ihre Existenz aber macht Tätern klar: Wir kriegen euch. Sicherheit ist ein Standortfaktor. Niemand kann wollen, dass Menschen lieber in verriegelten Autos durch die Städte rollen. Wir sind gefordert: zur Rückeroberung des öffentlichen Raums. Damit Zivilcourage eine Chance hat und keine Dummheit ist.

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