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Sebastian Kurz dürfte die Neuwahlen im September problemlos gewinnen, sagt Politologe Reinhard Heinisch.

© imago images / Eibner Europa

Österreich vor Neuwahlen: „Sebastian Kurz ist ein bisschen Jesus Christus“

Österreichs geschasster Kanzler positioniert sich für den Wahlkampf. Das Ibiza-Video hat dafür wohl kaum Folgen, sagt ein Politikwissenschaftler im Interview.

Von Oliver Bilger

Reinhard Heinisch ist seit September 2009 Universitätsprofessor für Österreichische Politik und Leiter des Fachbereichs Politik und Soziologie an der Universität Salzburg.

Nach dem Misstrauensvotum am Montag hat Sebastian Kurz den Wahlkampf eröffnet – was ist in den kommenden Wochen zu erwarten?

Kurz’ Motto ist klar: ,Am Ende des Tages entscheidet in Österreich das Volk – und zwar im September’, so hat er es nach dem Misstrauensvotum am Montag verkündet. Kurz sieht sich als Opfer einer Intrige des Parlaments, die ihn, den erfolgreichen Kanzler, zu Fall gebracht hat. Er war als Kanzler angetreten, als es großes Bedürfnis nach Reformen gab, dazu er musste die Wähler der FPÖ einbinden – bis er nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos erklärte: ‘Genug ist genug’ und entließ die FPÖ-Minister. Beim Misstrauensvotum hat sich die FPÖ wiederum gerächt. Kurz sieht sich in einer Opferrolle. Diese Botschaft wird er bis zum Ende benutzen und damit erfolgreich sein. Kurz ist ein bisschen Jesus Christus. Er ist dazu ein sehr erfolgreicher Wahlkämpfer, hat er die Unterstützung der „Kronen Zeitung“, ist in beliebt in der Partei und der Bevölkerung.

Seinem Wahlsieg im September steht also nichts im Weg?

Die Chancen, dass Kurz gewinnt stehen gut. Die ÖVP ist in einer wunderbaren Position und wird wohl zulegen. Die Partei wird versuchen, so stark zu werden wie möglich. Kommt sie auf an die 40 Prozent, wäre wohl eine Koalition mit den Grünen und der NEOS, den Liberalen möglich. Eine solche Regierung würde es der ÖVP leicht machen, ihre Themen zu verfolgen und stieße gleichzeitig auf Zustimmung im Ausland. Andernfalls jedoch steht Kurz vor einem großen Dilemma. Kann die ÖVP mit den beiden kleinen Parteien keine Regierung bilden, müsste sie mit der FPÖ oder der SPÖ koalieren. Vieles hängt hier in den nächsten Wochen vom Wahlkampf der ÖVP ab.

Reinhard Heinisch, Politologe an der Universität Salzburg.
Reinhard Heinisch, Politologe an der Universität Salzburg.

© Privat

Wie meinen Sie das?

Gelingt es Kurz, die gemäßigteren rechten Wähler anzusprechen, kann er ohne die FPÖ regieren. Dazu muss sich die ÖVP nach rechts orientieren, vor allem bei Themen wie Migration, Grenzen, Islam. Dies wiederum würde der SPÖ erlauben, eine klare Gegenposition einzunehmen als soziale und liberale Partei. Was allerdings den Spielraum der kleineren Parteien, der Grünen und der Liberalen, schrumpfen ließe. Wenn die ÖVP nicht weiter nach rechts rückt, hat die SPÖ das Problem, dass sie zu viele Überschneidungen mit Grünen und Liberalen hat. Am Ende werden die Koalitionsmöglichkeiten von wenigen Prozenten abhängen.

Könnte es zu einem Bündnis von ÖVP und SPÖ kommen?

Eine große Koalition ist unwahrscheinlich, denn den Sozialdemokraten in Wien würde das gleiche Schicksal wie der SPD in Berlin drohen. Kurz ist auch nicht Angela Merkel und die ÖVP nicht die CDU. Die Türkisen sind viel marktliberaler und nationalistischer.

Reicht es Kurz nicht für ein Bündnis mit Grünen und Liberalen, könnte die FPÖ erneut an der Regierung beteiligt sein?

Kurz ist dafür offen, solange er seine neoliberale Agenda durchsetzen kann. Hier kommt es auf die FPÖ an: Norbert Hofer wird eine Regierungsbeteiligung anstreben, er will Ämter. Herbert Kickl wird sich überlegen, aus welcher Position heraus er am besten Politik beeinflussen kann: aus der Regierung oder aus der Opposition.

Welche Rolle spielt das Ibiza-Video im Wahlkampf?

Es hat wahrscheinlich viel weniger Effekt, als man meinen würde. Die FPÖ sagt: Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus sind weg, wir haben uns der Schuldigen entledigt. Hofer und Kickl haben nichts mit dem Video zu tun. Noch dazu sei das Video nur ein Vorwand für Kurz gewesen, die FPÖ-Minister abzuberufen, um seine Macht auszubauen. Für Wähler, die zu Verschwörungstheorien neigen, ist dies ein willkommenes Argument.

Die SPÖ wird das Video nicht zu stark thematisieren, um nicht den Verdacht auf sich zu lenken, sie könnte dafür verantwortlich sein. Die ÖVP wird kein Wasser auf die Mühlen gießen, um sich alle mögliche Koalitionen offenzuhalten. Wer politikverdrossen ist, wird noch weniger Motivation haben, zu wählen. Und wer sich für Politik interessiert, will von den Parteien hören, was sie in der Zukunft machen, statt in die Vergangenheit zu blicken.

Gut möglich, dass Heinz-Christian Strache nach einer Auzeit erneut eine Rolle in der FPÖ spielen wird.
Gut möglich, dass Heinz-Christian Strache nach einer Auzeit erneut eine Rolle in der FPÖ spielen wird.

© Hans Klaus Techt/APA/dpa

Bei den Europawahlen hat die FPÖ knapp 18 Prozent erreicht – ein Minus von zwei Prozent im Vergleich zur letzten EU-Wahl. Ist der Ibiza-Effekt ausgeblieben?

Im Vergleich zu Umfragen vor der Abstimmung hat die Partei zehn Prozent verloren. Der harte Kern der FPÖ-Wähler ist europaskeptisch. Sie wollen weniger Europa und mehr nationale Unabhängigkeit. Die FPÖ ist die einzige europaskeptische Partei. Den Wählern war es wichtiger, ihre Präferenzen zu artikulieren, als das Ibiza-Video – zumal die Partei die Betroffenen zuvor beseitigt hat.

Strache hat einen Sitz bei der Wahl fürs EU-Parlament erreicht. Wird er nach Straßburg gehen?

Auf Facebook hat er geschrieben, dass er die Wahl annimmt, hat den Eintrag aber gleich wieder gelöscht. In der Partei möchte man wohl nicht, dass er ins EU-Parlament einzieht. Es gibt Parteifreunde, die bereit sind, ihm zu vergeben, allerdings noch nicht sofort. Gut möglich, dass man ihm in einem Jahr wieder etwas anbieten wird – und dass er in der FPÖ noch eine Zukunft hat. Denn einerseits besitzt er Glaubwürdigkeit bei vielen Wählern. Andererseits hat er nach dem Zerwürfnis mit Jörg Haider 2005 die Partei, die damals hoch verschuldet war, wieder mit aufgebaut. Viele in der FPÖ schulden ihm deshalb Dankbarkeit.

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