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Obama und das schwarze Amerika: Zweite Wahl

Sie sind stolz auf ihn, den ersten schwarzen Präsidenten der USA. Doch in vier Jahren veränderte sich wenig für die Afroamerikaner, die Begeisterung wich der Enttäuschung. Nur der Stolz, der blieb.

Eine Straße mit aufgeplatztem Asphalt, in den Rissen sammelt sich der Regen. Rechts und links stehen kleine, einstöckige Häuser. Presspappe verklebt die Fensterhöhlen. Autowracks liegen in den Vorgärten wie blecherne Skelette, aus denen Unkraut wuchert.

Hier, im schwarzen Westen von Atlanta, in einem Backsteinhaus mit blauen Fensterläden, lebt Melanie Celestine. Sie ist 45 Jahre alt, eine Frau mit blitzblanken Augen, glucksendem Lachen und einem wilden Lockenschopf. Melanie hat fünf Kinder zwischen 10 und 26 Jahren, außerdem einen Enkelsohn. Sie ist alleinerziehende Mutter, vom Vater der Kinder ist sie lange geschieden. Genauso wie Präsident Obamas Mutter, sagt sie. „Obama weiß, dass der Alltag für Frauen wie mich ein Kampf ist, jeder einzelne Tag.“

Melanie Celestine hat Barack Obama vor vier Jahren gewählt, und sie wird am 6. November wieder für ihn stimmen. Dass Obama der erste schwarze Präsident der USA sei, mache sie stolz, sagt sie. Sie sitzt sehr gerade auf der äußersten Kante eines abgewetzten Sofas, streicht langsam über ihren Arm und lacht leise. „Und seine Frau, sie hat genauso dunkle Haut wie ich. Einen schwarzen Mann und eine schwarze Frau im Weißen Haus zu sehen, das war schon ein wunderbarer Moment für mich.“

Die Haustüre knarrt, Metall schrammt über den Holzboden. Melanies Tochter ist von der Schule nach Hause gekommen. Sie ist 13 Jahre alt, ein großes, scheues Mädchen. Ihr Name ist Destiny, Schicksal. Sie lässt sich in einen beigefarbenen Sessel fallen, der zu wuchtig ist für dieses enge, dunkle Zimmer.

Ja, das Schicksal, sagt Melanie Celestine, das Schicksal sei eigentlich gnädig mit ihr. Denn anders als viele ihrer Freunde und Nachbarn hat sie Arbeit, einen festen Job bei einer Sicherheitsfirma. Für die gesamte Familie reicht ihr Einkommen aber kaum. Es sei manchmal schwer, Essen für die Kinder zu kaufen und alle Rechnungen zu bezahlen. Bislang hat sie Food Stamps bezogen, Lebensmittelmarken für die Armen. Aber als sie vor kurzem eine kleine Gehaltserhöhung bekam, wurde sie von der Liste gestrichen.

Krankenversichert ist sie über ihren Arbeitgeber, aber ihre Kinder haben derzeit keine Versicherung. Auch deshalb ist sie für Obama, denn: „Er hat versprochen, dass jeder eine bezahlbare Krankenversicherung bekommen kann.“ Sie hofft, dass sich das Versprechen erfüllen wird, aber sie ist nicht sicher. Schaut auf ihre Hände und zuckt mit den Schultern.

Ob sich unter Obama das Verhältnis zwischen Schwarzen und Weißen in Amerika verbessert habe? Melanie Celestine schüttelt langsam ihre Locken. „In meinem persönlichen Leben habe ich eigentlich nie Rassismus erfahren.“ Sie sieht den Graben in Amerika eher zwischen den Armen und den Reichen, und dieser Graben werde immer tiefer, sagt sie. In ihrem Job arbeitet sie mit Schwarzen, Weißen und Latinos zusammen. Ihre Schwiegertochter kommt aus der Türkei. Sie habe kein Problem mit anderen Hautfarben. „Wir kommen alle miteinander klar.“

Ihr Traum von der Zukunft ist es, ein kleines Haus zu kaufen, irgendwann einmal. Und eine richtige Ausbildung zu machen, vielleicht als Krankenschwester. Sie habe gehört, dass es staatliche Ausbildungszuschüsse für Unterpriviligierte gebe. Destiny sitzt ganz still im Sessel und schaut ihre Mutter aufmerksam an.

Wer unzufrieden ist, geht gar nicht zur Wahl

Afroamerikaner wie Melanie Celestine befürworten eine starke Rolle des Staates, denn viele von ihnen sind auf die Hilfe der öffentlichen Hand angewiesen. Das ist einer der Gründe, warum Schwarze in Amerika traditionell und mit klarer Mehrheit die Demokratische Partei wählen. Hinzu kommt, dass die Demokraten sich über Jahrzehnte als Partei der Bürgerrechte positioniert haben. Republikaner plädieren dagegen für einen schlanken Staat, niedrige Steuern und eine strenge Sparpolitik.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2008 stimmten mehr als 95 Prozent der Afroamerikaner für Barack Obama, ein Rekordergebnis. Vier Jahre später ist die Begeisterung für den ersten schwarzen US-Präsidenten verebbt, die Unzufriedenheit wächst, die Enttäuschung über die schleppende Erholung der Wirtschaft und die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit. Die lag bei Afroamerikanern im laufenden Jahr bei rund 14 Prozent, sechs Prozentpunkte über dem amerikanischen Durchschnitt. Die Armut ist größer unter den Schwarzen, und das Familieneinkommen geringer. Knapp 28 Prozent aller Afroamerikaner leben unterhalb der Armutsgrenze, im Vergleich zum nationalen Durchschnitt von 15 Prozent.

Dennoch erwarten Meinungsforscher keine grundsätzliche Trendwende. „Die Mehrheit der Afroamerikaner wird sich trotz aller Enttäuschung wieder für Obama entscheiden“, sagt Politikwissenschaftlerin Andra Gillespie. Nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur AP wollen 82 Prozent der schwarzen Wähler im November für den amtierenden Präsidenten stimmen. Das sind zwar immerhin 13 Prozent weniger als vor vier Jahren, aber trotzdem noch sehr viele.

Obamas republikanischer Herausforderer Mitt Romney dürfte vom Frust der Afroamerikaner jedoch kaum profitieren. „Wer unzufrieden ist, wird gar nicht erst zur Wahl gehen“, sagt Andra Gillespie. Die Wahlbeteiligung unter Afroamerikanern hatte 2008 ein Rekordhoch erreicht, als 65 Prozent an die Urnen stürmten. Ein Vorgang, der sich im November wohl nicht wiederholen wird.

Atlanta. Boomende Wirtschaftsmetropole im amerikanischen Süden, Herz der Bürgerrechtsbewegung und heimliche Hauptstadt des schwarzen Amerika. 54 Prozent der Bewohner sind Afroamerikaner. Aber auch fast ein halbes Jahrhundert nach dem offiziellen Ende der Rassentrennung leben in Atlanta, so wie in vielen Städten Amerikas, Schwarze und Weiße nebeneinander in verschiedenen Vierteln, eine Durchmischung findet kaum statt. In Suburbia, dem Vorstadtland, wohnt die weiße Mittelklasse, im Norden von Atlanta wohnen die Reichen, an langen Alleen mit alten, märchenwalddunklen Eichen, in opulenten Herrenhäusern mit weißen Säulen und gipsverzierten Brunnen in manikürten Vorgärten.

Im Süden und jenseits der Autobahn I-20 leben die Schwarzen und die Armen. Ein Brachland in Beton, Wohnblöcke mit bröckelndem Putz, Häuser mit Wellblechdächern, Spirituosenläden, Pfandleiher, leere Schaufensterhöhlen. Nur wenige Blöcke entfernt liegen Siedlungen mit schmucken Häusern und eingesprenkelt einige „McMansions“, wie die Amerikaner pompöse Villen in Leichtbauweise nennen. In Atlanta lebt eine starke schwarze Mittelschicht – darunter auch Millionäre.

Im schwarzen Teil von Atlanta befinden sich auch zwei der renommiertesten afroamerikanischen Universitäten der USA. Das Spelman College für Frauen und das Morehouse College für Männer, wo schon Bürgerrechtsführer Martin Luther King Jr., Regisseur Spike Lee und Leichtathlet Edwin Moses studierten. Wer es bis hierhin bringt, der ist hungrig, der will den Sprung schaffen von der einen Welt in die andere, mitten in Amerika im Jahr 2012.

Anita Foster zum Beispiel. Sie ist 20 Jahre alt und studiert Internationale Beziehungen am Spelman College. Sie ist eine zierliche Frau, deren Stimme vor Energie bebt.

Anita Foster kommt aus Washington, DC, wo ihre Eltern eine kleine Mechanikerwerkstatt betreiben. Der Vater ist Afroamerikaner, die Mutter hat schottische und irische Vorfahren. Sie ist in einem schwarzen Wohnviertel aufgewachsen und auf überwiegend afroamerikanische Schulen gegangen. Dennoch, erzählt sie, habe sie schon als Kind ihren schwarzen Freunden immer wieder beweisen müssen, „dass nicht alle Weißen böse Ausbeuter sind“.

Von Klagen und Vorwürfen und Selbstmitleid hält Anita Foster nichts, und sie scheut auch keine Kritik an den Vertretern ihrer eigenen ethnischen Gruppe. Sie habe Freunde aus dem Ausland, die sich nicht mehr mit Afroamerikanern treffen wollten, erzählt sie. Die seien immer noch so bitter wegen des Sklavenhandels. Sie zieht ihre Stirn kraus. Findet, es sei Zeit, darüber hinwegzukommen. Das schwarze Amerika sei zu stark und zu lebendig, als dass so etwas noch einmal passieren könne.

Sie wählt zum ersten Mal - natürlich Obama

Der Campus des Spelman College ist großzügig und grün. Ein Innenhof mit Rasen, Bäumen und schattigen Bänken, umgeben von erhabenen Bauten aus Backstein. Anita Foster hat viele Termine an diesem Vormittag, sie rutscht in dem taubenblauen Stuhl der Uni-Cafeteria hin und her, wippt mit den schmalen Füßen und kann doch nicht aufhören zu reden.

Sie erzählt, dass sie Präsidentin der Studentenvertretung sei und überhaupt ein sehr politischer Mensch. Als Schülerin war sie 2009 zum Amtseinführungsball von Barack Obama eingeladen. Damals hat sie Blut geleckt und seither verbringt sie ihre Semesterferien immer als Praktikantin in der Hauptstadt. Später will sie in einem Verband oder einem Thinktank arbeiten. Politikerin will sie nicht werden. Sie lacht, zieht die Schultern hoch. „Aber wer weiß, was ich in zehn Jahren denke.“

Am 6. November darf sie zum ersten Mal wählen. Sie wird ihre Stimme Obama geben, „weil er meine Interessen als Frau vertritt, als Studentin, als Tochter einer Arbeiterfamilie, als künftige Mutter und künftige Führungskraft“, sagt sie, sehr ernst, ganz ohne zu zögern und gewehrsalvenschnell.

Rufus Montgomery ist ein Exot unter Afroamerikanern. „Ich glaube an eine starke Verteidigung, ich glaube an fiskalpolitische Verantwortung, und ich bin überzeugt, dass zu viel Staat unserem Land schadet.“ Er lacht, hebt wie zur Entschuldigung die Hand. Er weiß, das klingt wie ein Wahlkampfslogan.

Ein Wahlkampfslogan der Republikaner. Rufus Montgomery ist ein hochgewachsener Mann mit eckigen Schultern. Er arbeitet als politischer Lobbyist für eine Großkanzlei im 29. Stock eines Büroturms mit schillernder Fassade in Downtown Atlanta. Hier reiht sich Wolkenkratzer an Wolkenkratzer, Banken, Investmentfirmen, Unternehmensberater, Anwälte, Wirtschaftsprüfer – Corporate America unter sich.

„Politik spielt eine wichtige Rolle in meinem Leben“, sagt Rufus Montgomery. Er setzt seine Worte behutsam, seine Stimme ist sanft. Er trägt ein gestärktes Hemd mit violetten Streifen. Unter der Anzughose blitzen schwarz gelackte Cowboystiefel hervor. Er hat Psychologie studiert, hat als Assistent für einen Kongressabgeordneten in Washington gearbeitet und später für Jeb Bush, den ehemaligen Gouverneur von Florida und Bruder von Präsident George W. Bush. Er ist 41 Jahre alt und hat nie eine andere Partei gewählt als die „Grand Old Party“, wie die Republikaner im Politjargon heißen.

Die meisten von Rufus Montgomerys Kollegen sind weiß. Aber als Außenseiter fühlt er sich nicht, nicht bei seiner Arbeit und nicht in seinem privaten Leben. Er wohnt in einem afroamerikanischen Teil der Stadt. An der Wand neben seinem Schreibtisch hängt ein großes Foto des legendären schwarzen Boxers Muhammad Ali. Die Rasse wiegt ein bisschen schwerer als die Partei, auch für den Republikaner Rufus Montgomery.

Dabei waren schon Montgomerys Eltern Konservative, „hart arbeitende, gottesfürchtige Leute, die immer gespart haben“, sagt er. Sie seien fest davon überzeugt gewesen, dass jeder in Amerika seinen Weg machen könne, „wenn er das Beste gibt, ohne Hilfe des Staates“. Der Vater war Soldat bei der US-Armee, der Junge Rufus wuchs in Deutschland auf, ging in Nürnberg auf die amerikanische Highschool. Später trat er selbst in die Armee ein und zog in den Irak-Krieg

Barack Obama hat nach seinem Wahlsieg im Jahr 2008 von einem Amerika gesprochen, das die Rassenetiketten bald hinter sich lassen werde. Rufus Montgomery lacht auf, kurz und trocken. „Man kann nicht beides haben“, sagt er. „Man kann nicht 95 Prozent der schwarzen Stimmen kassieren und dann sagen: Rasse hat nichts damit zu tun.“ Die Rassenthema werde Amerika begleiten, sagt Rufus Montgomery, und zwar noch für eine lange, lange Zeit.

Katja Ridderbusch, Atlanta

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