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Politik: Obama von oben

Eine aufgewühlte Stadt lässt sich gut aus der Luft beobachten. Erlebnisberichte aus einer Wohnung im Zentrum und von der Siegessäule.

Diese himmlische Ruhe! Dieses Vogelgezwitscher! Und diese Aussichten! Wer sechs Stockwerke hoch über dem Stelenfeld wohnt, den zieht es magisch ans Fenster. Unten gibt es großes Kino. Den Stummfilm „Michelle zwischen den Steinen“. Nur die Motorräder mit den blau blinkenden Lichtern, die aufgeregt hin- und herflitzen, zerknattern die Stille. Die Behrenstraße und die Ebertstraße sind für den Verkehr gesperrt, wer mit dem Fahrrad kommt, wird zu einem Umweg überredet. Die freundlich, aber bestimmten Polizisten sind freilich ziemlich ahnungslos in ihrer Ortskenntnis: Eine hübsche Beamtin, aus deren Mütze ein Pferdeschwanz quillt, kommt aus Bochum, ein kerniger Typ Stürmerstar vom St. Pauli ist mit seiner Brigade aus Hamburg angerückt, um dem USA-Chef das Gefühl zu geben, dass es in Berliner Straßen langweilig zugeht.

Aber man kommt diesmal ohne uniformierten Geleitschutz in seine Wohnung. So sehen wir von oben plötzlich Bewegung im Stelenfeld des Mahnmals: Die Wagenkolonne stoppt in der Ebertstraße, hier beginnt der unpolitische Teil der Obama-Family seinen Weg durch die Stelen. Michelles weiße Bluse leuchtet nur einen Moment, dann sind sie, Baracks Halbschwester Auma und die beiden Töchter Malia und Sasha im Stelenwald verschwunden. Ohne Kameraaugen und Ton-Galgen, aber mit der sachkundigen Führung von Stiftungsdirektor Uwe Neumärker, der später sagt, dass sein Gast von der Architektur total beeindruckt war und immer wieder bedauerte, so wenig Zeit zu haben. „Aber sie möchte wiederkommen, ganz privat.“ So schnell die Gäste gekommen sind, sind sie hier aus der Wohngegend wieder weg. Aber die Polizisten bleiben bis null Uhr, niemand kommt ins Mahnmal, an dem es freilich eine Veränderung gibt: An der Ecke zum „Adlon“, wo eben noch ein Polizist mit Gummihandschuhen den Inhalt eines Abfalleimers untersucht hat, steht ein giftgrünes transportables Klo. „Keine besonderen Vorkommnisse“, steht später im Polizeibericht. Lothar Heinke

Hier oben rückt der ganze Obama-Trubel ein wenig in die Ferne: Die rings um den Großen Stern brausenden Autos haben die Größe von Spielzeugwagen, das Verkehrsgebrumm erinnert an Meeresrauschen und das Brandenburger Tor hat das Format eines Touristenmitbringsels. Zahlreich sind sie hier, die Touristen: Die schnaufen die 285 schwindelerregenden Stufen der Siegessäule hoch; manch einem entfährt ein herzhafter Fluch, den die Aussicht später besänftigt: „Wow!“ Erst wenn der Blick wieder nach unten schweift, wird spürbar, dass hier etwas Besonderes vor sich geht. Im Halbschatten unter den Bäumen entlang der Straße des 17. Juni werden immer mehr Polizeiwagen erkennbar, dort drei, hier fünf, da drüben stehen ein paar Polizeimotorräder. Umrundet man die Plattform und fängt an zu zählen, landet man locker bei vierzig Wagen in sämtlichen Größen und Formen, vom blau-silbernen Polizeivan bis zum grünweißen Mannschaftswagen. Dann wird man auch der regelmäßig ertönenden Martinshörner gewahr, deren Klang selbst hier oben eindringlich ist. Ein Polizeitross von sieben Wagen rauscht die Straße des 17. Juni hoch Richtung Brandenburger Tor, das für den normalen Autoverkehr gesperrt ist. Wo fahren sie hin? Trotz angestrengtem Blinzeln verliert man sie auf der Höhe der Yitzhak-Rabbin-Straße aus dem Blick.

Von der Sperrung rund um das Tor und davon, dass Obama dort gleich spricht, ist nichts zu sehen – zu weit weg. Plötzlich allgemeines Aufhorchen: Martinshörner, Blaulicht, Polizisten auf Motorrädern, dahinter zwei schwarze Wagen mit abgedunkelten Fenstern. „Obama?“ Ein Mann um die Fünfzig zückt sofort seine Kamera. „Ich glaube, das ist er!“ ruft er auf Englisch. Der Tross braust weiter, einmal um die Siegessäule, die Hofjägerallee hinunter. Vielleicht doch wer anders. Merkel? Westerwelle? Aus der Ferne nahen schon die nächsten Wagen. In einem von ihnen muss er doch sitzen! Der Obama-Trubel ist doch noch hier oben angekommen. Leonie Langer

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