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Politik: Oettingers Schlingerkurs

Vor der Entschuldigung sagte er: Filbinger war Gegner der Diktatur / Zentralrat der Juden fordert Rücktritt

Tagelang hatte Günther Oettinger geschwiegen, am Wochenende sagte er dann umso mehr – Widersprüchliches. Bevor über die Nachrichtenagenturen seine Entschuldigung aus der „Bild“-Zeitung wegen seiner Trauerrede für Filbinger verbreitet wurde, war er noch mit einem Satz zitiert worden, den er am Sonntag am Rande einer Veranstaltung geäußert hatte: Er glaube nach wie vor, „dass Filbinger ein Gegner der Diktatur gewesen ist“. Filbinger habe nur nicht wie andere die Kraft zum offenen Widerstand gegen das NS-System gehabt. Er habe sich hierbei „wie Millionen andere“ verhalten. Man könne bei Filbinger auch „eine andere Würdigung oder Bewertung vornehmen“, sagte Oettinger. Viele Menschen würden ihm aber zugestehen, sagte Oettinger, dass seine Äußerungen über Filbinger in der Trauerrede zumindest „vertretbar“ gewesen seien. In einem offenen Brief an seine Kritiker hatte er am Samstag lediglich Bedauern über die „Missverständnisse“ geäußert, die seine Rede ausgelöst haben könnte.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland wies denn auch diesen Brief als „völlig ungenügend“ zurück und forderte den Rücktritt des Regierungschefs. „Selbst eine Entschuldigung reicht jetzt nicht mehr aus“, sagte Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats, dem Tagesspiegel. Mit seinen Äußerungen am Sonntag habe Oettinger die Angelegenheit sogar noch verschlimmert: „Diesen Mann als Nazigegner darzustellen, der nur Opfer der Zwänge gewesen sei, ist eine Verdrehung der historischen Tatsachen und eine Unverschämtheit“, sagte Kramer. Die Union müsse sich die Frage stellen, ob dieser Mann als Ministerpräsident noch tragbar sei, betonte der Generalsekretär des Zentralrats.

Die baden-württembergische SPD forderte Oettinger indirekt zum Rücktritt auf: „Die vernünftigen Kräfte in der Landes-CDU sind gefordert, ihren Ministerpräsidenten zu stoppen. Es ist Zeit für einen Neuanfang“, sagte der Generalsekretär der baden-württembergischen SPD, der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss. Mit seiner Erklärung mache Oettinger die Sache nur noch schlimmer, sagte die SPD-Landeschefin und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ute Vogt. Mit seinem „Rechtfertigungsschreiben“ versuche der Ministerpräsident, die Wirkung seiner Rede auf sein Ansehen einzudämmen, „ohne den stramm Rechtskonservativen in der Union wehzutun“. Dieser Spagat werde aber nicht gelingen.

Auch SPD-Chef Kurt Beck warf Oettinger vor, sich nur halbherzig von seiner Filbinger-Rede distanziert zu haben. „Herr Oettinger muss klar Position beziehen“, sagte Beck am Sonntag bei einer SPD-Veranstaltung in Mainz. Sein Eindruck sei, dass es Oettinger darum gegangen sei, am äußersten rechten Rand zu fischen. Der baden-württembergische Ministerpräsident müsse dies nun in Ordnung bringen.

Den Versuch machte Oettinger dann in der „Bild“-Zeitung. Den Vorwurf Becks, er habe am rechten Rand fischen wollen, wies er zurück: „Das war und ist nicht meine Absicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich auf Grund meiner politischen Grundhaltung und meiner Werte vom rechten Rand weit entfernt bin“, sagte Oettinger. Der Regierungschef betonte, es sei auch „nie“ seine Absicht gewesen, „die Gräuel des Nationalsozialismus zu relativieren“. Zugleich fügte er aber erneut hinzu, Filbinger sei ein „zutiefst christlicher und konservativer Mensch mit einer belegbaren inneren Distanz zum NS-Regime“ gewesen. „Ich glaube übrigens, man sollte einen Menschen nicht sein Leben lang für Fehler verurteilen, die er möglicherweise als junger Mensch in diesem grausamen System gemacht hat.“

Georg Brunnhuber, Chef der baden-württembergischen Landesgruppe im Bundestag, hatte zuvor die Rede Oettingers mit Vehemenz als „Meisterprüfung“ verteidigt. Die Wirkung für die „christlich-konservative Seele“ sei nicht zu unterschätzen. „Für unsere Anhängerschaft hat er einen ganz, ganz großen Schritt getan. Er hat ein Tor aufgestoßen“, sagte Brunnhuber. mit dpa

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