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Ode an die Provinz: Oh, wie schön ist Brandenburg!

Die Mark – nicht viel mehr als nur Berlins Umland? So ein Quatsch! Acht ganz persönliche Liebeserklärungen.

Acht Autoren - acht unterschiedliche Blick auf Brandenburg. Aber immer ist Liebe dabei.

Tor zur Welt

Tausend Wege führen nach Berlin, und sie alle führen durch Brandenburg. Brandenburg ist dem Berliner gewissermaßen das Tor zur Welt, wer hier raus will, muss da durch. Und das ist nicht immer leicht.

Fährt man beispielsweise mit dem Fahrrad nach Hamburg, wird Brandenburg leicht zum überspannten Bogen. Wenn nämlich noch auf dem zigsten Ortsschild, etwa auf Höhe Lenzen, „Brandenburg“ steht, schöpft man Verdacht, dass man in Wahrheit gar nicht vorankommt. Dasselbe Phänomen kann auch Richtung Dresden oder Stettin auftreten.

Es gibt aber auch Abkürzungen nach ganz weit weg. Radelt man zum Beispiel 93 Kilometer ab Askanischer Platz Richtung Stettin, steht man unversehens in 17268 Afrika. Falls das Wetter hier gerade nicht passt, kein Problem, auf nach 15306 Regenmantel. Oder verschicken Sie mal eine überraschende Postkarte aus 15859 Philadelphia. Brandenburg hat also Witz, außer vielleicht in 14728 Ohnewitz. Oder 16766 Verlorenenort – nein, das klingt tragischer als es ist.

Die Wucherungen der Mark sind manchen auch ausgedehnten Aufenthalt wert und die Menschen, auch wenn sie nicht immer Freudensprünge machen, wenn sie Fremden begegnen, lassen einen liegengebliebenen Radfahrer nie lange auf Hilfe warten. Nicht allzu lange zumindest. Irgendwann kommt sie – wie die Grenze nach Meck-Pomm oder Sachsen- Anhalt irgendwann kommt, wenn man nur nicht aufgibt. (Thomas Wochnik)

Mohn- und Kornblumen im Sonnenuntergang an einem Feldrand nahe Petersdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg).
Mohn- und Kornblumen im Sonnenuntergang an einem Feldrand nahe Petersdorf im Landkreis Oder-Spree (Brandenburg).

© picture alliance / dpa

Literarische Orte

Wenn der Name Brandenburg fällt und von Literatur die Rede ist, landet man schnell bei Theodor Fontane. Danach kommt oft Schweigen. Was ungerecht ist, um nur mal ein paar Namen wie Erwin Strittmatter, Günter de Bruyn und Bertolt Brecht zu nennen. Oder Juli Zeh. Und Nell Zink, die in Bad Belzig lebende Amerikanerin. Und Bernd Moritz.

Bernd Moritz? Der schreibt nicht, der betreibt einen Gasthof in Rädigke, ein Dorf im Fläming, vorletzte Autobahnabfahrt in Brandenburg, wenn man die A9 nimmt. Ein Gasthof ist in brandenburgischen Dörfern nicht mehr selbstverständlich. Der hier ist seit ein paar hundert Jahren im Familienbesitz. Ein Jahr vor der Wende übernahm Doris Moritz den Hof von ihrer Mutter, 1993 stieg Ehemann Bernd mit ein, bis dahin Landmaschinenschlosser in der LPG. Kein Job, der einen zum Bibliothekar prädestiniert.

Vor 13 Jahren aber wurde im Moritzhof am Stammtisch die Idee ausgebrütet: Wir eröffnen eine Bibliothek. Erleichtert wurde das Projekt dadurch, dass Steffen Gommel vom Fischer Verlag mit am Tisch saß. Und dass es überhaupt einen Stammtisch gab. Nicht mehr überall kommen Dörfler abends in die Kneipe.

Rädigke hat 170 Einwohner, in die Ausleihkartei der Bücherei haben sich 996 Leser eingetragen, die unter 4000 Titeln wählen dürfen. Regelmäßig finden Autorenlesungen statt. Und etwa zehn Mal im Jahr kommt der Pfarrer über die Straße, er lebt mit seiner Familie im Pfarrhaus gegenüber, um in der Bibliothek den theologischen Salon auszurichten.

Das Geheimnisvolle ist: Nichts davon sieht, wer das erste Mal durch Rädigke fährt. Trotzdem spürt man irgendwie, dass man gerade eine Kulturlandschaft passiert. (Andreas Austilat)

Brandenburg, Neuruppin: Blick auf die Statue von Schriftsteller Theodor Fontane.
Brandenburg, Neuruppin: Blick auf die Statue von Schriftsteller Theodor Fontane.

© dpa

Ruinenkult

Auferstanden aus Ruinen – das gilt natürlich immer mehr für die Landeshauptstadt Potsdam, in der sich das Engagement auch einer neuen, prosperierenden Zivilgesellschaft längst bemerkbar macht. Und was privates Geld, Geschmack und urbaner Geist im Zusammenklang ermöglichen, zeigt beispielhaft das Museum Barberini. Es ist als Rekonstruktion eines alten Vorbilds nicht einfach eine neoklassizistische Replik, sondern schafft im Stadtbild wieder ein heutiges und besser noch: zeitloses Original. Man würde sich Vergleichbares für Berlin wünschen.

Doch auch Ruinen, die Ruinen bleiben, haben oft ihren eigenen Reiz. In vergangenen Jahrhunderten gab es, inspiriert von den Zeugnissen der Antike, einen wahren Ruinenkult. So ließ Friedrich Wilhelm II. den ausgelagerten Küchenbau seines Potsdamer Marmorpalais als im Heiligensee versinkenden, scheinbar verfallenen Tempel entwerfen.

Das schönste Zusammenspiel von architektonischer Vollendung und Zerfall und dem Zauber des Vergangenen bietet Brandenburg freilich im Landkreis Barnim mit dem einstigen Zisterzienserkloster Chorin. Theodor Fontane fand das backsteingotische Ensemble im Park am See zwar nicht „lieblich“, aber er beschrieb es fast wie ein Bild von Caspar David Friedrich: „Wer hier in der Dämmerstunde plötzlich zwischen Pappeln hindurch diesen still einsamen Prachtbau halb märchenhaft, halb gespenstisch auftauchen sieht, dem ist das Beste zuteil geworden“, das „Trümmer, die keine Trümmer sind“, gewähren können. Still und einsam ist es dort heute eher selten. Aber auch das zu Recht. Denn selbst in der Toskana wäre Chorin eine eigene Reise wert. (Peter von Becker)

Das Kloster Chorin in Chorin (Brandenburg)
Das Kloster Chorin in Chorin (Brandenburg)

© dpa

Das Große im Kleinen

Unser Brandenburg liegt im Süden, eine gute Autostunde entfernt. Wir kamen bald nach der Wende. Ich schreibe darüber nicht gern, weil die Menschen hier das Gefühl haben könnten, dass man sich über sie erhebe. Es ist eine gute, intakte Dorfgemeinschaft, es wird auch nicht mehr so viel getrunken. Wir sind familiär integriert und gemeinsam älter geworden, und die jungen Familien haben andere Sorgen als Partymachen.

Das fällt auf: Das Dorf mit seinen nicht einmal 200 Einwohnern ist nicht geschrumpft, sondern gewachsen in den letzten Jahren. Es gibt Nachwuchs, und kürzlich ist eine Familie aus Berlin ins Dorf gezogen, weil sie im Grünen leben will, und das Wohnen selbst am Stadtrand nicht mehr erschwinglich ist. Werden wir – 75 Kilometer bis Alexanderplatz – zum Einzugsgebiet für Pendler? Dann steigt vielleicht der Wert unseres Grundstücks, für das wir einmal viel zu viel bezahlt haben. Dafür haben wir gute Freundinnen und Freunde gefunden und eine vertraute Umgebung, was allemal besser ist als das, was anderen West-Berlinern in Brandenburg passierte: Sie machten mit Haus und Hof ein Schnäppchen und landeten in feindseliger Landschaft.

Das fällt auch auf: Das Dorf hat früher kaum rechts gewählt, das scheint sich zu ändern. Vielen Älteren geht es nicht schlecht, aber sie schimpfen und jammern. Man hört unschöne Sätze über den Staat und „die Ausländer“.

Kurz: Unser Dorf ist das Land im Mikrokosmos. (Rüdiger Schaper)

Zwei Männer fahren in einem Holzkahn im Spreewalddorf Lehde (Brandenburg).
Zwei Männer fahren in einem Holzkahn im Spreewalddorf Lehde (Brandenburg).

© picture alliance / dpa

Ein anderes Leben

Raus, einfach nur raus aus Mitte. Über die B1 nach Rüdersdorf mit Zwischenstopp im Gartencenter, hinein in den Süßen Grund, jetzt 20 Autominuten am Netto vorbei über eine Allee ins Nichts. Da stehen der Palast und sein Park, das Ensemble wurde uns großherzig zur Pflege überlassen. Okay, der Palast hat nur 20 Quadratmeter, fühlt sich aber größer an. Ein Mid-Century-Traum inmitten einer Laubenkolonie. Wenn um Mitternacht die Zapfen aufs Dach knallen, schreckt man aus den klammen Laken. Im Stadtzentrum haben sie neulich die alten Straßenlaternen durch LEDs ersetzt, hier in Brandenburg ist die Nacht ein Maulwurf.

Im Frühtau ein Instant-Kaffee mit Dosenmilch, überall Mülltüten, Ikea-Zeug, Erdsäcke, Werkzeug. Das Palast-Projekt dauert, man ist eben nicht jedes Wochenende hier. Waldluft prickelt im Blut, es riecht nach Schlauchboot und Gartenarbeit. Nur, wo beginnen? Die Kinder sind schon auf der Schaukel. Innerhalb von Minuten haben alle Dreck in den Haaren und Unkraut zwischen den Zehen.

Kalte Füße, der Herbst lässt grüßen. Vielleicht das letzte Mal schwimmen im See? Ob die Wasserschlangen noch schlafen? Die Tiere des Waldes sind jedenfalls hellwach, und es sind viele. Man könnte jetzt das DDR-Vogelbestimmungsbuch aus dem Regal holen. Oder einfach noch eine Weile zuhören. Wer will schon in Palm Springs aufwachen, wenn es Brandenburg gibt. (Esther Kogelboom)

Kuchen wie in Kinderzeiten

In Caputh habe ich meine Kindheit wiedergefunden. Gleich nach der Wende, im Fährhaus. Da landeten wir, ich weiß nicht mehr wie, bestellten uns Pflaumenkuchen mit Sahne und bekamen Stücke, so groß, dass sie kaum auf den Teller passten, so saftig, dass uns der Saft der Früchte übers Gesicht tropfte und dazu ungefähr ein viertel Pfund Sahne, für jeden. Richtige Schlagsahne, nicht aus der Sprühdose. Wie früher! Richtiger Hefeboden, mit dem die Kettenbäckereien sich schon gar nicht mehr abgaben. Die Bedienung nett, die Preise niedrig, die Wiesenblumen so schön wie die Bollhagen-Keramik im Gastraum.

Es war noch doller als in meiner Kindheit, im Ruhrgebiet gab’s nämlich solche Seen nicht, schon gar nicht so klare und viele. Wir saßen am Wasser, im Wintergarten, und schauten zu, wie ein leibhaftiger Fährmann Menschen und Räder von einem Ufer zum anderen brachte. Hin und her und hin, alles mit einem Seil. Zu meinem 40. Geburtstag habe ich meine alten Freunde hierhergeschleppt, sie waren genauso entzückt: „Wie früher!“

Zum 60. bin ich mit der Familie wieder eingekehrt, an dem heißen Augusttag saßen wir diesmal auf dem Wasser, unter uns nur noch ein Deck, und aßen – Pflaumenkuchen, genauso riesig wie einst. Zur Krönung fuhren wir hinterher von Caputh, wo Einstein schon glücklich war, mit dem Schiff zurück nach Wannsee. (Susanne Kippenberger)

Pflaumen auf der Streuobstwiese
Pflaumen auf der Streuobstwiese

© dpa

Sternschnuppenhimmel

Aus Berliner Sicht ist Brandenburg das Unvermeidliche namens „Umland“. Und dieses „Umland“ – ist das nicht nur das Futter, in das Berlin, diese weithin leuchtende Perle des internationalen Stadtmarketings, eingelassen ist? Berlin mit seiner Bedeutung, Bevölkerung und Beleuchtung ist Sehnsuchtsort für die halbe Welt. Und je dunkler das Futter, desto heller scheint das begehrte Juwel, oder?

Bis diese Dunkelheit ihre eigene Anziehungskraft entwickelt. Ein Hoch auf die lückenhafte Besiedelung! Es ist eine dieser Sternschnuppen-Nächte im letzten August, als wir mit Freunden in Schlafsäcken auf einer Wiese unter dem Schnuppenregen Stellung beziehen. Dort geht einem sofort auf: Der berühmte Himmel über Berlin ist deutlich überschätzt – und nichts gegen den über Brandenburg. Dunkel, tief, kontrastreich ist der, die Milchstraße so deutlich gesprenkelt als wäre sie künstlich animiert. In aller Stille fällt vom Himmel übermütig eine Sternschnuppe nach der anderen. Von dieser Wiese aus sieht auch Berlin ganz anders aus: Vielleicht, denkt man, wartet da überhaupt keine Erleuchtung in der Stadt. Sondern der ganze Hype ist einfach nur Beleuchtung. Wir sind dann so lange geblieben, bis wir keine Wünsche mehr übrig hatten. (Deike Diening)

Sternenhimmel über dem brandenburgischen Petersdorf
Sternenhimmel über dem brandenburgischen Petersdorf

© picture alliance / dpa

Insel Brandenburg

Berlin ist eine Insel und rundherum nicht Brandenburg, sondern die Ostsee – ein Traum vieler Berliner. Allerdings wäre dann Brandenburg nicht mehr da und man könnte zwar schnell mal schwimmen gehen, aber weniger Radfahren. Und das wäre schade. Kaum eine Stunde von Berlin liegt Wendisch Rietz und dort der Scharmützelsee, der Glubigsee, der Springsee, der Lange und der Krumme See. Schwimmen gehen kann man dort natürlich auch. Zudem durch den stillen Wald radeln entlang des Radwegs – und beispielsweise ein verlassenes Ferienlager entdecken. Durch dreieckige, zugewachsene Holzhütten hin zu einem Steg am See. „Es gibt keine Autorität als dich selbst“, steht dort auf einem Aufkleber. Und dann schaut man über den See und weiß: ja, das trifft zu in diesem seltenen Moment an diesem seltenen Ort. Ruhe, Natur, Brandenburg. Einmal tief einatmen und zurück in die Stadt. Oder man bleibt für eine Nacht. Auf dem Naturcampingplatz am Springsee beispielsweise, der direkt an den Truppenübungsplatz Storkow grenzt. Hier haben es sich einige Dauercamper gemütlich gemacht, es wirkt auf den ersten Blick wie ein Aussteigerdorf. Brandenburg ist für den Radfahrer das, was das Meer für den Schwimmer ist: Man springt rein und kann sich treiben lassen. (Robert Klages)

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