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Getrennte Wege: Vizekanler Strache (FPÖ, rechts) ist zurückgetreten, Kanzler Kurz (ÖVP, links) hat die Regierung aufgelöst.

© imago/Eibner Europa

Österreich nach Ibiza-Video: Was Kurz und Strache jetzt bevorsteht

Österreichs Kanzler will Tatkraft beweisen. Doch der FPÖ-Skandal könnte ihn im Wahlkampf einholen. Was bewirkt das Ibiza-Video und wer könnte dahinterstecken?

Von
  • Frank Jansen
  • Carsten Werner

Nach dem Bruch der rechtskonservativen Koalition in Österreich soll dort Anfang September ein neues Parlament gewählt werden. Das kündigte Bundespräsident Alexander Van der Bellen am Sonntag nach einem Gespräch mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an. Das Land brauche möglichst bald einen Neuaufbau des Vertrauens in die Politik, sagte der Bundespräsident.

Kurz sagte: „Die Neuwahlen waren kein Wunsch, sie waren eine Notwendigkeit.“ Um in den Monaten bis zur Wahl „ein Maximum an Stabilität“ herzustellen, werde er Gespräche mit allen Parteien führen.

Was bedeutet die Entwicklung für Kurz und die Wahlchancen der ÖVP?

Es gibt ein historisches Vorbild: 2002 hatte der wie Kurz von der ÖVP gestellte Kanzler Wolfgang Schüssel die Koalition mit der FPÖ ebenfalls nach zwei Jahren platzen lassen. Bei den folgenden Wahlen gewann die ÖVP 14 Prozentpunkte auf Kosten der FPÖ hinzu – und setzte die Koalition mit der dann arg geschwächten FPÖ nach der Wahl fort.

Auch Kurz hat gute Chancen, wie damals Schüssel den Großteil der von der FPÖ abwandernden Wähler für sich zu gewinnen: Er gilt nicht nur Konservativen als wählbar, sondern auch als freundliches Gesicht des Rechtspopulismus. Seine Situation ist aber auch nicht unheikel, denn einige der Punkte, die im Ibiza-Video zur Sprache kommen, können auch für die ÖVP noch unangenehm werden – etwa die illegale Parteienfinanzierung.

Wie hat der junge Kanzler seinen eigenen Wahlkampf finanziert?

Das ist zum Teil ungeklärt. Seit man weiß, dass Kurz das limitierte Wahlkampfbudget um 6 Millionen Euro – also fast um das Doppelte – überzogen hat, gibt es dazu immer wieder parlamentarische Anfragen der Opposition. Konkret beantwortet wurden sie bis heute nicht. Die größte der deklarierten Spenden stammte mit 540.000 Euro vom Besitzer des Fahrzeugherstellers KTM, Stefan Pierer. Namhafte Beträge kamen auch von der Adelsfamilie Absberg-Traun (20.000 Euro), der Speditionsfirma Senger-Weiß (30.000 Euro) und verschiedenen Immobilienhändlern. Ein Wiener Rechtsanwalt, der sich auf die Verfolgung militanter Tierschützer spezialisiert hat, spendete 50.000 Euro.

Aber das alles erklärt die Finanzierung der hohen Wahlkampfausgaben längst nicht. FPÖ-Chef Strache spricht im Ibiza-Video davon, auch der Karstadt- und Kaufhof-Käufer Rene Benko, der Pistolenfabrikant Gaston Glock, die Milliardärin Heidi Horten und das Glücksspielunternehmen Novomatic hätten sowohl für FPÖ als auch für die ÖVP gespendet und das nicht deklariert – was gesetzwidrig wäre. Alle Genannten dementieren das.

Warum hat Kurz so lange gezögert, der FPÖ die Koalition aufzukündigen?

Bundeskanzler Kurz hat bis einen Tag vor dem Auftauchen des verfänglichen Videos in demonstrativer Harmonie mit den Freiheitlichen agiert. Er nahm es auch hin, dass der Rechtsaußen der FPÖ-Regierungsmannschaft, Innenminister Herbert Kickl, immer neue drakonische Maßnahmen gegen Asylbewerber verordnete. So ließ Kickl etwa an Flüchtlingsquartieren Tafeln mit dem Wort „Ausreisezentrum“ anbringen und ordnete an, dass keine Gemeinde Flüchtlingen mehr als 1,50 Euro pro Stunde für gemeinnützige Arbeit bezahlen dürfe.

Kurz fand kritische Worte, wenn immer wieder ein „Einzelfall“ neonazistisch anmutender Entgleisungen von freiheitlichen Amtsträgern passierte – aber Konsequenzen innerhalb der Regierung hatte das nicht. Diesmal konnte Kurz nicht zur Tagesordnung übergehen – wohl auch, weil Straches dokumentierte Erzählungen auch den Kanzler persönlich trafen: An einer nicht veröffentlichten Stelle des Videos spricht der FPÖ-Obmann von „Sex-Orgien“ des späteren Kanzlers „in Drogen-Hinterzimmern“, berichten verschiedene Medien.

Ist die FPÖ jetzt stark geschwächt?

Ja. Dreimal war die FPÖ Teil einer Bundesregierung, dreimal ist sie nach durchschnittlich zwei Jahren an sich selbst gescheitert. Der rechtsintellektuelle Ex-FPÖ-Abgeordnete Andres Mölzer fragte sich am Sonntag öffentlich: „Ist die FPÖ tatsächlich nicht regierungsfähig, bin ich am Ende in der falschen Partei?“

Welche Konsequenzen sind für die Wahl zum europäischen Parlament am nächsten Sonntag zu erwarten?

Die letzten Umfragen vor der Veröffentlichung des Strache-Videos von Ibiza sahen die ÖVP mit 29 Prozent knapp vor den Sozialdemokraten mit 27 Prozent. Die FPÖ lag mit 23 Prozent schon etwas dahinter, aber noch vier Prozentpunkte über ihrem Ergebnis von 2014. Jetzt dürften die Partei und auch andere europäische Rechtspopulisten Mobilisierungsprobleme bekommen.

Drohen Strache nun auch strafrechtlichen Konsequenzen?

Das ist noch schwer einzuschätzen. Gegen ihn liegen mehrere Anzeigen wegen Bestechung, Geldwäscherei und Amtsmissbrauch vor. Allerdings war er zum Zeitpunkt der Videoaufnahme zwar Amtsträger, aber kein Regierungsmitglied, das etwas hätte entscheiden können. Er selbst sprach bei seinem Rücktritt von einem einmaligen Treffen, einer „b’soffnen G’schicht“. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, sein engster politischer Verbündeter Johann Gudenus habe auch nach dem Treffen in Ibiza offenbar noch wochenlang Kontakt zu der vermeintlichen russischen Investorin gehabt.

In der österreichischen Politik  gab es 2010 einen ähnlich gelagerten Fall: Ernst Strasser, der ÖVP-Delegationsleiter im Europäischen Parlament, wurde von Journalisten der britischen „Sunday Times“ angesprochen, die sich als Lobbyisten ausgaben. Sie boten ihm in einem verwanzten Hotelzimmer an, ihn dafür zu bezahlen, dass er in ihrem Sinne Änderungen bei geplanten Richtlinien im Finanzsektor und beim Anlegerschutz einbringt.

Strasser bezifferte sein übliches Honorar mit 100.000 Euro und leitete das Anliegen an die EVP weiter, was allerdings folgenlos blieb. Wenige Monate nach dem Dreh veröffentlichten die Journalisten das Video. Strasser wurde später zu drei Jahren Haft verurteilt, durfte aber bereits nach acht Wochen mit Fußfessel einem neuen Beruf nachgehen.

War die Video-Falle eine Geheimdienst-Operation?

Die Suche nach Hintermännern im Fall Strache führt in ein Labyrinth mit verschiedensten Vermutungen. So ist von Geheimdiensten aus Russland oder Israel die Rede. Sicherheitsexperten, mit denen der Tagesspiegel am Sonntag sprach, vermuteten, dass kreative Linke alleine oder mit Hilfe von Journalisten und Künstlern wie Jan Böhmermann oder dem „Zentrum für politische Schönheit“ der FPÖ und dem Rechtspopulismus schaden wollen. Demnach hätten Linke eine Art Guerilla-Strategie erarbeitet, um gezielt vor der Europawahl zu einem größeren Schlag gegen Rechtspopulisten auszuholen und mit Heinz-Christian Strache eine ihrer gut vernetzten und bewunderten Symbolfiguren zu treffen.

Böhmermann hatte schon im April und zuletzt am vergangenen Donnerstag Anspielungen auf Inhalte des Strache-Videos gemacht; sein Manager hat bestätigt, dass er es gekannt habe. Laut dem Journalisten Daniel Laufer soll es auch einen Zusammenhang zwischen dem Twitter-Account „Kurzschluss14“ und der Veröffentlichung des Ibiza-Videos geben: Der Account wurde kurz zuvor eröffnet, das „Zentrum für Politische Schönheit“ war offenbar einer der ersten Follower. Gegenüber dem ORF dementierte die Künstlergruppe, hinter der Aktion zu stecken – und twitterte: „Aus aktuellem Anlass: Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu den inneren Angelegenheiten anderer Länder.“

Zur Geheimdienst-Theorie halten Sicherheitskreise zwei Szenarien für möglich: Russische Geheimdienste hätten, heißt es in Sicherheitskreisen, „ein ständiges Interesse, in der EU Unruhe zu schüren“. Allerdings sieht das Putin-Regime Rechtspopulisten als Verbündete. Präsident Wladimir Putin war 2018 sogar bei der Hochzeit von Österreichs Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) in der Steiermark. Ein westlicher Dienst könnte dagegen europäischen Rechtspopulisten und damit auch Russland schaden wollen: So heißt es, der israelische Nachrichtendienst Mossad hätte wegen antisemitischer Tendenzen unter Rechtspopulisten ein mögliches Motiv.

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