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Politik: Nur ein Wimpernschlag

Von Stephan-Andreas Casdorff

Alles fügt sich zusammen, alles gehört zusammen. Das Kriegsende vor 60 Jahren und das Ende des Holocaust, die Eröffnung des HolocaustMahnmals in der Hauptstadt der Täter – und 40 Jahre israelisch-deutsche Beziehungen. Wenn es viele auch nicht hören wollen: ein Geschenk. Denn was sind 60 Jahre oder 40 Jahre in der Geschichte? Ein Wimpernschlag.

40 Jahre Beziehung zu Israel, das ist, um gleich aufs Grundsätzliche zu kommen, etwas Besonderes und wird es immer bleiben. Es ist eben nicht wie bei Polen, Frankreich, Russland. Da hat sich so viel gewandelt, normalisiert. Deutschland hat zu diesen Ländern, befreundeten Ländern, auch eine geostrategische Beziehung. Die zu Israel entzieht sich aber der kühl-logischen Betrachtung, der nur von Interessen geleiteten.

Und wo wir gerade dabei sind, müssen auch zwei Begriffe voneinander unterschieden werden: Normalisierung und Normalität. Seit den 60er Jahren gibt es im Nachholocaustdeutschland Debatten über die Frage, wie sich ein Verhältnis dieser Art normalisieren lasse oder werde. Manche, seien wir ehrlich mit uns, verstehen darunter, dass irgendwann doch mal Schluss sein muss mit der Selbstkasteiung wegen zwölf Jahren in der deutschen Geschichte. Weil doch die Täter sterben, nicht wahr, und die, die danach kommen… Nun, dazu ist in diesen Tagen und davor alles gesagt. Aber was jetzt gesagt werden muss: Es gibt auch im 21. Jahrhundert kein Abnehmen der deutschen Verantwortung für Israel.

Schon vergessen? Deutschland gehört in den Begründungszusammenhang Israels. Es gehört außerdem zu seiner Erinnerungskultur. Da endet nach 60 Jahren, nach 40 Jahren nichts. Umgekehrt ist der Staat Israel als gleichsam kollektiver Jude ein ständiges Mahnmal. Auch für Deutschland. Für uns Deutsche, die wir immer noch befangen mit Juden umgehen. Ein Teil der Deutschen denkt immer noch antisemitisch. Die israelische Botschaft in Deutschland erhält, anders als die deutsche in Israel, noch immer viele Hassbriefe. Von Normalisierung kann da nicht so recht die Rede sein.

Aber vom Versuch dieser Normalität, die sich festmacht an drei Begriffen: Erinnerung, Verantwortung, Bewusstsein. Zur Erinnerung: Adenauer hatte in seiner Partei 1952 keine Mehrheit für die Wiedergutmachung, Erhard musste 1965 Widerstand überwinden für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen. Dabei war in beiden Fällen die Erinnerung doch noch wach. 1952! 1965! Und normal ist es nicht, dass in der ach so aufgeklärten deutschen Gesellschaft keine lange, ausführliche, weit gefächerte Debatte über Solomon Korns These stattgefunden hat, mit einer Historisierung des Holocaust gehe die Enttabuisierung einher. So viel zur Erinnerung und ihrer Qualität. Ist der Zeitgeist restaurativ?

Doch da kommt Speer. Er und wir: Die Lebenslüge Speers half auch, wohlgemerkt auch, bei der Identitätsfindung im Nachkriegsdeutschland. Wenn einer, der Zweitmächtigste, nichts wusste, wie sollten dann die anderen… Er hat es gewusst. Nun sage keiner, er selbst hätte es nicht wissen können. Und wieder sehen wir: Das Thema ist nicht abgeschlossen. Deutschland kann nicht unverkrampft ein Event feiern, 40 Jahre zur Party machen. Heute können wir gut über Schuld und Erinnerung reden, müssten aber mehr darüber nachdenken, warum wir es in den ersten Jahren nach dem Holocaust nicht konnten. Das ist, was unser Verhältnis zu Israel nach 40 Jahren weiter bestimmt. Wir müssen weiter reden.

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