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Der amerikanische Präsident nannte bei seiner Ansprache die Vornamen aller getöteten Kinder und gab der Nation das Versprechen, weitere Tragödien dieser Art zu verhindern. Die Befürworter liberaler Waffengesetze hielten sich in den Tagen nach dem Amoklauf öffentlich zurück.

© REUTERS

Obama bei Trauerfeier nach Amoklauf: „Wir können dies nicht länger ertragen“

„Wir müssen es beenden“, sagt der US-Präsident und meint damit das liberale Waffenrecht. In der 18-minütigen Rede sprach er das Wort „Waffe“ nicht ein einziges Mal aus. Aber alle haben verstanden, dass er Änderungen des Waffenrechts anstrebt.

Zeitungen nennen Barack Obama den „Mourner in Chief“: den Anführer der Nation in der Trauer. Die Tragödie hat die „Soft Power“ des Präsidenten offenbart, die ungeschriebene Macht, die nicht in Verfassungsartikeln definiert ist. Er weint öffentlich die Tränen all der Eltern mit, auf die sich keine Kameras richten. Er spricht die bohrenden Fragen aus, die sich so viele stellen. Er will auch Vorbild darin sein, dass Eltern sich jetzt erst recht Zeit für ihre Kinder nehmen und ihnen ihre Liebe zeigen sollen. Bevor er am Sonntagabend bei der Trauerfeier für die Opfer des Massakers in Newtown sprach, besuchte er die Tanzprobe seiner jüngeren Tochter Sasha.

Am Montag hallte die Frage, die der Präsident ins Zentrum seiner Rede am Abend zuvor gestellt hatte, überall in den USA nach: „Können wir ehrlich behaupten, dass wir genug getan haben, um unsere Kinder, alle Kinder, zu schützen?“ Sein Urteil lieferte er gleich mit: „Wenn wir ehrlich mit uns sind, lautet die Antwort Nein. Wir tun nicht genug dafür. Und wir müssen uns ändern.“

Vor dem Rednerpult mit dem präsidialen Siegel brannten auf einem Tischchen 26 Kerzen, für jedes Opfer eine. Er zitierte Jesu Worte aus der Bibel: „Lasst die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht. Denn ihrer ist das Reich Gottes.“ Dann nannte er die Vornamen aller 20 erschossenen Kinder: „Charlotte. Daniel. Olivia. Josephine. Ana. Dylan. Madeleine. Catherine. Chase. Jesse. James. Grace. Emilie. Jack. Noah. Caroline. Jessica. Benjamin. Avielle. Allison.“ So wirkte es, als gebe er ihnen ganz persönlich sein Versprechen: „In den kommenden Wochen werde ich alle Macht, die dieses Amt bietet, dafür nutzen, meine Mitbürger – von denen, die das Recht durchsetzen, über jene, die sich um mental Kranke kümmern, bis zu Eltern und Erziehern – dafür zu gewinnen, weitere solche Tragödien zu verhindern.“

„Wir können dies nicht länger ertragen. Wir müssen es beenden.“ Wie er das ganz konkret tun möchte, sagte Obama nicht. In der 18-minütigen Rede sprach er das Wort „Waffe“ nicht ein einziges Mal aus. Aber alle haben verstanden, dass er Änderungen des Waffenrechts anstrebt, auch wenn er einschränkend anmerkte: „Kein Gesetz kann das Böse aus der Welt schaffen oder jede sinnlose Gewalttat verhindern.“ Amerikaner sagen, sie würden es als unpassend empfinden, wenn der Präsident bei einer Trauerfeier politische Forderungen stellen würde. Er soll zunächst den Kummer und das Entsetzen in Worte fassen: „Bürger von Newtown, ihr seid nicht allein“, sagte er.

Befürworter des Waffentragens sind in diesen Tagen in der Defensive

Zwei Gemeindemitglieder spenden sich bei der Trauerfeier für die Toten des Amoklaufs von Newtown gegenseitig Trost.
Zwei Gemeindemitglieder spenden sich bei der Trauerfeier für die Toten des Amoklaufs von Newtown gegenseitig Trost.

© dpa

Mitmenschen halfen ihm, die Gebrochenen aufzurichten. Eine Organisation war mit „Streichelhunden“ nach Newtown gereist. Wie schon so oft an den Schauplätzen grausamer Ereignisse ließ sich auch hier vor den Türen zur Trauerfeier beobachten, welch tröstliche Wirkung diese haben. Vor allem Kinder, aber auch Erwachsene, die mit Tränen in den Augen und in gramgebeugter Haltung gekommen waren, gingen spontan auf die Tiere zu. Als sie das Fell kraulten, entspannten sich die Trauermienen, und in manche Kindergesichter trat ein Lächeln.

Der Ort der Andacht war eher nüchtern: die Aula einer High School. Die gemeinsame Andacht verschiedener Religionen unterstrich aber auf ergreifende Weise den Willen zum Zusammenhalt. Protestantische Pfarrer und katholische Priester sprachen. Ein jüdischer Rabbi und ein Muslim sangen Totengebete ihrer Konfessionen. Gouverneur Dan Malloy dankte den Rettern und Polizisten, die in Lebensgefahr Erste Hilfe leisteten.

Die Befürworter der Freiheit des Waffentragens sind in diesen Tagen in der Defensive. Nicht einer von ihnen wagte es, in einer der Sonntags-Talkshows im Fernsehen aufzutreten, die sich mit den Folgen des Massakers befassten. Zugleich verbreiten die US-Medien aber Skepsis. Der Präsident habe vielen Bürgern aus dem Herzen gesprochen und wolle offenkundig mehr tun. Bisher habe die Waffenlobby jedoch alle Initiativen zur Verschärfung der Gesetze abblocken können. Wird es diesmal anders sein? Ändern die Sorgen, mit denen Eltern ihre Kinder am Montag zur Schule gehen sahen, etwas an ihrer persönlichen Einstellung zum Waffenrecht? Vor dem Massaker lehnten 53 Prozent ein Verbot des Verkaufs von Schnellfeuergewehren an Privatleute ab.

Für die Schulkinder in Newtown fällt der Unterricht für den Rest der Woche aus. An jedem Tag sind Begräbnisse anberaumt. Am Montag wurden zwei sechsjährige Jungen, Noah Pozner und Jack Pinto, in Newtown und in der Nachbarstadt Fairfield beerdigt. Nach den Weihnachtsferien werden die Kinder der Sandy-Hook-Grundschule auf andere Schulen verteilt.

Die Polizei gibt immer neue Erkenntnisse zum Tatablauf bekannt, die frühere Darstellungen entscheidend korrigieren. Zum Beispiel wurde eine vierte Waffe gefunden: ein Schrotgewehr, das der Täter im Auto zurückließ.

Nun rückt seine Mutter in den Fokus. Manche Medien fragen, ob sie der Auslöser des Amoklaufs war. Sie wird als paranoide Einzelgängerin geschildert, die an den nahen Zusammenbruch der Ordnung glaubte, Vorräte an Lebensmitteln und Waffen hortete und niemanden in ihr Haus ließ. Der Täter tötete sie, als sie noch im Schlafanzug im Bett lag, mit mehreren Kopfschüssen, ehe er mit ihren Waffen in ihrem Auto zur Schule fuhr.

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