zum Hauptinhalt

Politik: ÖTV-Streik: Die Stunde der Tarifkosmetiker

Kostenloser Eintritt bei der Expo, in Schwimmbädern, Museen und anderen öffentlichen Einrichtungen, weil die Kassenhäuschen bestreikt werden. Nette Merkzettel anstatt Knöllchen an den Windschutzscheiben von Parksündern, weil Hilfspolizisten im Streik für höhere Einkommen im Öffentlichen Dienst die Arbeit verweigern.

Kostenloser Eintritt bei der Expo, in Schwimmbädern, Museen und anderen öffentlichen Einrichtungen, weil die Kassenhäuschen bestreikt werden. Nette Merkzettel anstatt Knöllchen an den Windschutzscheiben von Parksündern, weil Hilfspolizisten im Streik für höhere Einkommen im Öffentlichen Dienst die Arbeit verweigern. Es könnte ein "bürgerfreundlicher Streik" werden, sagte ÖTV-Chef Mai am Freitag in Stuttgart, falls ein Spitzengespräch über Pfingsten nicht doch noch eine Kompromisslinie aufzeigt. Doch nach freiem Eintritt und Parken sieht es derzeit noch nicht aus, trotz der Streikvorbereitungen auf der einen Seite und der "Die-Kassen-sind-leer"-Parolen auf der anderen.

Kanzler Gerhard Schröder "wünscht" keinen Streik, hieß es im Arbeitgeberlager. Und deshalb müsse nun der Hardliner unter den Verhandlungsführern, Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), zurückrudern und Gesprächsbereitschaft signalisieren. Aber auch ÖTV-Chef Herbert Mai braucht offensichtlich keinen Streik: Komme man nun in den Verhandlungen zu einem akzeptablen Ergebnis, "dann macht Streik keinen Sinn", sagte er und zeigte sich verhalten optimistisch. Der einzig unsichere Kantonist im Boot der Tarifpartner auf dem Weg zur Einigung sind Insidern zufolge allerdings noch die Kommunen: Die Städte und Gemeinden haben die meisten Beschäftigten und sind so am ehesten die Leidtragenden jeglicher Tariferhöhung.

Kein Spielraum für Verhandlungen

Dass die auszuhandelnden Einkommensverbesserungen nicht das Volumen des vom Schlichterspruch vorgegebenen Rahmens sprengen, ist momentan auch die größte Sorge des Verhandlungsführers der kommunalen Arbeitgeber, des Bochumer Oberbürgermeisters Ernst-Otto Stüber. Er sieht keinerlei Spielraum für Nachverhandlungen außerhalb des Schlichterspruchs, denn der könne "sich ja sehen lassen". Liege er doch oberhalb des Abschlusses beim Bau und "ein bisschen" unter dem der Chemie von 2,2 Prozent.

Auch für ÖTV-Chef Herbert Mai war der Schlichterspruch von Dresden, der 1,8 Prozent mehr Lohn für dieses und 2,2 Prozent mehr für nächstes Jahr vorschlägt, ein akzeptabler Kompromiss. Bis ihm aufsässige Funktionäre einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Einleitung von Urabstimmungen über Streiks erzwungen hatten. Dass deren Ergebnis mit 76 Prozent denkbar knapp über dem nötigen Quorum von 75 Prozent ausfiel, stärkt Mai nun wiederum den Rücken. Es herrsche an der Basis durchaus keine "Streikeuphorie", sagte Mai. Und die kann der ÖTV-Chef auch nicht brauchen. Wie der letzte Streik vor acht Jahren gelehrt hat, schraubt die Basis nach einigen Tagen auf der Straße ihre Erwartungshaltung immer höher und ist dann kaum noch einzufangen.

Eine deutliche Zwei vor dem Komma

Mai weiß allerdings sehr wohl, dass die Arbeitgeber nicht mehr all zuviel drauflegen können und ein Kompromiss zumindest das finanzielle Volumen des Schlichterspruchs nicht groß übersteigen kann. "Deshalb schlägt nun bei den Verhandlungen die Stunde der Tarifkosmetiker des Öffentlichen Dienstes", sagt ein Insider.

Das Ziel dieser Rechenkünstler auf der Gewerkschaftsseite besteht darin, bei den Einkommensverbesserungen möglichst eine deutliche Zwei vor dem Komma zu erreichen. Dabei wollen die Experten der anderen Seite eine Aufweichung des Schlichtervolumens möglichst vermeiden. Das gemeinsame Arsenal beider Seiten beim Jonglieren hin zum Kompromiss heißt "Laufzeit", "Leermonate" und "Einmalzahlungen", "tarifpolitisches Volumen" und "lineare Erhöhung". Dass dann etwa 2,0 Prozent mehr Lohn für zehn Monate bei zwei Leermonaten unterm Strich wesentlich weniger ist als 1,8 Prozent für zwölf Monate, wissen Tarifexperten, die Beschäftigten an der Basis eher nicht.

Ein wesentlich schwierigerer Knackpunkt wird allerdings die weitere Angleichung der Osteinkommen an das Westniveau bleiben. Hier wollen die Gewerkschaften ein verbindliches Datum für eine völlige Angleichung der Einkommen von derzeit 86,5 Prozent des Westniveaus. Vor allem die Kommunen wehren sich hier vehement, wegen nicht zu kalkulierender Kostenexplosionen. Sollte Mai nicht zumindest die Zusicherung eines Zeitrahmens ohne konkrete Schritte erreichen, wird es eng für ihn im November - dann will er wieder gewählt werden als Chef der ÖTV.

Jürgen Oeder

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false