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Politik: Nur Mut, Frau Merkel!

Von Antje Vollmer

Der Geburtsvorgang war quälend und finessenreich. „Es ist ein Mädchen“, kommentierte die „taz“ unnachahmlich: Angela Merkel wird die erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Es war ein weiter Weg von den Müttern des Grundgesetzes bis zur ersten Kanzlerin, von der Rarität der AlibiFrauen in den Parteien bis zur selbstverständlichen Spitzenfunktion. Für uns Grüne Frauen lagen dazwischen als Meilensteine: das erste Feminat, die Frauenquote, die Forderung nach dem ersten Frauenministerium, das Rita Süssmuth 1986 besetzte. Keine Partei wird von der Selbstverständlichkeit vieler Ministerinnen je wieder abweichen. Soweit die gute, Epoche machende Nachricht.

Beunruhigend ist, wie diese Prozesse kommentiert werden. „Die können ES nicht“, war der ständige Kommentar zum Feminat von manch liebem Kollegen in manchem journalistischen Kneipengespräch. „Die kann ES nicht“, war der Begleittext zu Angela Merkel von Schröder bis Stoiber. Was ist dieses geheimnisvolle „ES“, das Politikerinnen in den Augen ihrer männlichen Konkurrenten fehlt? „ES“ bedeutet offensichtlich nicht Intelligenz, Talent, Autorität, charismatische Ausstrahlung. Das alles sollen, so hört man, Frauen gelegentlich auch haben. ES ist aber offensichtlich nur den männlichen Genen zuhanden. ES, so bemühe ich mich zu verstehen, ist der unbedingte, mit der eigenen Person völlig identische, jeden Zweifel ausschließende Gebrauch von Macht.

Vermutlich ist ES genau das, worauf das sehr in Mode gekommene Unwort Alphatier zielt. Das Alphatier ist nicht dialogisch, sondern steppenwölfisch und draufgängerisch. Es wirkt eher durch Einschüchterung, körpersprachlich-autoritäres Verhalten, es wirkt überhaupt ganz oft ohne Sprache. Um Alphatiere ist es immer irgendwie einsam. Aber um diese Stahlschicht von Einsamkeit gibt es dann ganz, ganz viele Claqueure und viel Liebedienerei. Gleichzeitig ist das ES ein Wir. „Wir Männer unter uns“. Gemeinsame Sieges- und Verlustrituale, Skat-Abende und Sprücheklopfen – alles jenseits von weiblichem Gedöns.

Ein Blick auf Angela Merkel zeigt, dass sie die Regeln der Macht genau studiert hat. Sie kann im Umgang mit politischen Konkurrenten gnadenlos sein – übrigens oft im Gegensatz zur eigenen Überlebensintelligenz. Sie scheint – von allerdings gewaltigen Wahlkampfpatzern abgesehen – über einen ausgeprägten Sinn für den richtigen Moment zum Angriff zu verfügen.

Ich wünsche Angela Merkel Glück. Im Gegensatz zu Alice Schwarzer, die nur „bewiesen sehen will, dass Frauen ES auch können“, sind aber meine Erwartungen größere und andere. Von den Alpha-Ingredienzien haben wir in den letzten Jahren eine Dosis genossen, die erst einmal reicht. Angela Merkel wird nur dann Erfolg haben, wenn sie bedingungslos auf Dialog setzt, auch und gerade im Parlament. Die neue Kanzlerin sollte auch schnell jenes Fremdeln gegenüber der Gesellschaft überwinden, das man ihr in all diesen Jahren angemerkt hat. Das wirkliche Leben und die wirkliche Gesellschaft, so, wie sie nun einmal sind, zu begreifen, müsste doch einer Frau irgendwie leichter fallen. Nur Mut!

Die Grünen-Politikerin ist scheidende Bundestags-Vizepräsidentin. Sie gehört dem neuen Parlament nicht mehr an.

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