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Politik: Nur keine Majestätsbeleidigung

Russland im Wahlkampf: Putins Gegner gelten als chancenlos – auch weil sie von Behörden massiv behindert werden

Die Wahlkampfaktion endete in einer winzigen Arrestzelle, zweieinhalb Meter mal dreieinhalb Meter. Geteilt durch 14 ergibt das 0,625 Quadratmeter pro Mensch. Zwölf Mitglieder der KP-Jugendorganisation und zwei Journalisten wurden in der heißen Phase des Wahlkampfes in die winzige Arrestzelle eines Polizeireviers in St. Petersburg gesperrt. Erst rund 40 Stunden später wurden sie einem Untersuchungsrichter vorgeführt. Die Jungkommunisten hatten sich Putin-Masken aus Gummi übergestülpt und den Kremlherrscher vor dessen Geburtshaus mit Sprechchören aufgefordert, seine Kandidatur zurückzuziehen: „Wowa, geh nach Hause.“

„Wowa“, die Kurzform für Wladimir, ist für Putin so wenig beleidigend wie Bill für Clinton, der eigentlich William heißt. Dennoch entgingen die Demonstranten nur durch Formfehler in der Anklage einem Prozess wegen Beleidigung der Staatssymbolik. Und die russischen Journalisten, die das Ganze verfolgten, einem Strafverfahren wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Nur ein BBC-Team ließen die Ordnungshüter laufen. Allerdings erst, nachdem sie dessen Kamera in einen Haufen Schrott verwandelt hatten.

In Russland erfuhr außer den Hörern von Radio Liberty praktisch niemand von dem Übergriff. „Ungelenkte Demokratien haken Aktionen wie diese als Wahlkampf-Gag ab, gelenkte wie unsere als Majestätsbeleidigung“, sagt die Radiojournalistin Irina, die nicht möchte, dass ihr Nachname veröffentlicht wird. Ein Mausklick, und schon hat sie die Meldung in den elektronischen Papierkorb entsorgt. „Das kann ich nicht senden.“ Eigentlich wäre dieser Wahlkampf ein „Plot für einen Polit-Thriller", findet Irina. Arbeitstitel: Wahlen in Absurdistan. Eine Produktion, die mit nur sechs Akteuren auskommt.

Senatspräsident Sergej Mironow gibt den Biedermann. Bisher fiel er vor allem mit dem Vorschlag auf, die Amtszeit des Präsidenten auf sieben Jahre zu erhöhen. Dabei will Mironow nichts weniger als selbst Präsident werden. Ein bisschen will er seine „Partei des Lebens“ voranbringen. Außerdem will er Putin nach eigenen Angaben bei der Wahl nicht allein lassen. Sehr erfolgreich ist er nicht, obwohl er meist mit Ex-Miss-World Oxana Fjodorowa im Schlepptau auftritt: Mit knapp 0,1 Prozent ist er das Schlusslicht unter Putins chancenlosen Konkurrenten.

Selbst „Spitzenreiter“ Nikolaj Charitonow bringt es nur auf schlappe fünf Prozent. Der 53-Jährige gehört zum linken Flügel der Agrarpartei, geht aber für die KP ins Rennen, die nach ihrer Schlappe bei den Parlamentswahlen potenzielle Hoffnungsträger nicht als chancenlose Gegenkandidaten Putins verbrennen will. Auch der Rechtspopulist Wladimir Schirinowskij sah selbst von einer Kandidatur ab – und schickte einfach seinen Ex-Leibwächter Oleg Malyschkin ins Rennen.

Die Unabhängigen, Irina Chakamada, Exfrontfrau der neoliberalen „Union der Rechten Kräfte“ und Sergej Glasjew, der die Befindlichkeiten linksnationaler Protestwähler bedient, kommen nicht einmal zusammen auf fünf Prozent. Chakamada sieht sich mit Angriffen wegen ihres Sponsors Jukos konfrontiert. Während Putin schon durch die Entlassung der Regierung, für die er selbst wahlkampftaktische Gründe gelten macht, die Nachrichtensendungen weitgehend zum Ein-Personen-Stück umfunktioniert, muss die Konkurrenz sich den Zugang zu Medien erkämpfen. „Nur ein Kandidat darf alles. Auch sämtliche Gesetze mit Füßen treten und trotzdem laut nachdenken über Rechtsstaat und Diktatur des Gesetzes“, sagt Linksnationalist Glasjew. Er weiß, wovon er spricht: Bei seiner Wahlkampfreise nach Jekaterinburg suchte er vergeblich nach einem Saal: Erst sagte die Uni „njet“, dann das Theater. Als Glasjew die Veranstaltung in ein Museum verlegte, ließ der Katastrophenschutz das Gebäude wegen Minengefahr räumen.

Ex-Parlamentschef Iwan Rybkin schied bereits aus dem Rennen. Mitte Februar verschwand er für drei Tage spurlos von der Bildfläche. Später behauptete er, er sei in Kiew unter Drogen gesetzt und entführt worden. Rybkin wollte den Wahlkampf zunächst von London aus führen. Der Staatssender RTR verweigerte ihm jedoch die Konferenzschaltung bei den Fernsehdebatten. Und zwei TV-Sender wollten seine Werbespots nicht ausstrahlen. Die, so die Programmdirektion, vertrügen sich nicht mit dem Sendekonzept.

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