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Noch-Präsident Barack Obama beschwört Demokraten im Kongress, sein Erbe zu bewahren: Frederica Wilson, Joseph Crowley, Charles Schumer und Nancy Pelosi (von links nach rechts).

© dpa

Obama-Nachfolger Trump: "Make America Sick Again"

Die Republikaner machen die Zerstörung der Gesundheitsreform zur Priorität. Präsident Obama schwört die Demokraten auf Fundamentalopposition ein. Eine Analyse.

Im Abstand von zehn Minuten trafen Noch-Präsident Barack Obama und der künftige Vizepräsiden Mike Pence am Mittwoch im Kongress ein. Beide kamen, um ihre Bataillone auf den kommenden Kampf im Parlament um das Schicksal der Gesundheitsreform einzuschwören, Obama die Demokraten, Pence die Republikaner. Dies ist zugleich ein Ringen darum, was von Obamas Erbe überlebt. Die Gesundheitsreform, die erstmalig die Pflicht zu einer Krankenversicherung für fast alle Amerikaner einführte, ist das Herzstück des Obama-Erbes.

Polemische Twitter-Botschaften

Seit der Durchsetzung der Reform im Frühjahr 2010 haben die Republikaner ihre Wahlkämpfe mit dem Versprechen geführt, "Obamacare" wieder abzuschaffen. Pence bekräftigte nun, der künftige Präsident Donald Trump habe einen "zweigleisigen Fahrplan", wie die Reform "in geordneter Weise abgewickelt und ersetzt" werde. Obama schwor die Demokraten im Abgeordnetenhaus und dem Senat auf Fundamentalopposition ein. Sie sollten keine Kompromisse eingehen und die Republikaner nicht vor den Folgen ihrer Wahlversprechen "retten".

Begleitet wurde die Zuspitzung vom Austausch polemischer Twitter-Botschaften. Trump warnte die Republikaner vor Zugeständnissen. "Achtet darauf, dass die Demokraten die Schuld am Obamacare-Desaster tragen. Lasst die Schumer-Clowns nicht aus diesem Fangnetz entwischen." Mit "Schumer-Clowns" meint er die Demokraten im Senat und ihren neuen Fraktionschef Charles Schumer aus New York.

Schumer twitterte zurück: "Die Republikaner sollten aufhören, den Clown in Amerikas Gesundheitswesen zu spielen. Don't #MakeAmericaSickAgain". Das Stichwort ist eine Anspielung auf Trumps Wahlkampfslogan "Make America Great Again".

Die Republikaner können den "geordneten" Übergang nicht allein leisten

Es ist kein Zufall, dass Trump seinen Angriff auf Schumer konzentriert. Der Kampf wird im Senat ausgetragen, der zweiten Kammer im Kongress, die die Interessen der 50 Bundesstaaten vertritt, nicht im Repräsentantenhaus. Das liegt an den jeweiligen Geschäftsordnungen. Die Republikaner haben in beiden Kammern die absolute Mehrheit, aber im Senat gibt es für Gesetzesänderungen und neue Gesetze eine zusätzliche Hürde. Um die Debatte zu beenden und zur Abstimmung zu kommen, benötigt man 60 von 100 Senatoren. Die Republikaner haben 52 Sitze im Senat, die Demokraten 48.

Darauf bezieht sich Obamas Aufforderung, keiner der Demokraten solle den Republikanern helfen, sich zu "retten". Sie bezieht sich vor allem auf die zehn demokratischen Senatoren, die im Herbst 2018 zur Wiederwahl anstehen und Staaten vertreten, die Trump bei der diesjährigen Präsidentenwahl gewonnen hat. Auf sie wollen die Republikaner besonderen Druck ausüben, bei einer Neugestaltung der Gesundheitsreform mitzumachen.

Teile der Reform sind populär, im Ganzen ist sie es nicht

Die Republikaner stehen aber auch nicht geschlossen hinter den Marschbefehlen ihre Führung. Die öffentliche Meinung über Obamacare ist auf paradoxe Weise gespalten. Eine Mehrheit beurteilt die Gesundheitsreform insgesamt negativ. Populär sind aber einzelne Aspekte der Reform wie die Möglichkeit, Kinder in Ausbildung bis zum 26. Lebensjahr mit einem Elternteil zu versichern. Und die Abschaffung der Klausel "Preexisting Condition". Sie erlaubte es Krankenversicherungen, die Kostenerstattung zu verweigern, wenn die behandelte Krankheit bereits vor Abschluss der Versicherung bekannt war.

Im Kern dreht sich der Machtkampf um folgenden Widerspruch: Die Republikaner können ihr Versprechen, Obamacare in geordneter Weise abzuschaffen und durch eine neue Reform zu ersetzen, nicht aus eigener Kraft erfüllen. Dazu brauchen sie die Mithilfe von mindestens acht kompromisswilligen demokratischen Senatoren. Sie können allerdings aus eigener Kraft und ohne demokratische Mithilfe Obamacare die finanzielle Grundlage entziehen.

Ein Manöver im Kongress namens "Budget Reconciliation"

Das parlamentarische Vehikel dazu nennt sich "Budget Reconciliation". Unter Rückgriff auf die Behauptung, dass Obamacare das Budgetdefizit aufblähe, können Repräsentantenhaus und Senat die Finanzierung einzelner Bestandteile der Gesundheitsreform kürzen oder komplett streichen. Für dieses Manöver verlangt die Geschäftsordnung des Senats nicht die Zustimmung von 60 der 100 Senatoren.

Die Kürzungen durch "Budget Reconciliation" würden Obamacare zwar nicht abschaffen, aber zerstören. Und im Extremfall ein Chaos im Gesundheitswesen auslösen, weil zunächst Verwirrung herrschen würde: Auf wen bezieht sich die von Obama eingeführte Versicherungspflicht noch und wer kann straffrei unversichert bleiben? Für welche Krankenversicherungsverträge gibt es noch staatliche Zuschüsse? Und welche Leistungen sind noch versichert, welche muss man privat bezahlen?

Erpressung mit einem drohenden Chaos

Die Republikaner hoffen, dass sie die Schuld für das absehbare Chaos den Demokraten aufladen können - das alles seien die Folgen einer gescheiterten Reform. Und dass einzelne demokratische Senatoren, die um ihre Wiederwahl fürchten, unter diesem Druck bei der Neugestaltung des Gesundheitswesens mitwirken.

Obama fordert die Demokraten hingegen dazu auf, Ruhe zu bewahren. Die Republikaner würden den Zorn der Bürger ernten, wenn sie Obamacare durch "Budget Reconciliation" zerstören, ohne zugleich eine besser funktionierende Reform an deren Stelle zu setzen.

Die Republikaner setzen auf ein Erpressungsmanöver, bei dem die Bürger - hier die auf Gesundheitsversorgung Angewiesenen - zur Geisel genommen werden. Vergleichbare Versuche hat Amerika in den Obama-Jahren im Kampf um den Staatshaushalt mehrfach erlebt. Da drohten die Republikaner mit der Schließung von Ämtern und Behörden durch Finanzierungsverweigerung. Das bekommt keinem der beiden Lager gut. Aber das höhere Risiko tragen die Republikaner. Und deshalb sind sie bei den Budget-Erpressungen in den jüngsten Jahren am Ende stets davor zurückgeschreckt, ihre Drohung wahr zu machen.

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