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Politik: Österreich hat eine schwierige Regierungsbildung vor sich - wie wird sie enden?

"Stell Dir vor, es ist Wahlabend, und nichts ist entschieden." Die sarkastische Bemerkung eines ausländischen Journalisten nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses der österreichischen Parlamentswahlen am Sonntag im Fernsehen hat einen wahren Kern.

"Stell Dir vor, es ist Wahlabend, und nichts ist entschieden." Die sarkastische Bemerkung eines ausländischen Journalisten nach Bekanntgabe des vorläufigen Endergebnisses der österreichischen Parlamentswahlen am Sonntag im Fernsehen hat einen wahren Kern. Im spannenden Kopf-an-Kopf-Rennen um den zweiten Platz in der Gunst der Österreicher war die konservative Volkspartei (ÖVP) bei einem Ergebnis von 26,9 Prozent nur um 0,32 Prozentpunkte oder 14 347 Stimmen hinter den rechtspopulistischen "Freiheitlichen" (FPÖ) zurückgeblieben. Noch sind 200 000 Voten von Briefwählern auszuzählen. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hofft deshalb, die FPÖ noch zu überholen, wenn das Ergebnis der Parlamentswahl am 12. Oktober endgültig feststeht.

Die Frage nach der Rangfolge ist keine Nebensächlichkeit. Schüssel hatte im Wahlkampf angekündigt, die ÖVP werde in die Opposition gehen, wenn sie auf Rang drei landet. Nun steht Schüssel im Wort. "Es bleibt bei meinem Kurs, auch wenn wir nur eine Stimme hinter der FPÖ liegen", bekräftigte Schüssel inzwischen.

Österreich steht vor einem schwierigen Prozess der Regierungsbildung. Nach Schüssels taktischem Gelübde entlud sich sämtliche Unzufriedenheit über 13 Jahre großer Koalition auf den Sozialdemokraten, die bei Einbußen von 4,7 Prozentpunkten auf 33,4 Prozent und damit ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis kamen. Ein gezeichneter SPÖ-Chef Viktor Klima bekräftigte trotz der Enttäuschung nach einer Kampagne, die ganz auf den Kanzler zugeschnitten war, dass er nicht von der Fahne gehen werde. Dass der Kanzler allerdings Oppositionsführer wird, sollte er an der Kabinettsbildung scheitern, gilt als ausgeschlossen.

Alles und nichts ist nach dem Aufschließen der "Freiheitlichen" zu den früheren Großparteien möglich in Österreich. Dass die Sozialdemokraten mit den "Freiheitlichen" ein Bündnis schließen, hat Klima ausgeschlossen. Bleibt die ÖVP bei ihrer Festlegung auf die Oppositionsrolle, bleibt nur die Lösung Minderheitsregierung. Eine wichtige Rolle kommt Bundespräsident Thomas Klestil zu, der den Auftrag zur Regierungsbildung erteilt. Am heutigen Dienstag wird Klestil den Rücktritt der bisherigen Regierung entgegennehmen und sie mit der Weiterführung der Geschäfte beauftragen.

Nach dem Erfolg der "Freiheitlichen", die um 5,3 Prozentpunkte auf 27,2 Prozent zulegten, sonnte sich FPÖ-Chef Jörg Haider in seiner Lieblingsrolle. Der umjubelte Star seiner Partei strahlte über den Denkzettel für diejenigen, die ihn angeblich aus vordergründigen Machtinteressen "ausgrenzen". Haider - seit April Regierungschef in Kärnten - will die Bevölkerung des Bundeslandes über seinen Wechsel nach Wien abstimmen lassen, sollte ihm die Kanzlerschaft angetragen werden. Viele Beobachter sind allerdings der Ansicht, der Führer der "Freiheitlichen" werde der ÖVP bei einem Bündnis goldene Brücken bei der Bestellung des östereichischen Regierungschefs bauen, um endlich die Regierungsfähigkeit seiner Partei unter Beweis stellen zu können.

In der Parteizentrale begann am Montag die Aufarbeitung des Desasters - hinter verschlossenen Türen. Lediglich der linke Abgeordnete Bruno Eigner hielt im österreichischen Rundfunk nicht mit seiner Kritik an den Parteimanagern um Kanzler Klima zurück. "Amerikanische Verhältnisse lassen sich nicht auf Österreich übertragen. Unser Wahlkampf war nur Verpackung und kein Inhalt", setzte Eigner aus.

Wegen der Verschiebung von der SPÖ zur FPÖ geriet der Erfolg der Grünen in den Hintergrund. Sie legten immerhin um 2,3 Prozentpunkte auf 7,1 Prozent zu. Erstmals konnten die Umweltschützer als die andere Alternative zum bisherigen SPÖ/ÖVP-Bündnis flächendeckend Wurzeln schlagen. Da das Liberale Forum mit 3,4 Prozent an der Vier-Prozent-Hürde scheiterte, fehlen den Grünen künftig wichtige Mitstreiter im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz gegenüber Minderheiten.

Ulrich Glauber

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