zum Hauptinhalt

Politik: Nur halb entschieden

DIE RENTENKLAUSUR

Von Ursula Weidenfeld

Der Kanzler nahm einen gewaltigen Anlauf gestern, nach dem Ende der Rentenklausur der Bundesregierung. Es sei eine „der schwierigsten Diskussionen und eine der schwierigsten Entscheidungen, die wir in unserer Regierungszeit zu treffen haben“. Gerhard Schröder bemühte die Solidarität der Rentner, appellierte an die Treuepflicht der Beitragszahler und skizzierte die Alterung des Landes in düsteren Farben.

Und dann präsentierte er ein Programm, das diesem Szenario bestenfalls in Teilen gerecht wird. Bemerkenswert ist zwar, dass die SPD in der akuten Notlage der Rentenkasse erstmals nicht den einfachsten aller Wege wählt: Es soll keine Erhöhung der Rentenbeiträge geben. Statt dessen riskiert die Regierung den Konflikt mit den Rentnern. Es wird im kommenden Jahr keine Rentenerhöhung geben, die Rentner müssen ihre Pflegeversicherungsbeiträge demnächst komplett selbst bezahlen. Für den Standardrentner bedeutet das unter dem Strich eine Rentenkürzung von etwa zehn Euro im Monat. Und Neurentner bekommen das erste Geld künftig einen Monat später als bisher. Das ist mutig – und viel mehr kann man wohl bei einer Notoperation nicht erwarten.

Dennoch wird die Regierung im kommenden Jahr noch mehr Schulden machen müssen, wenn sie den Beitragssatz zur Versicherung tatsächlich stabil halten will. Denn die geplante Belastung der Rentner reicht – trotz aller Härten – nicht aus, um die Versicherungsbeiträge der Arbeiter und Angestellten, tatsächlich stabil zu halten.

Statt einer klaren Rechnung hat Gerhard Schröder das gemacht, was er immer macht, wenn es eng wird: eine Wette. Nur, wenn es im kommenden Jahr einen kräftigen Aufschwung gibt, wenn die Arbeitslosigkeit deutlich sinkt, dann kann der Plan vom Sonntag aufgehen. Wenn nicht, ist ohnehin nichts mehr zu retten, mögen sich die rotgrünen Regierungspolitiker gedacht haben. Und dann macht es auch nichts mehr, wenn die Staatsschulden noch weiter steigen, wenn die Rentenkasse voraussichtlich im Herbst bei Hans Eichel betteln muss, damit sie die fälligen Renten überhaupt noch auszahlen kann.

Schlimmer aber ist, dass die Regierungspolitiker bei der langfristigen Rentensicherung nur halbe Sache gemacht hat: Vom Jahr 2005 an sollen sich die Rentenerhöhungen zwar nicht mehr nur an der Entwicklung der Löhne orientieren, sondern auch das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern berücksichtigen. Das ist vernünftig, weil so die Lasten der Alterung zwischen den Generationen fair verteilt werden können. Steigt die Zahl der Rentner stark an, werden die Rentenerhöhungen entsprechend knapper ausfallen oder sogar ganz ausbleiben.

Aber: Die notwendige Ergänzung zu dieser Entscheidung, das Anheben der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre, haben sich die SPD und die Grünen nicht zugemutet. Der Kanzler argumentiert, dass die Sache doch erst nach dem Jahr 2010 entschieden werden müsse – und meint, dass es dann doch bitte auch ein anderer machen soll.

Das ist feige und falsch. Denn schon jetzt leben fast die Hälfte aller Wahlberechtigten hauptsächlich von Renten oder staatlichen Geldtransfers. In sechs, sieben Jahren werden sich die Interessen der Wähler noch deutlicher in diese Richtung verschoben haben. Das aber heißt, dass strukturelle Änderungen dann noch schwerer sind. Das weiß die SPD, und die Grünen haben damit sogar Wahlkampf gemacht. Dass sie sich jetzt weggeduckt haben, ist die entscheidende Schwäche der Rentenklausur. Die schwierigste Entscheidung dieser Bundesregierung? Das hätte sie sein können. Und sein müssen.

-

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false