zum Hauptinhalt

Politik: Oberstes Gericht zeigt Erdogan an

Der Auftritt war eine Kriegserklärung: Die Präsidentin des türkischen Verfassungsgerichts, Tülay Tugcu, kündigte öffentlich eine Strafanzeige ihres Gerichts gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an. Erdogan muss sich wegen angeblicher Beleidigung der Justiz auf eine Klage nach dem berüchtigten Paragrafen 301 einstellen, der die Verunglimpfung des „Türkentums“ und staatlicher Institutionen verbietet.

Der Auftritt war eine Kriegserklärung: Die Präsidentin des türkischen Verfassungsgerichts, Tülay Tugcu, kündigte öffentlich eine Strafanzeige ihres Gerichts gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan an. Erdogan muss sich wegen angeblicher Beleidigung der Justiz auf eine Klage nach dem berüchtigten Paragrafen 301 einstellen, der die Verunglimpfung des „Türkentums“ und staatlicher Institutionen verbietet. Bei einer Verurteilung drohen ihm mehrere Jahre Haft. Mit der Strafanzeige gegen den Premier wird die Justiz nun auch formell zur Partei im türkischen Machtkampf.

Im Fall Erdogan ist das Verfassungsgericht Kläger und Richter in einem, denn die Verfassungsrichter bilden bei Bedarf den „Staatsrat“, ein Spezialgericht, das für Prozesse gegen Regierungspolitiker zuständig ist. Anlass für Tugcus Klage sind Äußerungen Erdogans in einem Fernsehinterview. Der Premier beschwerte sich darin über die Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 1. Mai, mit der die Wahl seines Außenministers Abdullah Gül zum Staatspräsidenten blockiert worden war. Erdogan nannte die Gerichtsentscheidung eine „Schande“. Tugcu sieht darin eine Beleidigung des Gerichts. Eine baldige Anklage gegen Erdogan ist aber unwahrscheinlich, weil das Parlament zustimmen müsste. Und dort hat Erdogans Partei die Mehrheit.

Da der Streit um das Präsidentenamt immer noch nicht beendet ist, könnte sich schon bald eine weitere Gelegenheit für das Verfassungsgericht ergeben, in den Konflikt einzugreifen. Das Parlament von Ankara beschloss am Donnerstag in zweiter und letzter Lesung zwar die Verfassungsänderung zur Einführung einer Direktwahl des Präsidenten. Doch schon vor der Schlussabstimmung am Abend deutete sich neuer Streit an. Da bei einer der insgesamt neun Einzelabstimmungen im Plenum die Zweidrittelmehrheit verfehlt worden sei, müsse das gesamte Verfassungspaket als gescheitert gewertet werden, erklärte die kemalistische Opposition – und drohte mit einem neuen Rechtsstreit vor dem Verfassungsgericht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false